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Abschwächung der EU-Waldschutzverordnung„Pragmatische Lösung“ oder „dramatischer Fehler“?

Die Zustimmung der extremen Rechten im EU-Parlament hat es möglich gemacht: Europa verwässert seine Regeln für entwaldungsfreie Lieferketten.

Europa bietet weniger Schutz: Abgeholzter Regenwald im Amazonasgebiet in Brasilien Foto: Marcelo Sayao/EFE/dpa
Eric Bonse

Aus Brüssel

Eric Bonse

Ist der Bürokratieabbau für die EU wichtiger als der Schutz der Wälder vor Abholzung und Brandrodung? Spielt der „Green Deal“ für Umwelt- und Klimaschutz nur noch eine Nebenrolle? Darüber ist eine heftige Kontroverse entbrannt, nachdem Unterhändler des Europaparlaments und der 27 EU-Mitgliedsländer die sogenannte Entwaldungsverordnung ein weiteres Mal verschoben haben.

Die schon 2023 verabschiedeten Regeln, die den Raubbau etwa für Kaffee- und Sojaplantagen eindämmen sollen, wurden für große Unternehmen ein Jahr ausgesetzt, für kleine Unternehmen bis Mitte 2027. Zudem werden die Berichtspflichten für Unternehmen gelockert. Im April 2026 sollen das EU-Gesetz erneut überprüft werden. Dann sind weitere Änderungen möglich.

„Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?“, fragt der WWF nach der Einigung, die am Donnerstagabend in Brüssel erfolgt war. „Die abermalige Verschiebung um ein Jahr, die Aufweichung der Rückverfolgbarkeit und die großzügigen Ausnahmen für die Forstwirtschaft in der EU sind unverantwortlich“, sagte Peer Cyriacks, der beim WWF Deutschland für den Schutz der Wälder zuständig ist.

Lob kommt dagegen von Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD): „Das ist eine pragmatische Lösung, die die Substanz beim Waldschutz erhält, aber deutlich weniger Bürokratie mit sich bringt.“ Die Bundesregierung erfülle damit den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag. Schneider verspricht eine „wirksame Umsetzung ab 2027“ – also erst in zwei Jahren.

„Schlecht gemachte Politik mit der extremen Rechten“

Von einem Erfolg spricht die CDU-Europaabgeordnete Christine Schneider. „Das Herzstück der Entwaldungsverordnung bleibt erhalten“, behauptet die zuständige Berichterstatterin im Europaparlament. „Wir schaffen Planungssicherheit für Unternehmen und sorgen zugleich dafür, dass illegaler Holzeinschlag wirksam gestoppt wird.“

Völlig anders sieht dies die Grünen-Politikerin Anna Cavazzini. Die Chefin des Binnenmarkt-Ausschusses spricht von einem „dramatischen Fehler“. Die Einigung führe zu „mehr Entwaldung in der Zeit der Klima- und Biodiversitätskrise“. Außerdem sei sie „eine Strafe“ für all jene Unternehmen, die bereits Millionen in die Umsetzung des Gesetzes investiert hatten.

Die Verantwortung sieht Cavazzini bei CDU/CSU, die „schlecht gemachte Politik zusammen mit den extrem rechten Fraktionen im Europaparlament durchsetzen.“ Als sich das Parlament im November auf seine Verhandlungsposition geeinigt hatte, war diese nur mit Stimmen rechter Parteien mehrheitsfähig. Grüne, Linke und Sozialdemokraten haben damals laut protestiert.

Wie geht es nun weiter? Die EU-Kommission wurde aufgefordert, ein funktionsfähiges IT-System aufzubauen, mit dem Waldbesitzer, Unternehmen und Händler ihre Erklärung zur Sorgfaltspflicht („due diligance“) abgeben können. Die jüngste Verschiebung war mit technischen Problemen begründet worden – in Wahrheit gab es aber vor allem politische Gründe. Auch die USA hatten Druck gemacht.

Im April soll die Brüsseler Behörde, die von Ursula von der Leyen (CDU) geleitet wird, eine Folgeabschätzung vorlegen. Im Mittelpunkt soll die „bürokratische Last“ für kleine und mittlere Unternehmen stehen, heißt es in einer Mitteilung des Europaparlaments. Was passiert, wenn die Bürokratie nach Ansicht der Abgeordneten immer noch zu groß ist, ist unklar.

Dann könnte die Entwaldungsverordnung erneut gelockert oder sogar noch weiter aufgeschoben werden. Erst mal müssen aber die nun vereinbarten Änderungen noch einmal durch das Plenum des Parlaments und den Ministerrat. Das gilt als Formsache. Dann kann das entschärfte EU-Gesetz mit den langen Übergangsfristen im neuen Jahr in Kraft treten.

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