piwik no script img

Abschiebung nach AfghanistanKeine Kekse für die Rückkehrer

Der dritte deutsche Abschiebeflug nach Kabul zeigt große Lücken in der Nachbetreuung. Die Unterbringung ist nur für zwei Wochen geklärt.

Ankunft in Kabul: Naim Muradi hat seit 2010 in Stuttgart gelebt und als Koch gearbeitet Foto: dpa

Kabul taz | „Ich begrüße euch nicht als Polizist, sondern als Landsmann.“ General Al-Hadsch Muhammad Asif Dschabbarchel, beleibter Kommandant des Hamid-Karsai-Flughafens in Kabul, bemüht sich redlich, die 18 sichtlich niedergeschlagenen abgeschobenen Männer aufzumuntern.

Sie sind Minuten vorher an Bord einer Chartermaschine in der afghanischen Hauptstadt gelandet. Er schnauzt seine Leute an, dass sie weder Tee noch Kekse bereitgestellt hatten und erklärt den Ankömmlingen, man werde sich um ihre Erstunterbringung kümmern. Er kann sie sogar zu einem gemeinsamen Gebet bewegen.

Obwohl die bayerische Polizei bereits am Mittwochabend kurz nach Start in München informiert hatte, lag die Zahl den afghanischen Behörden am nächsten Morgen zunächst genauso wenig vor wie die Passagierliste dieses dritten deutschen Abschiebeflugs seit Dezember 2016. Diese erhalten sie erst von einem Vertreter der deutschen Botschaft, nachdem die Maschine gelandet ist.

Der älteste Abgeschobene, der teilweise paralysiert scheint, muss von zwei Helfern gestützt werden, als er den Bus verlässt, der die Männer im Alter von 19 bis 53 Jahren von der Maschine abgeholt hat. Er bekommt sofort ärztliche Betreuung.

An Bord sind weit weniger Afghanen als von den deutschen Behörden geplant. Bei mindestens acht anderen hatten richterliche Beschlüsse die Abschiebung gestoppt. Vertreter der afghanischen Innen- und Außenministerien können am Morgen auch nicht sagen, ob Straftäter in der Gruppe sind. Deutsche Flüchtlingsaktivisten sprachen von zweien. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte Abschiebungen wiederholt mit der Notwendigkeit begründet, Straftäter und „Gefährder“ loszuwerden.

Sieben Abgeschobene kommen aus Provinzen, die selbst die Bundesregierung in ihrer umstrittenen Einschätzung der Lage in Afghanistan nicht als sicher betrachtet. Unter ihnen ist ein etwa 30-Jähriger aus der Provinz Paktia. Er wurde auf seiner Arbeitsstelle verhaftet und direkt zum Abschiebeflug verbracht. Man habe ihm keine Gelegenheit gelassen zu packen. So kommt er ganz ohne Gepäck und noch in der Jacke der Sicherheitsfirma an, für die er in Deutschland gearbeitet hat. In seinen Heimatdistrikt Gerda Zerai könne und wolle er nicht. Dort herrscht Dschalaluddin Haqqani, Chef eines der gefährlichsten Terrornetzwerke des Landes.

Bei einem jungen Paschtunen aus der Ostprovinz Nangrahar, ebenfalls umkämpftes Gebiet, hört man nach über fünf Jahren Aufenthalt im Südwesten Deutschlands kaum noch einen Akzent – und wenn, dann einen badischen. Er habe bis zu seiner Abschiebung als Koch in einer hochklassigen Bar mit Restaurant gearbeitet und „meine Steuern gezahlt“. Seine Kollegen hätten sich vergeblich für seinen Verbleib eingesetzt.

Je ein Abgeschobener stammt aus den Taliban-Hochburgen Kandahar und Urusgan im Süden, Chost im Südosten, Maidan-Wardak nahe Kabul und Kundus im Norden, dem früheren Hauptstationierungsort der Bundeswehr. Den hatten die Taliban im Oktober 2015 einmal ganz und im Oktober 2016 teilweise erobert.

Aber auch in den Herkunftsgebieten der elf anderen – Kabul, Balch mit der Hauptstadt Masar-i-Scharif und Herat kommt es immer wieder zu Kämpfen und Terroranschlägen. In Masar griffen die Taliban im November das deutsche Generalkonsulat an.

Im Terminal bieten Vertreter afghanischer Ministerien, der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sowie einer von der Bundesregierung finanzierten Hilfsorganisation die Erstbetreuung der Abgeschobenen. Acht von ihnen gehen in eine IOM-betriebene Übergangsunterkunft in Kabul, wo sie zwei Wochen bleiben dürfen.

Was danach kommt, ist unklar. Afghanistans Regierung hat keine Infrastruktur zur Reintegration. Auch ein neues IOM-Programm, das Zuschüsse für Ausbildung oder für ein Kleingewerbe von umgerechnet 700 bis 2.000 Euro stellt, erscheint sehr gering.

Als die letzten Abgeschobenen die Passkontrolle passieren, sind Kekse und Tee immer noch nicht da.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Klar, wo die TAZ hinschaut ist natürlich jeder Geflüchtete eine Stütze der deutschen Gesellschaft. Und wenn das Heimatdorf unsicher wird, dann ist gleich das Ticket nach Deutschland zu lösen. Die Flucht in die relativ ruhige Nachbarprovinz darf da nicht genügen.

     

    Viel Spaß in eurer Filterblase!

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    Unser Michelin-Männchen im Innenministerium sollte auf jeden einzelnen dieser Fälle persönlich angesprochen werden. Was macht es für einen Sinn integrierte Steuerzahler nach Afghanistan zu schicken?

  • Sachdienlich ist einen Blick auf unseren Innenminister zu werfen:

    Er sei heute ein Christ. S. dazu: Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken, denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten gewesen. 2.Mose 22,20 Gewährung von Asyl 5. Mose 19

    "Hugenotten ist die etwa seit 1560 gebräuchliche Bezeichnung für die französischen Protestanten im vorrevolutionären Frankreich. Ihr Glaube war stark vom Kalvinismus beeinflusst. Dort habe ich als Beschreibung gefunden: "Völlige Verderbtheit/Unfähigkeit Aufgrund des Sündenfalls beherrscht die Sünde den ganzen Menschen, sein Denken, seine Gefühle und seinen Willen. Daher ist der natürliche Mensch nicht fähig, die Botschaft des Evangeliums zu verstehen, er ist völlig hilflos und verloren."

    wären wir beunruhigt?

    Thomas de Maizière wüsste was seine Aussagen bewirken,

    Da seine Vorfahren selbst im 17. Jahrhundert aus der Region Metz geflohen war, hat sogar er sich in Deutschland integriert! Er schreibt auf seiner Web-Seite, "dass er und seine Familie in Dresden / Sachsen die Heimat ihrer Herzens" gefunden haben." Aber sein Reden kann die Menschen beunruhigen!

    • @Peter Meisel:

      Diese Hugenotten-Hetze ist erbärmlich ! Und alles wegen der Misere !

  • Einzelschicksale hervorzuheben finde ich besonders in diesem Fall auf keinen Fall verwerflich. Besonders deshalb nicht, weil es die Menschlichkeit derjenigen betont, um die es schließlich geht. Fakt ist: Es werden Menschen in Regionen abgeschoben, in denen sie um ihr Leben fürchten müssen. Das niemand freiwillig dort hin zurückkehrt weil sein Asylantrag ablehnt wurde ist durchaus verständlich und menschlich.

  • Einzelschiksale herauszustellen (Koch in Südbaden usw.) ist natürlich gut um Emotionen zu wecken. Sachdienlich ist das nicht.

     

    Etwa so wie Sie auch kein Einzelschicksal eines Afghanen thematisieren, der es mangels Geld erst gar nicht bis Europa geschafft hat und wie unfair das jetzt doch ist, dass die Heimkehrer Reintegrationsprogramme bekommen (inl. Rückflugticket) und genau das Geld für eine Schulsanierung in einem kleinen Dorf in der Nähe von Kandahar jetzt fehlt.

     

    Es müssen die Asylaspekte von Nigeria bis Syrien/Afghanistan in einen größeren Kontext gestellt werden und dann über die Großrichtung eine gesellschaftliche Einigung gefunden werden.

     

    Maiziere mit Diktatoren gleichzusetzen wie hier in den Kommentaren oft gelesen und wegen 16 Abgeschobenen UNmenschlichketen anzuprangern ist einfach nur voll daneben und löst keines der Probelme außer für sich selbst Depressionen zu befördern.

  • Ich hoffe, die Sicherheitsfirma kriegt ihre Jacke wieder.

  • Jo, so schaffen "wir" das, Frau Merkel! (Schritt für Schritt die Menschenrechte ab!)

  • Die Party ist vorbei. Alle hatten mehrere Jahre Zeit regulär aus Deutschland irgendwohin auszureisen, nachdem kein Asyl anerkannt wurde. Dafür haben sie immer wieder auch finanzielle Angebote bekommen. Die Abschiebung in einer Sondermaschine nach Kabul ist das letzte Mittel des Staates, der auf sein Recht bestehen muss. Dass man ihnen trotzdem noch Geld für den Neuanfang gibt und den Flug nicht in Rechnung stellt, ist immer noch großzügig.