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Abschiebehaft in GlückstadtWer haftet für die Haft?

Zuwanderung und Integration gehört in Schleswig-Holstein nun zum Sozialministerium. Nur mit Abschiebehaft will Ministerin Touré nichts zu tun haben.

Im Knast: Abschiebehaft in Glücksstadt Foto: Ulrich Perrey/dpa

RENDSBURG taz | Aminata Touré (Grüne) ist normalerweise alles andere als zurückhaltend: Sogar über ihr aktuelles Make-up berichtete Deutschlands erste Schwarze Ministerin jüngst per ­Instagram. Auffallend ruhig ist das von ihr geleitete Sozialministerium dagegen, wenn es um die Abschiebehaft in Schleswig-Holstein geht.

Zwar bilden die Themen Asyl, Flucht, Zuwanderung und Integration nun einen Schwerpunkt des Sozialministeriums, die Haftanstalt aber soll zum September an das Justizministerium angegliedert werden. Offizielle Statements dazu gibt es von den beteiligten Häusern nicht. Die Trennung könnte durchaus Vorteile haben, meint der Flüchtlingsrat – wenn das so gewollt ist.

Meterhohe Mauern, Stacheldraht, Innenhöfe, die nur durch vergitterte Gänge zu betreten sind: In der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt, die in einer ehemaligen Kaserne untergebracht ist, sitzen Menschen, die keine Verbrechen begangen haben – denen die Behörden aber zutrauen, unterzutauchen statt sich abschieben zu lassen. Die Einrichtung mit rund 60 Plätzen, die auch Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern belegen können, wurde 2021 auf Beschluss der Jamaika-Regierung eröffnet.

Für die Grünen gehörte das zu den schwierigsten Entscheidungen während der Koalition mit CDU und FDP. Drei Jahre zuvor hatten sie mit SPD und SSW die alte Abschiebehaft geschlossen.

Niemand wollte verantwortlich sein

Zuständig für die neue Haftanstalt ist das Landesamt für Zuwanderung und Integration, das bislang dem Innenministerium unter der Sabine Sütterlin-Waack (CDU) unterstellt war. Nun hat Touré das Landesamt unter das Dach des Sozialministeriums geholt – bis auf die Abschiebehaft. Die Ministerien und das Landesamt bestätigen auf Anfrage den Wechsel der Zuständigkeit, wollen sich aber darüber hinaus nicht äußern.

Das spricht dafür, dass die Beteiligten die Lösung für nicht besonders glücklich halten. Offenbar, so klingt es in Gesprächen durch, lag bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen die Verantwortung für die Abschiebehaft wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel auf dem Verhandlungstisch: Niemand wollte sie haben. Schließlich soll die CDU zugegriffen haben.

„Ich sehe keinen Unterschied, welches Ministerium zuständig ist, sondern fordere, dass es keine Abschiebungs­hafteinrichtung gibt“

Stefan Schmidt, Zuwanderungsbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein

Kritik kommt von der Opposition: „Wenn das Innenministerium weiter zuständig wäre, hätte ich das ja noch verstehen können“, sagt SPD-Sozialpolitikerin Birte Pauls. „Aber das Justizministerium?“ Das passe nicht zu den Versprechen der Regierung, es handele sich eben nicht um eine Haftanstalt im üblichen Sinn. „Wir haben immer kritisiert, dass man Menschen einsperrt, die nichts verbrochen haben“, sagt Pauls.

Im – bisher nicht eingetretenen – Extremfall ist sogar denkbar, Frauen und Kinder hinter die Glückstädter Gitter zu bringen. „Und für diese Familien will die Sozial- und Familienministerin auch nicht mehr zuständig sein?“, fragt Pauls. Sie wirft Touré vor, sich „ein Handtaschenministerium zu bauen, statt mit schwerem Gepäck zu arbeiten“.

Verständnis für Touré vom Flüchtlingsrat

Doch es gibt auch Verständnis dafür, dass die Neumünsteranerin Touré, deren Eltern vor ihrer Geburt aus Mali geflohen waren, keine Verantwortung für die Abschiebehaft übernehmen will. „Wir können das gut nachvollziehen“, sagt Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, der die Haft als „folgenschweres finsteres Erbe aus der Jamaika-Koalition“ generell ablehnt. Sachlich müsse die Trennung nichts Schlechtes bedeuten: „Es hat den Abschiebungshäftlingen in den vergangenen Jahren nicht unbedingt gutgetan, dass die Fachaufsicht für den Umgang mit ihnen im selben Ministerium angesiedelt war wie die Aufnahme von Schutzsuchenden und die Integration von Einwander*innen.“

Martin Link verweist darauf, dass zahlreiche Haftbeschlüsse rechtswidrig seien: Wer keine Rechtsberatung oder Unterstützung habe, unterliege oft den teilweise „hemdsärmeligen Beschlüssen“ der Amtsgerichte. Wenn nun das Justizministerium auch die Abschiebehaft verantwortet, „bleibt abzuwarten, ob das der Gerechtigkeit Früchte bringt“.

Auch Torsten Döhring, Stellvertreter von Stefan Schmidt, dem Zuwanderungsbeauftragten des Landes, findet die neue Zuständigkeit nicht bedenklich: „Schließlich ist es kein freies Politikfeld, sondern die Ausländerbehörden handeln nach Recht und Gesetz.“ Da die Bundesebene zuständig sei, könne keine Landesministerin die Regeln für den Aufenthalt ändern. „Aber sie kann Erlasse herausgeben, die den Rahmen hinsichtlich der Abschiebungshaft vorgeben“, betont Döhring. „Das wird sie aber auch können, wenn die Justizministerin für die Abschiebungshaft zuständig ist.“

Stefan Schmidt selbst sagt es kurz und knapp: „Der Zuständigkeitswechsel hat keine aufenthaltsrechtliche Relevanz. Insofern sehe ich keinen Unterschied, welches Ministerium zuständig ist, sondern fordere, dass es keine Abschiebungshafteinrichtung gibt.“

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