Abschiebungen nach Syrien: Es war nur Populismus
Nach dem Auslaufen des Abschiebestopps nach Syrien wollte Seehofer schon ab dem Jahreswechsel Ausweisungen anschieben. Bisher passiert ist: nichts.

Vorausgegangen war ein Beschluss der Innenministerkonferenz Anfang Dezember, den seit 2012 bestehenden Abschiebestopp nach Syrien aufzuheben. Dieser war wegen des dortigen Bürgerkriegs verhängt worden. Nun, drei Monate nach dem Beschluss, zeigt sich: Die Abschiebeankündigung nach Syrien ist bisher reine Rhetorik.
Fragt man Seehofers Ministerium, in wie vielen Fällen inzwischen konkret Abschiebungen nach Syrien geplant werden, gibt man sich dort wortkarg. „Aufgrund der Kompetenzverteilung obliegt die Planung von Rückführungen von vollziehbar Ausreisepflichtigen den zuständigen Behörden der jeweiligen Bundesländer“, erklärt eine Sprecherin nur.
„Nicht durchführbar und tatsächlich unmöglich“
Dort allerdings verweist man zurück auf den Bund. Deutlich wird ein Sprecher von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD): „Abschiebungen syrischer Staatsangehöriger sind derzeit nicht durchführbar und tatsächlich unmöglich.“ Dafür bräuchte es zuerst eine Kontaktaufnahme mit dem syrischen Staat, zu der bisher aber kein europäisches Land bereit sei. Auch drohte Abzuschiebenden in Syrien weiter Folter. Die Verantwortung für Ausweisungen nach Syrien lägen daher beim Bund, betont der Sprecher. „Bislang wurde keine derartige Möglichkeit aufgezeigt.“
Auch aus dem CSU-geführten Innenministerium in Bayern, das die Aufhebung des Abschiebestopps mit gefordert hatte, heißt es: „Der Ball liegt zunächst bei der Bundesregierung und insbesondere dem Auswärtigen Amt, das die Lage in Syrien beurteilen und Wege finden muss, in Einzelfällen Rückführungen zu ermöglichen.“
Das Innenministerium von Thomas Strobl (CDU) in Baden-Württemberg benennt immerhin die Zahl von rund zehn Straftätern oder Gefährdern, die abgeschoben werden könnten – wenn das Bamf sein Abschiebeverbot für diese Personen aufheben würde. Auch Sachsen verweist auf das Flüchtlingsamt, auf dessen Prüfergebnis man warte. Beide Länder hatten ebenfalls ein Ende des Abschiebestopps gefordert.
Das Bamf prüft – bisher ohne Ergebnis
Beim Bamf indes gibt man sich ebenfalls zugeknöpft. Ja, es laufe eine Prüfung, „inwieweit Abschiebungen von Gefährdern und schweren Straftätern in bestimmte Regionen Syriens möglich sind“, erklärt ein Sprecher nur. „Leider ist derzeit nicht absehbar, wann die Prüfung abgeschlossen sein wird.“
Gar nicht äußern will man sich beim Auswärtigen Amt. Dieses nannte die humanitäre Lage in Syrien zuletzt jedoch „katastrophal“. In einem internen Lagebericht ist die Rede von „in allen Landesteilen weiterhin massiven Menschenrechtsverletzungen“. Und: „Eine sichere Rückkehr kann derzeit für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden.“
Bereits vor der Aufhebung des Abschiebestopps hatten die SPD, Opposition und Initiativen wie Pro Asyl gewarnt, dass Abschiebungen nach Syrien Menschenrechte verletzen würden und rechtlich nicht durchsetzbar seien. Die Unions-Minister um Seehofer hatten dagegen nach einer tödlichen Messerattacke eines syrischen Islamisten in Dresden erklärt, Ausweisungen dorthin dürften nicht mehr per se untersagt werden. Deutschland dürfe kein Schutzort für terroristische Gefährder sein.
„Ein grober Fehler“
Aber selbst im schwarz-gelben NRW hält man Abschiebungen nach Syrien derzeit für aussichtslos. Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) holte dazu gar ein eigenes Gutachten bei dem Völkerrechtler Daniel Thym ein. Der hält Abschiebungen nach Syrien höchstens in Einzelfällen für zulässig. Gerade islamistischen Gefährdern drohten aber „besonders häufig Folter oder unmenschliche Behandlungen“.
„Ich würde lieber heute als morgen alle Gefährder in ihre Herkunftsländer zurückführen, sofern das rechtlich möglich ist“, erklärt Stamp. Im Fall Syrien werde aber kein Gericht eine Rückführung zustimmen, solange dort noch Assad regiert. Es sei daher „ein grober Fehler, derartige Rückführungen derzeit in Aussicht zu stellen und der Bevölkerung etwas vorzugaukeln, was rechtlich und praktisch zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich ist“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale