Abschied von „Nafrichten“: Genug Meinung! Zeit für Recherche
Nach 79 Folgen „Nafrichten“ ist Schluss – hoffentlich folgt jetzt eine Stärkung von neugierigem, analytischen Old-School-Journalismus.
M eine eigene Meinung interessiert mich wenig bis gar nicht. Geschweige denn die von Schreibtischen abgefeuerten Meinungen anderer. Im deutschsprachigen Raum hat sich in den letzten Jahren etwas verschoben: Weil alle Diskurs, aka Blabla, machen, werden in vielen Medien investigative Recherchen, Reportagen und Analysen (unbedingt gebraucht) mit bloßen Meinungsstücken (als Zusatz berechtigt) gleichgesetzt. Das ist falsch.
Ein Fakt ist ein Fakt, eine Meinung dazu eben nur eine Meinung. Jede*r kann sagen, was er*sie will, nur sollte man bei der Relevanz meinungsgetriebener Aussagen nicht übertreiben. Was ich als Individuum auf sozialen Medien oder in einer Kolumne in die Welt posaune ist nicht so wichtig. Im besten Fall lustig, inspirierend, provokativ. Weltbewegend? Weiß nicht.
Die minutiöse Rekonstruktion eines Skandals oder eines strukturellen Missstands brauchen wir als Gesellschaft unbedingt, egal ob es sich um Maskendeals, Polizeigewalt oder tödliche EU-Außengrenzen handelt. Auf den Leitartikel oder den Kommentar dazu kann ich zur Not verzichten. Schaden tut er aber selten.
Als mich eine Kollegin aus der taz-Redaktion neulich angerufen und verkündet hat, dass die Zahl der Kolumnist*innen reduziert werde, habe ich mich als Journalist gefreut. Es ist eine mutige und richtige Entscheidung, eine Stärkung von analytischem, neugierigem, recherchegeleitetem Journalismus, der auch unterhaltsam sein kann. Kolumnen sind toll, mehr Old-School-Journalismus ist noch besser. Deswegen räume ich meinen Kolumnenplatz gerne.
Genossen, Leute zur Weißglut zu treiben
Natürlich haben mir die „Nafrichten“ viel Spaß bereitet, viel Ärger gebracht, Leute waren höchstbeleidigt, manchmal sogar außer sich, wenn sie mir wütende Nachrichten geschickt haben. Ich bin auf so mancher Nemesis-Listen gelandet: von AfD-Springer-Almans, von Erika Steinbach, Bismarck-Fans, Harry von der Polizei, Hundebesitzer*innen, basic Dudes, Mama-Blogger*innen, von ausgewählten taz-Redakteur*innen … Ja, ich habe es als Dickkopf manchmal sogar genossen, Leute zur Weißglut zu treiben.
Ich würde aber lügen, würde ich behaupten, dass mich die emotionalen Reaktionen auf polemische Kolumnen kalt gelassen haben, während ich bei einigen meiner monatelangen, aufwändigen Recherchen nachhelfen musste, damit die Leser*innenschaft überhaupt anbeißt. Ich hoffe, dass der Wissens- und Aufklärungsdurst mit der Nachfrage nach Polemik irgendwann gleichziehen kann.
Nach drei Jahren und (wenn ich richtig gezählt habe) 79 Episoden ist das also der letzte „Nafrichten“-Text. 79 ist eine schöne Zahl, immer wenn ich in einem spontanen Gespräch eine random, nicht zu hohe und auch nicht zu niedrige Zahl nennen möchte: Es ist die 79. Ich werde der guten alten taz inshallah als Autor weiter erhalten bleiben (bevor sich einige zu früh freuen). Denn in Nafristan sagt man zum Abschied: In Frieden, man sieht sich.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris