Abschiebungen nach Afghanistan: In den Tod geschickt
Ein Mann, der aus Hamburg nach Afghanistan abgeschoben wurde, soll durch eine Granate gestorben sein. Zwei weitere Abschiebungen stoppte ein Gericht.
![Demonstranten haben sich am 11. Februar 2017 in Hamburg vor der Rathaus versammelt. Demonstranten haben sich am 11. Februar 2017 in Hamburg vor der Rathaus versammelt.](https://taz.de/picture/4958515/14/87974985-1--1.jpeg)
Er soll am 21. Juni in der Provinz Baglan ums Leben gekommen sein. Das Haus, in dem er schlief, sei nachts von einer Granate getroffen worden, wurde über in Deutschland lebende Verwandte bekannt. Sie schickten Fotos von der zerstörten Hauswand und dem Getöteten.
Unerträglich findet das die Abgeordnete Carola Ensslen. „Afghanistan ist das unsicherste Land der Welt“, sagt die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion. „In Krieg und Elend darf niemand abgeschoben werden.“ Hinzu komme, dass nach dem Truppenabzug die Taliban eine Offensive starteten. „Noch mehr Terror und Gewalt sind vorprogrammiert“, warnt Ensslen.
Nach Information des Hamburger Flüchtlingsrates sitzen seit Kurzem wieder zwei Männer im Abschiebegewahrsam am Hamburger Flughafen. „Am Dienstag, den 6. Juli, findet die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan vom Flughafen Hannover aus statt“, schrieb der am Montag. Hamburg sei „wieder beteiligt“. Nach Auskunft des Flüchtlingsrates im benachbarten Niedersachsen wurden auch aus Celle und den Kreisen Leer und Osnabrück Männer in die Abschiebehaft in Langenhagen überführt. Dagegen gab es am Montag Protest vor der Stadtverwaltung Celle. Heute ist eine Kundgebung in Hamburg geplant.
Linke kritisiert „doppelte Bestrafung“ der Menschen
Um „die Maßnahme nicht zu gefährden“, äußert sich die Innenbehörde nicht vorab zu geplanten Abschiebungen. „Wir wissen, die Lage ist schwierig“, sagt ein Sprecher. Es würden nur Straftäter ausgewiesen. Von dem Todesfall wisse er nichts, sagt er und verweist auf das Amt für Migration.
Dessen Pressestelle beantwortet fast alle Fragen der taz lakonisch mit „nein“. Das Amt könne weder bestätigen noch ausschließen, dass eine im Februar aus Hamburg nach Afghanistan abgeschobene Person dort durch eine Granate zu Tode gekommen sei. Auch auf die Frage, ob das Amt für Migration oder eine andere Stelle in Hamburg sich nach dem Wohlergehen der Abgeschobenen erkundigt, heißt es nur „nein“.
Die Hamburger Innenbehörde schreibt auf ihrer Homepage, dass Deutschland „bemüht“ sei, sicher zu stellen, dass diese in Afghanistan angemessen empfangen und versorgt werden. Das zuständige Bundesinnenministerium beantwortete Fragen der taz bis Redaktionsschluss nicht. Und auch verspätet gab es nur ein allgemeines Statement, ohne auf die Frage nach dem Todesfall einzugehen.
Carola Ensslen stellt regelmäßig Anfragen zu Abschiebungen. Demnach traf es im Februar zwei Personen, bei einer passten die Daten zu dem Toten. Der war 2018 vom Amtsgericht zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden wegen einer Körperverletzung. Doch diese Gefängniszeit hat der Mann vor einem Jahr abgesessen.
„Hier werden mit der Abschiebung Menschen doppelt bestraft“, sagt Ensslen. „Es sind junge Männer dabei, die ihre Strafe verbüßt und ihr Leben neu aufgestellt haben.“ Jeder habe eine zweite Chance verdient. Von Angehörigen wisse sie, dass dem einen, der neu abgeschoben werden soll, eine alte Jugendstrafe angelastet werde, dieser aber jetzt einen Job und Ausbildungsvertrag habe.
Studie warnt vor Gefahr für Abgeschobene
Die Flüchtlingsräte verweisen zudem auf eine Studie der Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann zu den Erfahrungen von 113 der 908 zwischen 2016 und März 2020 abgeschobenen Afghanen. Demnach laufen die Abgeschobenen Gefahr, verfolgt zu werden oder gar zu sterben.
Kurz vor Redaktionsschluss informierte der Grünen-Politiker Michael Gwodz die taz darüber, dass das Verwaltungsgericht beide Abschiebungen gestoppt hat. Auch er nennt die Lage in Afghanistan nach Abzug der Nato „besorgniserregend“. Es sei dringend, dass das Auswärtige Amt und Bundesinnenministerium ihre Einschätzung zur Sicherheit überdächten. Auch Straftäter hätten das Recht, „nicht in lebensbedrohende Situationen zu geraten“.
Ensslen sagt: „Es ist besorgniserregend, dass erst die Gerichte die Behörde stoppen.“ Sie will nun eine Anfrage stellen, um die Umstände des Todesfalls aufzuklären.
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