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Abstand von Lohn zu BürgergeldArbeiten lohnt sich, auch in Bad Liebenwerda

Eine Alleinstehende, die zum Mindestlohn ackert, hat im Schnitt 557 Euro mehr als ein Bürgergeldempfänger. Es gibt aber regionale Unterschiede.

Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, ob in der Reha oder der Gastro Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Eine Reha-Klinik in Bad Liebenwerda in Brandenburg, draußen vor dem Eingang prangen Jobangebote, Leute werden dringend gesucht, auch Servicepersonal ohne Berufsausbildung. Die Caféteria hat nur an wenigen Tagen in der Woche geöffnet, wegen Personalmangel. „Das Bürgergeld ist schuld, dass wir hier niemanden finden. Will doch keiner mehr arbeiten“, seufzt eine Frau an der Rezeption.

Hält das Bürgergeld Menschen davon ab, zu arbeiten, erst recht, wenn sie mit ihrer Tätigkeit nur den aktuellen Mindestlohn bekommen? Nein, sagt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. „Der Lohnabstand ist immer gegeben“, heißt es in der aktuellen WSI-Studie. Doch es gibt regionale Unterschiede.

Die Sozialexperten errechneten an mehreren Haushaltskonstellationen, wie groß der Einkommensunterschied ist zwischen Personen, die nur vom Bürgergeld leben, und solchen, die 38 Stunden die Woche zum aktuell geltenden Mindestlohn von 12,82 Euro die Stunde ackern.

Bei einer oder einem Alleinstehenden, die oder der Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, liegt der Einkommensvorteil im Durchschnitt bei 557 Euro monatlich, so die Studie. So hat ein alleinstehender Mann, der zum Mindestlohn in Vollzeit arbeitet, im Schnitt in Deutschland ein verfügbares Einkommen von 1.572 Euro im Monat. Lebt der Mann nur vom Bürgergeld, hat er lediglich inklusive der Wohnkosten 1.015 Euro zur Verfügung, so die Zahlen in dem WSI-Papier.

Kleine Miete- großer Lohnabstand

Alleinstehende mit einem Kind haben bei Vollzeitbeschäftigung zum Mindestlohn laut Studie 749 Euro mehr zur Verfügung als im alleinigen Bürgergeldbezug. Bei einer Paarfamilie mit zwei Kindern und einer oder einem Beschäftigten in Vollzeit zum Mindestlohn beträgt der Vorteil 660 Euro.

Der Verdienst der Arbeitenden wird dabei je nach Haushaltskonstellation und Miethöhe durch aufstockendes Bürgergeld, Kindergeld, einkommensabhängigen Kinderzuschlag oder Wohngeld erhöht, das wurde vom WSI in das verfügbare Einkommen der Beschäftigen mit eingerechnet.

In abgelegenen Regionen sind die Mieten niedriger, die Arbeitslosen bekommen also weniger Bürgergeld als Emp­fän­ge­r:in­nen in teuren Regionen, da sich die Leistung auch nach den örtlichen Miethöhen richtet.

Daher beträgt der Lohnabstand in München, wenn hohe Mietkosten vom Jobcenter übernommen werden, nur 379 Euro. Im sächsischen Vogtlandkreis hat eine alleinstehende Min­dest­löh­ne­r:in hingegen 652 Euro mehr zur Verfügung als eine örtliche Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in, im Elbe-Elster-Kreis, wo Bad Liebenwerda liegt, 598 Euro.

Auch Wohngeld und Kinderzuschlag zählen

„Die Zahlen dieser Studie zeigen erneut, dass Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen unabhängig vom Haushaltstyp und von der Region, in der sie wohnen, weniger Geld haben als Erwerbstätige, die zum Mindestlohn arbeiten“, erklärte die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch am Mittwoch.

Studien des Münchner Ifo-Instituts haben allerdings bemängelt, dass bei noch höheren Einkommen der Wegfall oder das Absinken von aufstockendem Bürgergeld, von Wohngeld und Kinderzuschlag den Anreiz verringere, mehr Geld zu verdienen. So führe eine Erhöhung des Bruttoeinkommens von 2.000 auf 3.000 Euro bei einer Alleinerziehenden mit durchschnittlichen Mietkosten nur zu einem Anstieg des verfügbaren Einkommens von 59 Euro im Monat, hieß es beim Ifo.

Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung ist vorgesehen, die sozialen Leistungen besser „aufeinander abzustimmen“, Wohngeld und Kinderzuschlag sollen „zusammengeführt“, die Hinzuverdienstregelungen „reformiert“ werden. Wie das genau aussieht, ist allerdings unklar. Denn mehr kosten soll es auch nicht.

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4 Kommentare

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  • Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Menschen gerne nicht arbeiten und sich aufs Bürgergeld verlassen. Das geht mit andauernder Demütigung einher und dem Gefühl, eine Belastung für die Allgemeinheit zu sein.



    Ich fände es wichtiger aufzuschlüsseln, warum Menschen arbeitslos sind. Ich weiß zum Beispiel, dass ein großer Teil dieser Menschen einfach nicht fähig ist, zu arbeiten, z.B. wegen einer Behinderung oder chronischen Erkrankung. Jetzt wäre interessant zu wissen, was bei den anderen der Grund ist. Ich würde mal stark davon ausgehen, dass sie einfach keine (geeignete) Arbeit finden...

  • Im Schnitt ca. 600,-€ mehr für Vollzeit als fürs Nixtun. Sorry aber wenn nicht ein eigener Anspruch da ist, anderen nicht auf der Tasche liegen zu wollen, lohnt es sich nicht! Dies kann so nicht bleiben. Es wird halt nicht gehen, unter einen angemessenen Wert für Sozialleistungen zu gehen aber es wird andererseits auch nicht funktionieren einfach den M.lohn immer weiter zu erhöhen.



    Warum wird nicht eine Staffelung der Leistungen z.B. nach bereits erbrachter Arbeitsleistung getestet oder z.B. vorgeben, dass man Unterstützungsleistungen erhält, aber dann halt nicht die Miete in Berlin gezahlt wird, sondern eine Wohnung in einer günstigeren Stadt vorgegeben wird.

    • @Cgh590aet:

      1. Bei dem Einkommen sind 600€ mehr ca. 50% mehr - das ist ganz schön viel.



      2. Staffelung nach bereits erbrachter Arbeitsleistung ist höchst problematisch. Damit würden Menschen, die wegen einer Behinderung nicht arbeiten können, Menschen, die Kinder oder Angehörige versorgen oder pflegen etc. weniger Geld bekommen, nur, weil sie nicht für Lohn arbeiten können. Menschen, die wegen ähnlicher Gründe Teilzeit arbeiten, könnten ebenfalls diskriminiert werden.



      3. Auch der Vorschlag, einen Wegzug zu erzwingen finde ich sehr problematisch. Dadurch würden Menschen aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und ganze Stadtteile oder Städte quasi sozial "gesäubert". Es würde noch weniger Vermischung von sozialen Schichten und eine stärkere Spaltung geben.

  • Dass man mit einem Job mehr hat als bei Bürgergeld, hat nie jemand bezweifelt. Bezweifelt wird, ob dieses "mehr" so viel mehr ist, dass sich die 38 Stunden Maloche pro Woche dafür lohnen. 38 Stunden Wochenarbeitszeit entsprechen ca. 165h im Monat. Wenn es dafür 557€ mehr gibt, arbeitet man effektiv für einen Stundenlohn von 3,37€.