Abschied von Twitter: Tschüss, Twitter!
Nach Facebook und Google verabschiede ich mich jetzt auch von der Datenkrake Twitter. Auch wenn mir manche Diskussion fehlen wird.
M ein Twitter-Account macht es sich nach der überstandenen Jahresendfeierei gemütlich und wärmt seine Füße an den Hassposts rechter Trollarmeen. Was er nicht weiß: Nicht nur das Jahr neigt sich seinem Ende zu. Dies ist der dritte und letzte Teil des „Tschüss“-Artikeltriptychons, erst Facebook, dann Google, jetzt Twitter – gekrönt von der Löschung meines jeweiligen Social-Media-Accounts.
Was ist seitdem passiert? Nichts. Mir geht’s gut. Wie jemandem, der erfolgreich mit Rauchen oder Fleischessen aufgehört hat: Man vergisst irgendwann, warum es einmal so schwierig erschien. Ich bin nicht einsamer als vorher. Nicht mal „aufgehört“ habe ich, ich benutze soziale Medien nach wie vor, nur welche, die keiner meiner Freunde oder Bekannten nutzt.
Auch die sind geblieben – bei Facebook, Twitter oder Insta. Ein paar von ihnen haben mit mir gemeinsam Alternativen ausprobiert, aber als nicht sofort alle mitgezogen sind, waren sie in 24 Stunden wieder zurück in ihren Datenkraken. Vielleicht fühlen sie sich nicht existent, wenn die Dosis erhaltener Likes sinkt, oder für sie steht schlicht Bequemlichkeit über Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung.
Dasselbe gilt für viele Institutionen wie die taz. Klar, für Reichweite tut man alles – aber deshalb Inhalte nur dort teilen, wo mit Benutzerdaten Schindluder getrieben wird? Ist es denn so aufwendig, parallel alternative Plattformen zu bespielen?
Die jedes Mal wiederkehrende Frage: „Warum empfiehlst du nicht Ello/MeWe/irgendein anderes soziales Medium?“, beruht auf einem Missverständnis. Nur weil etwas neu ist, ist es keine Alternative. Man sollte sich und seine Daten nicht Firmen mit unseriösen Geschäftsmodellen anvertrauen. Am Ende ist der vermeintliche Kunde selbst das Produkt und die Privatsphäre im Eimer. Richtige Alternativen sind Open Source, sie sind dezentral und erlauben der Benutzerin zu entscheiden, was sie mit ihren Daten machen möchte.
Dabei kann gerade Twitter Sinn und Spaß machen: Überfällige Diskussionen wie #MeToo, geistreiche Memes und rhetorische Perlen, manchen ersetzt Twitter die Dating-App, andere finden hier Jobs. Intellektuell privilegierte Journalistinnen streiten sich hier mit finanziell privilegierten Rechtskonservativen, mit Politikern und Lobyistinnen, mit Institutionen und Extremen aller Couleur. Twitter hat auch Macht; wer hier vorn mitmischt, wird in der Welt der Entscheider gehört.
Ich gebe es gern zu: Immer wenn ich eingeloggt war, war es eine Freude, in diesen Bullshit hineinzutauchen. In die Tweets von Leuten, die sich in Originalität und Witzigkeit übertreffen. Die pubertären Zündet-alle-Männer-an-Provokationsposts und all die creepy Antworten von alten weißen Männern, die nicht auf die Uhr geguckt haben.
Debatten, in denen es nicht darum geht, jemanden mitzunehmen, nur darum, den besseren Schnitt zu machen, um Anerkennung und Likes aus der eigenen Bubble und darum, im Gespräch zu bleiben. Brillanz in 280 Zeichen. Flatearther oder Neurechte, die mit den Schriften der Autorin Ayn Rand ihre Ideologie untermauern und einen uneingeschränkten Kapitalismus fordern. Wie oft haben ihre Tweets mich so getriggert, dass ich eine mehr oder weniger geistreiche Entgegnung in die Tasten haute, nur um sie später, wenn es peinlich war, sich an diesem Zirkus beteiligt zu haben, wieder zu löschen.
Glaubt man ein paar verschlafenen Politikerinnen und Journalisten, ist nicht der Datenmissbrauch das Hauptproblem sozialer Medien, sondern die Hassposts. Soziale Medien wie Twitter und Facebook fördern und profitieren von Polarisierung und Blasenbildung und das ist ein Problem, aber sie schreiben diese Posts nicht. Die Politik fühlt sich, wie generell mit Sozialem, auch mit Social Media überfordert und versucht, die Verantwortung an die Betreiber der Portale abzuwälzen. Das ist doppelt falsch.
Zum einen können diese die Aufgabe gar nicht erledigen. Und schicken ihre Filter los, „Algorithmen“, die etwa so intelligent sind wie ein Glas Milch und alles Mögliche mitlöschen, das eher unter Meinungsfreiheit fällt und gar nicht gelöscht werden sollte. Zum anderen wird damit ein wichtiger Teil rechtsstaatlicher Verantwortung in die Hände international operierender Konzerne gelegt.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, Twitter sei im Gegensatz zu Facebook irgendwie okay. Es gibt keine Klarnamenpflicht, und wo kann schon ein Problem mit Datenschutz sein, wenn doch eh alles öffentlich ist? Genauso wenig wie bei Twitter alles öffentlich ist, ist es harmlos. Twitter weiß genau, was und wen jede Einzelne seiner Benutzerinnen (nicht) mag. Wie bei Facebook wurden auch bei Twitter wiederholt Daten weitergegeben, die nicht hätten weitergegeben werden sollen.
2020 begannen Paul Singer und sein Hedgefonds „Elliott Management“, im großen Maßstab Twitter-Aktien zu kaufen, mit dem erklärten Ziel, den misswirtschaftenden Twitter-CEO und Mitbegründer Jack Dorsey loszuwerden. Sofort stieg Twitters Wert an der Börse. Im November 2021 verließ Dorsey Twitter und wurde von seinem langjährigen CTO Parag Agrawal abgelöst. Wenn ein Unternehmen, das die Daten seiner Kunden zu Geld macht, mehr Geld machen muss, was wird es wohl tun?
Das sind jetzt nicht mehr meine Probleme. Der Twitter-Account ist gelöscht. Den Kindern davon zu erzählen, bringt nichts, sie wissen nicht mal was Twitter ist, sie kennen nur Tiktok, Snapchat und Insta. Da werde ich mich aber bestimmt nicht anmelden, nur um weitere Artikel schreiben und mich dort wieder löschen zu können. Ich bleibe bei den echten Alternativen: Diaspora statt Facebook, Mastodon statt Twitter, PeerTube statt Youtube, Pixelfed statt Instagram und viele andere. Wer Tweets lesen möchte, ohne sich dabei einen Cookie einzufangen, kann dafür die Software Nitter verwenden.
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