Abschiebung von Sami A.: Rückholung oder 10.000 Euro Strafe
Tunesien will Sami A. nicht an Deutschland rücküberstellen. Das Verwaltungsgericht droht der Ausländerbehörde mit einer saftigen Geldstrafe.
Vorwürfe von Sami A. in einem Interview der Bild, dass er in Tunesien mit Folter rechnen müsse, wies Sliti zurück. „Wir bestätigen, dass das nicht geschehen wird“, erklärte er. „Wir bestätigen, dass die Rechtssprechung unabhängig ist und dass solche Praktiken nicht erlaubt sind“. Und mit Blick auf den Inhaftierten machte Sliti die Position klar: „Er ist ein Bürger dieses Landes mit allen Rechten in einem fairen Prozess“.
Sami A. war vor gut einer Woche von Düsseldorf aus in sein Heimatland ausgeflogen worden. Allerdings hatte am Vorabend das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, dass er nicht abgeschoben werden dürfe, weil ihm in Tunesien Folter drohe. Der Beschluss ging aber erst beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und den anderen Behörden ein, als sich Sami A. bereits auf dem Weg nach Tunesien befand. Das Gericht beklagt, es sei von den Behörden über den Termin im Unklaren gelassen worden. Es hat die Rückholung des Mannes angeordnet, dagegen wurde beim OVG Münster Beschwerde eingereicht.
Das Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen droht der Ausländerbehörde der Stadt Bochum nun mit einem Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro, falls Sami A. nicht bis zum 31. Juli 2018 zurückgeholt würde. Die auf dem Justizportal Nordrhein-Westfalen veröffentlichte Pressemitteilung enthält dazu folgende Erklärung: „Bei ihrer Entscheidung stellte die Kammer maßgeblich darauf ab, dass die Ausländerbehörde in den zurückliegenden 10 Tagen nach eigenen Angaben nichts Substantielles unternommen hat, um eine Rückführung des abgeschobenen Tunesiers in die Bundesrepublik Deutschland zu bewirken.“
SPD im Landtag will Rückkehr verhindern
Weiter heißt es, dass bislang mit Hilfe des Auswärtigen Amtes lediglich Anfragen zum aktuellen Aufenthaltsort und zur aktuellen Situation des Antragstellers an die tunesischen Behörden gestellt worden seien und dass diese Maßnahmen nicht ausreichten.
Die SPD-Opposition im Landtag will eine Rückkehr des als Gefährder eingestuften Tunesiers verhindern. Die Vize-Fraktionsvorsitzende Lisa Kapteinat hat Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag gebeten, sich um eine diplomatische Zusicherung Tunesiens zu bemühen, dass Sami A. in seiner Heimat menschenrechtskonform behandelt werde.
Die CDU/FDP-Landesregierung habe sich mit der eiligen Abschiebung auf einen „rechtlich sehr zweifelhaften Weg“ begeben, schrieb Kapteinat in einem Brief an Maas. Gleichwohl würde es auch die SPD begrüßen, wenn Sami A. „nicht mit erheblichem Kostenaufwand“ nach Deutschland zurückgeholt werden müsse, nur weil Tunesien sich weigere, die diplomatische Zusicherung zu geben.
Die SPD hat weitere Fragen an die Landesregierung. So will die Opposition in einem Brief an Innenminister Stamp wissen, wann der Minister erstmals Kenntnis davon hatte, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen an einem Eilbeschluss zur Abschiebung von Sami A. arbeitete. In dem Fall hätte Stamp wissen müssen, dass es jederzeit eine Entscheidung auch gegen eine Abschiebung hätte geben können, sagte Kapteinat.
Sieben Gefährder sind in NRW zur Zeit ausreisepflichtig
Unklar sei auch, warum das Gelsenkirchener Gericht nicht über den vom Ministerium in Abstimmung mit der Bundespolizei gebuchten Abschiebeflug am 13. Juli informiert worden war. Relevante Informationen dürften bei einem bevorstehenden Gerichtsbeschluss nicht vorenthalten werden.
In NRW sind derzeit sieben ausländische Gefährder „vollziehbar ausreisepflichtig“, wie aus einer Antwort von Innenminister Herbert Reul (CDU) auf eine Grünen-Anfrage hervorgeht. Die tatsächliche Rückführung sei aber von der Kooperationsbereitschaft der Herkunftsstaaten abhängig, betonte Reul.
Mit ihrer Antwort räume die Landesregierung „erfrischend ehrlich“ ein, dass die von ihr geplante Ausweitung des Polizeigewahrsams für Gefährder auf bis zu einen Monat überhaupt keinen Mehrwert für die innere Sicherheit bringe, kommentierte die Grünen-Landtagsabgeordnete Verena Schäffer. „Die bisherige Argumentation, man könne Gefährder in diesem einen Monat abschieben, fällt wie ein Kartenhaus zusammen.“
Die Verlängerung des Polizeigewahrsams bei der anstehenden Änderung des Polizeigesetzes sei „nicht nur verfassungsrechtlich hoch bedenklich, sondern substanzlose Showpolitik“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten