Abschiebung nach Ghana: Wenn Menschen Nummern werden
Am späten Montagabend startete in Hannover ein Abschiebeflug nach Ghana. Dort ist eines der härtesten Anti-LGBTIQ-Gesetze der Welt geplant.
Kurz vor dem Ende der Amtszeit von Horst Seehofer als Innenminister werden 25 Menschen abgeschoben, darunter mindestens zwei Kinder. Bis Redaktionsschluss antwortete das Innenministerium nicht auf eine Anfrage der taz.
Angekündigt wurde die Abschiebung am 3. November mit einer diplomatischen Verbalnote durch die deutsche Botschaft in Accra, die der taz vorliegt. Die 25 Abzuschiebenden würden durch Polizist*innen und einem Doktor begleitet, heißt es darin. Um die Gefahr einer Corona-Infektion zu minimieren, würden Abschiebehäftlinge und ihre Bewacher*innen getestet und erhielten Masken, steht in dem englischsprachigen Dokument.
Ghana galt mal als stabile Demokratie in der Afrikanischen Union. 2017 unterzeichnete die Regierung die Afrikanische Charta der Menschenrechte. Das Land gilt als „sicherer Herkunftsstaat“. Reisende nach Ghana warnt das Auswärtige Amt indes: „Es besteht insbesondere im Norden eine erhöhte Gefahr terroristischer Gewaltakte und Entführungen.“
Seit dem Sommer wird in Ghana ein Gesetzesentwurf im Parlament diskutiert, laut dem Homosexualität noch härter bestraft werden soll. Bereits jetzt sind bis zu drei Jahre Haft möglich – künftig sollen es bis zu zehn werden.
Eisige Temperaturen
Auch die öffentliche Unterstützung queerer Menschen soll unter Strafe gestellt werden. Die Neue Züricher Zeitung nennt das „Gesetz zur Förderung ordentlicher menschlicher Sexualrechte und ghanaischer Familienwerte“ eines der härtesten Anti-LGBTIQ-Gesetze der Welt. „Die bereits jetzt bestehende staatliche Verfolgung von queeren Menschen würde mit der Verabschiedung des Gesetzes eine neue, erschreckende Qualität annehmen und der Einordnung Ghanas als ein sicherer Herkunftsstaat Hohn sprechen“, sagt Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat Niedersachsen der taz und kritisiert die Abschiebung.
„Jetzt Nummer 24“, sagt eine Polizistin. Die Türen eines Wagens gehen auf und ein junger Mann, der in dem Transporter eingesperrt war und sich auf dem Boden seiner Zelle zusammengerollt hatte, wird als Vorletzter von zahlreichen Polizist*innen herausgeführt. Die Gruppe verschwindet um 1:20 Uhr in der Abfertigungshalle.
Durch ein Spalier von Polizeibeamt*innen werden die einzelnen Menschen auf der Rückseite des Gebäudes zu einem Flughafenbus gebracht. „Ja, alle Befunde bekommen“, ruft ein Mann mit einer Weste mit der Aufschrift „Medic“ einem anderen zu.
Mehrmals durchbrechen die Stimmen von fünf Aktivist*innen die Stille. Sie sind trotz der eisigen Temperaturen und des einsetzenden Nieselregens zum Flughafen gekommen. Am Nachmittag hatte sich eine Meldung über die anstehende Sammelabschiebung nach Ghana auf Twitter und Telegram verbreitet. Am 11. Dezember ruft die Gruppe Solinet Hannover außerdem zum Protest auf dem Opernplatz in Hannover auf. Die Aktivist*innen wollen Abschiebungen nicht einfach so hinnehmen.
Auf dem Rollfeld steht bereits die Maschine zur Abschiebung bereit. Die Boeing 737 der spanischen Charterairline „Privilege Style“ ist eines der Flugzeuge, die für Abschiebeflüge eingesetzt werden. „Privilege Style“ ist einer von mehreren Profiteur*innen von Abschiebungen.
Tragische Geschichten
Recherchen von Corporate Watch UK belegen, wie Firmen sich auf diese schmutzige Arbeit spezialisiert haben. Es geht um enorme Summen. 544.387 Euro gab die Bundesregierung im Jahr 2020 für drei Abschiebungen von insgesamt 51 Menschen nach Ghana aus. Im Jahr 2021 dürfte die Zahl mit bisher neun Charterflügen deutlich höher liegen. Um 3:13 Uhr hebt das Flugzeug mit mehr als einer Stunde Verspätung ab.
Zu den Betroffenen der aktuellen Abschiebung ließ sich bisher kein Kontakt herstellen. Wie häufig sind die Bemühungen um sogenannte Rückführungen nach Ghana gezeichnet von tragischen Schicksalsgeschichten. So berichtete die taz etwa im September über den Fall des 19-jährigen Seth Darko, der nach Ghana abgeschoben wurde, obwohl seine Mutter in Hamburg lebt und er eine Lehrstelle hatte.
Ende September schob die Bundesregierung dann Tagoe Quashie ab. Er hatte mit fünf weiteren Geflüchteten gegen die Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg geklagt. Das Problem, dass eine gerichtliche Überprüfung von höchst fragwürdigen Zuständen durch die Abschiebung von Betroffenen, die ihre Rechte einfordern, verhindert wurde, sei nicht neu, heißt es in diesem Fall vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.
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