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Abkommen zum Schutz der ArtenvielfaltArgumente für Moor und Wolf

Heike Holdinghausen
Kommentar von Heike Holdinghausen

Der Vertrag von Montreal löst nicht das Problem des Artensterbens. Aber er bildet einen wertvollen Leitfaden, um Biodiversität besser zu schützen.

In jeder Hinsicht ein guter Anblick: Eine Erdkröte im Eppendorfer Moor Foto: Jonas Walzberg/dpa

H at wirklich irgendwer geglaubt, die Weltgemeinschaft – und auf der Konferenz der Mitgliedsstaaten der Biodiversitätskonvention in Montreal war ja wirklich die ganze Welt, auch die USA, obwohl sie nicht Mitglied sind, und der Vatikan ist egal – würde so eine Art Umweltgesetzbuch verabschieden? Die Länder würden an einem Dezembertag des Jahres 2022 verkünden, sie würden künftig ihre Chemieindustrie gesundschrumpfen, Ackergifte verbieten, Düngemittel reduzieren, die Plastikproduktion einschränken; sie würden die Landrechte neu ordnen, den Straßenbau einstellen, den Papierverbrauch rationieren? Sie würden ihre Banken und Investmentsfonds an die Kette legen und ihnen Investitionen verbieten, die Böden versiegeln, die Klimakrise anheizen und Meere verdrecken? Und so weiter?

Das alles wäre nötig, um wirksam weltweit den Verlust der Biodiversität zu stoppen. Es wäre nötig, um Tieren und Pflanzen Lebensräume zu bieten und Ökosysteme zu erhalten.

Von denjenigen, die sich schon länger mit dem Schutz der Artenvielfalt befassen, hat das wohl niemand ernsthaft geglaubt. Obwohl jetzt einige so klingen: Der Vertrag sei nicht konkret genug. Er wiederhole die Fehler der Aichi-Ziele, die der Vertrag von Montreal ersetzen wird: Hehre Ansprüche, nix dahinter, keine Sanktionen für Frevler, keine Berichtspflichten für Staaten oder Unternehmen, keine Verbote. Das ist alles richtig, wenn man an den Vertrag von Montreal den Maßstab einer Richtlinie oder eines Gesetzes anlegt. Mit solch einem Maßstab aber lässt sich das „Rahmenabkommen“ der CBD, der Konvention über Biologische Vielfalt, nicht fassen. Das Abkommen mit seinen „Goals“, also langfristigen, und „Targets“, also kurzfristigen, konkreten Zielen, ist eine Diskurshilfe. Nicht mehr. Aber das ist nicht wenig.

Gewiss: Es ist weniger als das Klimaabkommen von Paris. Dieses hat zwar bislang nicht dazu geführt, dass die Treibhausgasemissionen – neben der Landwirtschaft übrigens der zweite große Treiber der Biodiversitätsverluste – sinken. Aber „Paris“ ist rechtlich verbindlich und ermöglicht somit Klagen – etwa vor dem Bundesverfassungsgericht. Seine Kraft entfaltet der Vertrag aber vor allem mit seinem „1,5-Grad-Ziel“. Das halten die meisten Wissenschaftler zwar für nicht mehr erreichbar, doch im politischen Diskurs ist es unschätzbar. Das Ziel wird inzwischen auch von jenen als Argument akzeptiert, die den Klimawandel vor 10 Jahren noch für so drängend hielten wie die Reform der Buchpreisbindung.

Biodiversität ist ein harter Kampf um Interessen: Wer verdient an einem Stück Land? Wer will die Natur erhalten?

Inzwischen ist das Ziel aller ernstzunehmenden Politikangebote in Deutschland die Klimaneutralität innerhalb der nächsten 30 Jahre, auch wenn sich über die jeweiligen Lösungsvorschläge natürlich trefflich streiten lässt. In den meisten Demokratien ist es ähnlich, in Diktaturen, die auf Stabilität bedacht sind – wie China – ebenso. Seine Wucht hat der „Paris-Moment“ nicht durch den Wortlaut der Verträge entfaltet, sondern durch das Bekenntnis, Klimaschutz jetzt ernst zu nehmen.

Solch ein Bekenntnis hat beim Verlust der biologischen Vielfalt bislang gefehlt. Nun ist es da. Wucht und Durchsetzungskraft wird das Abkommen von Montreal künftig nicht dadurch entfalten, dass das interessierte Publikum es zerredet und sich in Textexegese verzettelt. Sondern dadurch, dass Umweltverbände, Bürgerinitativen und Parteien das Bekenntnis nutzen, um lokale, politische Entscheidungen zugunsten der Biodiversität durchzusetzen.

Wenn der Deutsche Bauernverband künftig gegen die Wiedervernässung von Moorgebieten wettert, stellt er sich offen gegen einen Vertrag der Länder der Welt. Denn auch Deutschland muss wertvolle, zerstörte Naturflächen renaturieren, und Moore fallen Natur- und Klimaschützern da als erstes ein. Wenn das EU-Parlament beschließt, den Abschuss von Wölfen in Europa zu erleichtern, handelt es gegen den Geist von Montreal. Denn der sieht vor, dass die Populationen von Wildtierarten groß genug sein müssen, um die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und somit ihre Widerstandskraft gegen Umweltveränderungen zu erhalten. Und der Verband der Ölsaaten verarbeitenden Industrie muss bessere Antworten als bisher finden, wenn er gefragt wird, von welchen brasilianischen Äckern die Soja-Importe seiner Mitgliedsunternehmen stammen, und ob dort die Rechte der lokalen Bevölkerung geachtet wurden oder nicht.

Obwohl Berichtspflichten sinnvoll wären, fragen kann man auch ohne sie. Man braucht nur zu wissen, dass der Soja-Anbau den Regenwald zerstört und dass dies die Biodiversität gefährdet. Und dass die Menschheit diese tödliche Kette abreißen möchte. Denn jede banale, noch so kleine Entscheidung ist eingebettet in eine große Erzählung. Soll die Stadt Brandenburg an der Havel ein neues Gewerbegebiet auf die grüne Wiese setzen, um ihrer wachsenden Bevölkerung Beschäftigung und Wohlstand auch in Zukunft zu sichern? Nein, soll sie nicht. Soll Rheinland-Pfalz seine Bundesstraße 10 vierspurig ausbauen? Nein, auch nicht. Für beide Projekte gibt es gute Gründe und Argumente. Aber sie versiegeln Böden, zerreißen intakte Naturräume, führen zu Treibhausgasemissionen und stellen damit genau den Kampf gegen die Natur dar, den die Staatengemeinschaft in Montreal für beendet erklärt hat.

Insofern hat die gute alte Forderung vom „global denken, lokal handeln“ in dem Abkommen einen Leitfaden bekommen. Es ist darin aufgelistet, was es zu bedenken gilt, es sind Problem­felder beschrieben, die zu lösen sind. Das wird auch künftig nicht einfach. Der Schutz der Biodiversität ist, noch mehr als der Klimaschutz, immer Teil eines harten Machtkampfes. Es geht darum, wie ein Stück Land bearbeitet wird. Wer darauf bauen darf. Wo Bodenschätze gehoben werden dürfen. Und wer an all dem verdient. Es geht aber auch um Ideale, um die Liebe und die Nähe zur Natur. Dass sie nicht leichter wiegen müssen, das steht jetzt in dem Vertrag von Montreal. Wir sollten ihn hoch halten.

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Heike Holdinghausen
Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
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9 Kommentare

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  • Liebe Heike Holdinghausen, ich schätze Ihre Artikel wirklich sehr! Nur wenn dieses Papier eher ein "Leitfaden" oder eine "Diskurshilfe" ist, wieso hat denn die weltweite Einrichtung der Biosphärenreservate



    de.wikipedia.org/w...h%C3%A4renreservat

    ausserhalb der Kernzonen, so wenig für den Schutz der Biodiversität gebracht?

    Aber jetzt halte ich meine Klappe und hoffe dass alles ganz anders kommt.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Alles, was irgendwie tatsächlich hilft, ist nur zu begrüßen. Dennoch ist es nicht abwegig zu erwähnen, dass es so nicht reichen kann. Wir müssen handeln, egal unter welchen Bedingungen. Der Grund dafür ist, dass wir Verhältnisse geschaffen haben, die uns in einen planetaren Überlebenskampf zwingen.

  • Ich möchte an dieser Stelle nochmal daran erinner, dass es unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass bei der 30% Regelung (30% der Erde unter Naturschutz) darauf geachtet wird, dass i digene Menschen weiterhin auf ihrem angestammten Terrirorium leben und auch jagen dürfen. Das haben sie seit 1000en von Jaheren getan, ohne der Natur zu schaden. Momentan werden sie im Namen des Naturschutzes dafür von Rangern vertrieben, eingesperrt oder sogar ermordet. Sogar zu Vergewaltigungen von angeblichen Naturschüttern soll es gekommen sein. Wenn indigene jagen heisst das Wilderei. Wenn weiße jagen, heisst das Safari. Bitte lass uns gemeinsam auf diesen Aspekt achten.

    • @Nadja Hula:

      Bis zu welchem "Entwicklungsgrad" ist man denn noch "Indigen"? In Madagaskar Übernutzen die "Indigenen" Ihre Lebensräume sehr drastisch, was dazu führt, dass die natürliche Vegetation mit hohem Tempo verschwindet und die Menschen dort, wo das passiert plötzlich kein Wasser und keine Nahrung mehr finden. 30% unter Schutz zu stellen bedeutet die letzte Chance, einen totalen Kollaps zu verhindern. Auch für die Indigenen. Ob und wie die 30% noch genutzt werden können, ist eine andere Sache, welche die Regierungen vor Ort entscheiden müssen. Ich befürchte nur, dass man es bei uns mit den 30% nicht so ernst nehmen wird, was eine Schande ist.

  • CBD



    Netter Name. Soll ja gesund sein. Andererseits: Für das Zeug wird man in manchen Ländern verhaftet ... Und demnächst nur noch Stallhaltung statt vielfältiger Bewirtschaftung unserer Agrarlandschaft ? Exklusiv mitm Rasenmäher übern Deich ? Lammsteak exklusiv aus Neuseeland ? Den Geist von Montreal sehn wir da schon im Morgendunst schweben, über den toten Schafherden. Das mit den Wölfen in Mitteleuropa is doch hirnverbrannter Schwachsinn.



    www.apotheken-umsc...ist-es-867601.html



    www.shz.de/deutsch...ie-deiche-41735124

  • Bzgl. a) „Hat wirklich irgendwer geglaubt ... sie würden künftig ihre Chemieindustrie gesundschrumpfen, Ackergifte verbieten“, und b) „Man braucht nur zu wissen, dass der Soja-Anbau den Regenwald zerstört und dass dies die Biodiversität gefährdet. Und dass die Menschheit diese tödliche Kette abreißen möchte“:

    Zu a) Wir hier in Brasilien mit Sicherheit nicht. Denn, und somit zu b), erst gestern hat unser (gewählter) Kongress erneut ein global-herausragendes Ökozidsignal gesetzt, welches diametral zur Wunschvorstellung der Autorin von der „Menschheit“ steht. Wir haben – bereits davor Weltmeister im Agrargifteverbrauch (Monsantoschlucker Bayer schätzt uns ganz besonders und Euer Laissez-faire, wenn denn Eure Gifte über Indigene oder Quilombola-Dörfer „irgendwo im fernen Süden“ versprüht werden) – unsere zuvor schon im Weltkontext anachronistische „Regelung“ der Massenvergiftung pro Commodities noch mal aufgeweicht. In der Vorstandsetage bei Bayer sind wohl schon so manche Augen rührungsfeucht.

    „Es geht aber auch um Ideale, um die Liebe und die Nähe zur Natur“, niemand weiss das besser und intrinsischer als Indigene Gesellschaften. Die – Montreal hin, Montreal her – weiter mit genozidärem Eifer weggeräumt werden, auf dass sie dem lukrativen Ökozid nicht im Wege stehn.

    Das – in aller möglichen Kürze – als Globaler-Süden-Zusatz aus einer Perspektive von ganz unten (und „vergessen“), dem Pyramidensockel des nie gebrochenen Widerstandes, also jene die Bayer (Syngenta, Cargill & Co.) umbringen hilft. Wer mehr davon erfahren will:



    books.google.de/bo...AAQBAJ&redir_esc=y

  • Ich vermute, man wird in wenigen Jahren feststellen können, ob sich etwas bewegt hat, oder nicht. Was die Umsetzung in Deutschland anbelangt, hoffe ich nicht, dass das Abkommen so behandelt wird, wie Natura 2000. Zuerst hat man das EU - Recht so lange ignoriert, bis Strafzahlungen drohten. Als Ignorieren dann nicht mehr ging, hat man es so Larifari umgesetzt, dass es zumindest in Wäldern nicht mehr schützt (es gab eine Untersuchung darüber, ob die FFH - Arten mit oder ohne FFH - RL besser dran sind - Ergebnis: es ist egal). Ich sehe da nicht besonders optimistisch in die Zukunft; wäre schön, wenn ich Unrecht hätte).

    • @Axel Donning:

      Ja, es stimmt, was Sie schreiben. Es ist bitter. Die 1979 verabschiedete Europäische Vogelschutzrichtlinie hatte das Ziel, den Rückgang der Vogelpopulationen zu stoppen. Und wie ist es abgelaufen? Verzögerung, Ignorieren, Androhung von Strafzahlungen seitens der Europäischen Kommission nach 25 Jahren, überhastete Ausweisungen als Landschaftsschutzgebiet, der niedrigsten Schutzkategorie. Und dann ist es hier regelmäßige Praxis Flächennutzungsplanänderungen für wirtschaftliche Projekte mit Ausnahmegenehmigung auf den Weg zu bringen. Die Ausnahme ist die Regel. Bis heute gibt es so gut wie keine Managementpläne zur naturschutztauglichen Entwicklung der Gebiete. Gesetze und Richtlinien sind da, die Ignoranz ist aber ausgeprägt.



      Naturschutz ja, aber wo? Die Interessenverbände sind mächtig und die kommunale Ebene ist stark im Kirchturmdenken. Es wird weggewogen und eine Kontrolle von oben fehlt.

      Im Grunde ist alles wie immer und doch gibt mir das Papier aus Montreal zumindest etwas Hoffnung. Aber nur dann, wenn sich die junge Generation aufmacht und diejenigen in den Gremien unterstützt, die die Ziele des Artenschutzes ernst nehmen.



      Das traurige ist aber, dass es zu wenige sind. Die allermeisten verausgaben sich bei TikTok und Instagram oder spielen fleißig PC-Spiele. Auf diese Weise sediert, ist die Gegenwehr schwach, es läuft gut für die, die den Naturschutz als Investitionshindernis wahrnehmen.

  • Die Autorin hebt den Kern dieses Abkommens sehr gut hervor.

    Schwierig wird die Umsetzung, denn der Deutsche Bauernverband vertritt in erster Linie die Interessen der großen Konzerne. Aktuell sind sie in Union mit der EVP im europäischen Parlament bereits stark engagiert, die Einschränkungen zu Pestiziden und Dünger zu verwässern. Das alte Spiel.

    Auch in den Gemeinde- und Stadträten sowie in den Kreistagen sitzen überwiegend Bürgerinnnen und Bürger, die mit einem nicht zukunftstauglichen (veralteten) Weltbild die Entscheidungen für die nächsten Generationen treffen. Es sind die vielen kleinen, wenig spektakulären Entscheidungen für Bau- und Planierungsprojekte, die die ökologischen Systeme in der Summe sukzessive aushölen.

    Es wäre nun Zeit diese Entscheidungsträger wachzurütteln und an die Einhaltung des Vertrages von Montreal zu erinnern.

    Der Bauernverband sollte als das in den öffentlichen Fokus gerückt und eingeordnet werden, was er ist: Ein Lobbyverband der Industrie aus dem Agrar-, Chemie-, Pharma-, Anlagen- und Finanzbusiness.