Abschiebungen aus Deutschland: Lageberichte unter Verschluss
Sie sind Basis für asylpolitische Entscheidungen. Doch die Bundesregierung will Berichte zur Sicherheitslage in anderen Ländern nicht veröffentlichen.
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„Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, wie die Bundesregierung die Sicherheitslage und Gefährdungen in Ländern einschätzt, in die abgeschoben wird“, sagt die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke). Sie hat in einer Schriftlichen Anfrage an die Bundesregierung eine Erklärung dafür gefordert, warum die Berichte der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden.
Es gehe darum, „außenpolitische Interessen zu wahren und Informationsquellen zu schützen“, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort, die der taz vorliegt. „Eine grundsätzliche Veröffentlichung der Lageberichte“, sei deshalb weiterhin „nicht beabsichtigt“.
Die Dokumente, die vom Auswärtigen Amt verfasst werden, sind vor allem Grundlage für die großen asylpolitischen Weichenstellungen, etwa die Frage danach, ob ein Staat als sicheres Herkunftsland eingestuft wird. Auch Richter*innen und Anwält*innen, die in juristische Asylstreitigkeiten involviert sind, erhalten Einsicht.
Der breiten Öffentlichkeit bleiben die Berichte zwar offiziell vorenthalten, allerdings gelangen sie meist dennoch an die Öffentlichkeit – wenn auch über einen Umweg. Die gemeinnützige Internetplattform FragDenStaat fordert auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes die Herausgabe der meisten Berichte an, die Bundesregierung ist dann verpflichtet, dem nachzukommen. Die Dokumente sind auf fragdenstaat.de einsehbar, lediglich einzelne Stellen bleiben aus Geheimhaltungsgründen auch dann geschwärzt. Dabei geht es meist aber nur um wenige Zeilen.
Will die Bundesregierung Diskussionen abwürgen?
All das spricht aus Sicht von Ulla Jelpke dafür, die Berichte direkt zu veröffentlichen und die tatsächlich geheimhaltungsbedürftigen Passagen gesondert aufzulisten. Jelpke erhofft sich davon größere Transparenz über die Grundlagen der deutschen Abschiebepolitik. Ihre Vermutung: Dass die Lageberichte unter Verschluss bleiben, unterbinde die Diskussion über deren Inhalt.
An dem, was in einzelnen Berichten steht, gibt es tatsächlich immer wieder Kritik. So etwa von Pro Asyl. Dessen Geschäftsführer, Günter Burkhardt, sagt: „Die Berichte sind teils beschönigend und zu verallgemeinernd.“
Dadurch, dass Berichte nur über Umwege und dank FragDenStaat einsehbar sind, sei es schwierig, fundierte Kritik zu äußern, so Burkhardt. Auf den letzten beiden Innenministerkonferenzen habe es etwa Überlegungen gegeben, nach Syrien abzuschieben – ohne dass der Öffentlichkeit der entsprechende Lagebericht Syrien überhaupt bekannt gewesen wäre. „Die Fakten müssen auf den Tisch“ so Burkhardt. Das sei auch eine Frage des Prinzips: „In einer Demokratie sollte es selbstverständlich sein, dass die Einschätzungen der Regierung nachvollziehbar sind.“
Ähnlich äußert sich Arne Semsrott von FragDenStaat. Auch er ist sich sicher, dass die Berichte breiter diskutiert würden, wenn sie offiziell von der Bundesregierung veröffentlicht würden. Die derzeitige Situation benachteilige zudem Helfer:innen, die sich für Geflüchtete einsetzen. „Insbesondere kleine Initiativen, etwa solche, die Erstberatungen für Geflüchtete durchführen, haben oft keine Einsicht in die Berichte“, sagt er. Das erschwere deren Arbeit. Passagen, die tatsächlich geheim bleiben müssen, könne die Regierung von Anfang an schwärzen, findet Semsrott – wie es ja bereits geschieht, wenn FragDenStaat die Herausgabe erzwingt.
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