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Abgebrochene Mutter-Kind-KurHolt mich hier raus!

Mutter-Kind-Kuren versprechen Erholung. Aber manchmal sind die anderen Mütter dort die Hölle. Ein Erfahrungsbericht zum Muttertag.

Nicht nur beim Essen wird unsere Autorin von anderen Müttern für das Benehmen ihrer Kinder verurteilt Foto: dpa

Ich bin nicht krank. Aber bevor ich es werde, hat mir meine Hausärztin zu einer Mutter-Kind-Kur geraten, denn ich habe zwei Kinder, einen Job, in den ich gern mehr Zeit investieren würde, ein ausgeprägtes Verlangen nach einer aufgeräumten Wohnung, eine pflegebedürftige Mutter, eine Beziehung und Freunde, die ich gern ab und zu treffe – die bekannten Probleme, man könnte es auch die typische Work-Life-Imbalance nennen.

Dass ich fast nie durchschlafe, weil nachts immer ein Kind in mein Bett kommt, ist wahrscheinlich der Hauptgrund für meine Beschwerden: Erschöpfung, Reizbarkeit, Unzufriedenheit. Die Krankenkasse bewilligt mir die Kur sofort, es fühlt sich an wie ein Hauptgewinn. Freundinnen und Bekannte geben sich neidisch. Ich darf also drei Wochen lang in ein Hotel mit Pool in Glanzprospekt-Umgebung und muss mich nur um mich selbst kümmern. Meine Kinder, 2 und 4 Jahre alt, werden betreut, verpflegt – und sie werden viel Spaß haben.

Als wir ankommen, wird aber schnell klar: Ein paar Kompromisse werden wir machen müssen. Das Wellnesshotel aus dem Katalog erweist sich als eine Art Pflegeheim mit dem Charme einer Besserungsanstalt. Vor allem aber scheint das Personal selbst reif für eine Kur, keiner ist hier richtig freundlich. Gleich zu Anfang müssen wir fast drei Stunden beim Kurarzt warten, meine Kinder randalieren ein bisschen im Wartezimmer, wir ernten strenge Blicke. Auweia.

Aber: Das Zimmer ist schön, die Gegend auch. Doch bevor es mit Moorpackung und Sauna losgeht, steht erst mal ein „Team-Modul“ auf dem Plan. 21 Mütter sind mit mir hier. Jede Woche kommt eine neue Fuhre, die jeweils drei Wochen bleibt. Unsere Gruppe ist die „weiße“ Gruppe, raunt uns die elegant gekleidete Klinikchefin zu. Sie empfängt uns – „ihre“ Frauen – im Kaminzimmer, es gibt Kaffee und Kekse. Die Farbe Weiß soll offenbar identitätsstiftend sein und zum Zusammenhalt animieren.

Keine Solidarität zwischen den Müttern

Ich schaue mich um und blicke in entnervte Mienen, müde Gesichter. Das Gefühl einer verschworenen Gemeinschaft stellt sich nicht ein. Die ersten meckern über freilaufende Kinder im Speisesaal. Ich fühle mich ertappt. Mein Sohn ist einer derjenigen, die sich in Anwesenheit anderer Kinder schnell zum rebellischen Aufrührer erwählt fühlen. Für ihn sind die Mahlzeiten eine einzige Party. Er rennt von Tisch zu Tisch und scheucht selbst die bravsten Kinder auf. Die bösen Blicke der anderen Mütter sind für ihn der spannendste Teil dieses Spiels – sie sind die Monster, denen es auszuweichen gilt. Mich machen diese Blicke nervös.

Wir erleben im Speisesaal, wie eine junge Mutter aus Sachsen ihre beiden Kleinkinder im Minutentakt niederschreit. Neben ihr verdreht eine Frau aus Rügen die Augen, ein Ausdruck großbürgerlicher Verachtung für die fehlende Contenance der anderen. Andere Frauen sitzen tuschelnd beisammen, ich stelle mir vor, wie sie über all die Mütter lästern, deren Kinder strenge Zurechtweisungen eiskalt ignorieren.

Über Mütter wie mich zum Beispiel. Kaum habe ich die Kinder beim Abendessen aus ihren Anoraks geschält und mit autoritärer Geste auf ihre Plätze verwiesen, rase ich zum Buffet. Schnell für drei Personen dreimal Essen und Trinken holen, beim Apfelsaftspender staut es sich, beim Salat muss ich warten, bis das Dressing nachgefüllt ist. Ein hastiger Blick zum Tisch: Meine Tochter sitzt ruhig auf ihrem Stühlchen, der Platz meines Sohnes ist – leer.

Da kommt mir bereits eine zornige Mutter entgegen. „Dein Sohn hat mich gerade angespuckt“, schreit sie durch den Saal. Mir schlägt Häme entgegen. Man hat es offenbar kommen sehen. „Wundert mich nicht“, giftet eine Mutter, die ich bis dahin eigentlich nett fand. „Mit der richtigen Erziehung kriegt man so etwas in den Griff“, schießt eine andere in meine Richtung.

Ärger auf sich selbst und die eigenen Kinder

Meine Wut richtet sich gegen mein Kind. Wie kann es mich nur so bloßstellen vor den anderen? Ich schnappe meinen Sohn, zische einige Drohungen und zwinge ihn, sich sofort zu entschuldigen. Die Angespuckte zeigt sich noch immer empört, so was sei ja wohl das Allerletzte. Ich will ihr gerade zustimmen, da fällt mir ein, nochmal nachzufragen: „Was hat er eigentlich genau gemacht?“ „Na, die Zunge hat er mir rausgestreckt!“ Dabei habe er mit den Lippen geprustet. Das fällt also in die Kategorie Anspucken?

Ich ärgere mich über mich selbst: Ein bisschen mehr zum eigenen Kind stehen wäre wohl angebracht. Aber die Zweifel an meiner Erziehungsweise werden trotzdem bei mir lauter. Wieso gehorcht das Kind mir nicht? Wieso klappt es nicht, mit Geduld, Zureden und hier und da ein paar Konsequenzen?

Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass auch ich im Mütter-Wettkampf mitmache.

Im Kommunikationskurs lerne ich am nächsten Tag: Ich sende zu viele „Du-Botschaften“. Ich bin einfach zu inkonsequent, müsste die Kinder mehr „führen“. Mir fällt ein Hollywoodfilm ein, in dem ein Polizist seinem Hund klarmacht, dass er das Alphatier ist. Vielleicht probiere ich es mal damit, meinem Sohn minutenlang in die Augen zu starren? Aber gerade das Wilde, Ausgelassene an seinem Wesen finde ich besonders liebenswert, wenn zugleich auch besonders anstrengend.

Ich stehe unter Druck. Das kenne ich schon aus meinem Alltag. Seit ich Kinder habe, wird mir von allen Seiten erklärt, dass es nun gilt, verantwortlich zu handeln, sich erwachsen zu benehmen, ein gutes Vorbild zu sein. Oft wird man auf dem Spielplatz darauf hingewiesen, dass das eigene Kind gerade einem anderen die Schaufel weggenommen habe. Gefolgt von ein paar Ratschlägen, wie man diesem Verhalten entschlossen entgegentreten kann – nein, muss. Bezeichnenderweise bekommt mein Freund solche Ratschläge nie zu hören.

Und ehrlicherweise muss ich zugeben, dass auch ich im Mütter-Wettkampf mitmache. Wenn wahllos Süßigkeiten und Chips verteilt werden oder ein Kind auf seinem iPad spielt, schüttele ich innerlich den Kopf über so viel Unvernunft. Es ist die böse Mother-Blaming-Spirale, in der ich auch gefangen bin.

Volles Programm

In einer Mutter-Kind-Kur bekommt man all das in konzentrierter Form ab. Und ich habe unterschätzt, wie sehr es mir die Laune verdirbt, ständig auf meine Defizite als Mutter hingewiesen zu werden. Vor allem von Mitmüttern. Sei es als guter Ratschlag oder als Kopfschütteln. Wie wohltuend ist es da, wenn mal eine sagt: „Kenn ich, habe ich auch, das Problem.“ Sind wir nicht alle hier in der Kur, weil wir irgendwie dieses Muttersein nicht so ganz auf die Reihe kriegen?

Zumindest geht es von morgens bis abends genau darum. Wie kann ich mich und meine Lebensführung optimieren. Beratungskurse, um die Zeit besser einzuteilen, Sport und Magerkost gegen das notorische Übergewicht – los, los, nicht so faul da, Bewegung, Bewegung! Die Arme anwinkeln, die Stöcke schwungvoll federn lassen. Die Maschine wird geölt, und wenn es läuft, wie es soll, kann sie nach der Reparatur wieder verwendet werden, fast wie zuvor. Aber bitte achten Sie auf eine sorgfältige Wartung. Zur Beruhigung etwaiger Stockungen im Getriebe, durch Heulkrämpfe oder Wutanfälle, empfehlen wir tiefes Durchatmen, ein schönes Mandala oder immer wieder den Satz: „Sie geben einem doch so viel zurück.“

Denn klar, es ist einfacher, Mütter in eine dreiwöchige Kur zu stecken und uns mit Durchhalteparolen zu einem noch effektiveren Umgang mit unserem Leben, unseren Kindern, unseren Körpern anzutreiben, als eine ganze Gesellschaft zu mehr Toleranz, Gelassenheit und Wertschätzung zu bringen.

Bei aller Niedergeschlagenheit in den ersten Kurtagen versuche ich aber optimistisch zu bleiben. Immerhin, die Eingewöhnung in der Klinikkita klappt bestens, beide Kinder gehen morgens fröhlich in ihre Gruppen. Dieses Glück hat auch nicht jede. Auf meinem Wochenplan steht: Aerobic, Nordic Walking, Aqua-Fitness, Schlammpackungen und Kneippkur – hört sich gut an. Und tut auch wirklich gut.

Die Verweigerung jeglicher Empathie ist hier offenbar Teil des Lernprozesses.

Aber kaum hat das Programm begonnen, wird am Abend des ersten Aktivtags meine Tochter krank. Durchfall, hohes Fieber, Kopfweh. Ich gehe zum Arzt, der uns unter Quarantäne stellt. Ich beuge mich der höheren Gewalt und mache das Beste daraus. Zu Hause würde ich ja trotzdem einkaufen oder arbeiten müssen – hier lege ich mich zu meiner Tochter ins Bett.

Sie hat sich gerade in den Schlaf geheult, da fällt mir ein: Ich muss ja meinen Sohn abholen. Ich rufe in der Kinderbetreuung an: Könnte ihn jemand ausnahmsweise herbringen? Es sind ja nur etwa knapp 200 Meter. Die Frau am anderen Hörer unterbricht mich: Für so etwas gebe es keine Kapazitäten. Sie legt einfach auf. Ich bin verzweifelt und wütend. Dann wird mir bewusst: Die Verweigerung jeglicher Empathie ist hier offenbar Teil des Lernprozesses. Mir soll beigebracht werden, allein klarzukommen, mir selbst zu helfen. Wie naiv war ich eigentlich, das Ganze hier mit einem Erholungsurlaub zu verwechseln?

Der Abbruch macht traurig, befreit aber auch

Allmählich beschleicht mich das Gefühl, dass es das Ziel dieser Kur ist, Dankbarkeit dafür zu empfinden, dass mein echtes Leben nicht ganz so anstrengend ist. Nach knapp zwei Wochen bin ich von den Blicken, der giftigen Atmosphäre und meinem eigenen Unvermögen so aufgeraucht, dass ich meinen Freund anrufe und ihn bitte, uns vorzeitig abzuholen.

Auf der Rückfahrt regnet es. Je näher wir Berlin kommen, desto ruhiger werde ich. Ich fühle mich befreit – und gleichzeitig furchtbar traurig. Was hat diese Kur jetzt gebracht? Zumindest eines: die Erkenntnis, dass wir Mütter uns nicht hinreißen lassen sollten, uns gegenseitig zu vergleichen und zu verurteilen. Niemand hat gesagt, dass es leicht ist. Aber lasst es uns gegen­seitig nicht noch schwerer machen, als es schon ist.

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34 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Bin auch gerade mit meinen Kindern 3 und 7 in der Mutter Kind kur sind nun eine Woche hier und total krank und nur auf Zimmer da meine kids Durchfall haben und wir alle 3 husten und schnupfen haben



    Mit geht's richtig schlecht Rückenschmerzen da die kleine zu schwach zum laufen ist aber wir auch mal raus müssen



    Überlege jetzt auch wieder nach Hause zu fahren



    Geht das so einfach?

  • Hallo mir geht es genauso. Ich bin total am Ende mit meinen Kräften und die Kinder und ich möchten nur noch nach Hause. Heute ist ja Samstag und niemand von der Kurleitung o.ä da mit denen ich reden könnte um heraus zu finden ob ich ohne weiteres einfach gehen kann? Nicht das es Ärger gibt oder so? Was denkst du darüber? Einfach Schlüssel abgeben und weg ?lg

  • 6G
    64457 (Profil gelöscht)

    Nicht nur typisch für Mutter-Kind-Kuren: Auch gegen Traumata "helfen" Mandalas, alles achtsam über sich ergehen lassen und bei Übergriffen der Satz: Das ist ein Übergriff, ich möchte das nicht. Diagnosen sollen vom Patienten selbst erstellt werden und notwendige Bescheinigungen für den Kostenträger werden verweigert, um die Eigeninitiative des Patienten zu stärken. In Stressbewältigungsseminaren lernt man, dass alles nur eine Frage der Einteilung und Bewertung ist (auch bei fremdbestimmten Arbeiten) Und wenn dann noch eine Psychiatrienachsorgepatientin von der Nachbarstation sich verfolgt fühlt und einen nie stattgefundenen Angriff erfindet, hat man auch noch ein juristisches Problem. Fazit: Nur noch mit Notar zur Reha!

  • Klar sollen die drei Wochen nicht nur der Erholung dienen, sondern auch dazu beitragen, künftig besser zurechtzukommen.

     

    Die Autorin analysiert es aber genau richtig

     

    --- Zumindest geht es von morgens bis abends genau darum. Wie kann ich mich und meine Lebensführung optimieren. Beratungskurse, um die Zeit besser einzuteilen, Sport und Magerkost gegen das notorische Übergewicht – los, los, nicht so faul da, Bewegung, Bewegung! Die Arme anwinkeln, die Stöcke schwungvoll federn lassen. Die Maschine wird geölt, und wenn es läuft, wie es soll, kann sie nach der Reparatur wieder verwendet werden, fast wie zuvor. Aber bitte achten Sie auf eine sorgfältige Wartung. Zur Beruhigung etwaiger Stockungen im Getriebe, durch Heulkrämpfe oder Wutanfälle, empfehlen wir tiefes Durchatmen, ein schönes Mandala oder immer wieder den Satz: „Sie geben einem doch so viel zurück.“

     

    Denn klar, es ist einfacher, Mütter in eine dreiwöchige Kur zu stecken und uns mit Durchhalteparolen zu einem noch effektiveren Umgang mit unserem Leben, unseren Kindern, unseren Körpern anzutreiben, als eine ganze Gesellschaft zu mehr Toleranz, Gelassenheit und Wertschätzung zu bringen. ---

     

    Das bringt sie genau richtig auf den Punkt.

     

    Eine ganze Gesellschaft lässt sich nicht so leicht ändern, aber das Programm an die TeilnehmerInnen könnte zumindest lauten, dass man nicht perfekt sein muss und sich an vielen Sachen nicht unnötig stressen.

     

    Stattdessen lautet das Kurprogramm noch mehr Kleinlichkeit und Intoleranz.

  • Leider ist das mal wieder ein typisch deutscher Diskurs, in dem man die Problemlösung durch völlige Abwertung und Verantwortungszuschreibung einer Personengruppe versucht zu lösen. Hier sind es die Eltern. Ich finde dasschlimm. Es ist auch in Kitas und Schulen zu beobachten, dass Eltern gegen Eltern dabei mitmachen. Wie sollen Kinder ihre Eltern respektieren können, wenn die Eltern durch ihr Umfeld derart niedergemacht werden. Solche grauenvollen Einrichtungen haben aus meiner Sicht kein Konzept, sondern nutzen nur aus, dass man sich vor Ort Ihnen ausgeliefert fühlt. Daher kommt es wahrscheinlich wirklich darauf an, sich im Vorfeld über die Einrichtungen zu informieren.

  • @Hans aus Jena, @Fly "Mutter-Kind-Kuren, mittlerweile gibt es auch Vater-Kind-Kuren, waren und sind eine soziale Errungenschaft"

    "Es ist ein Angebot für Bedürftige"

    ...Das stimmt zwar, aber wenn das Angebot offensichtlich so sehr an den Bedürfnissen der Bedürftigen vorbeigeht, läuft etwas falsch. Habe von anderen Müttern ähnlich negative Berichte über solche Kuren gehört. Dort wie auch in vielen psychologischen Einrichtungen scheint es nicht wirklich darum zu gehen, die Leute zu stärken und zu unterstützen, sondern viel mehr sie nur funktionsfähig zu machen und auf genau den starren, extrem vorgefertigten gesellschaftlichen Kurs zu lenken, der sie überhaupt erst krank macht: erfolgreich auf allen Ebenen (inkl. Erziehung), genügsam in der Partnerschaft, allen zugewandt, fit, fleißig, natürlich auf jeden Fall schlank und am besten immer gut gelaunt. Damit ja niemand an einer/m anecken muss. Furchtbar! Respekt an Frau Riedel für ihre Entscheidung.

     

    @ Hanne: "Aus Erfahrung kann ich sagen, dass viele bei den Freunden und beim Job streichen bzw. Abstriche machen. Und zwar so lange, bis wieder mehr Zeit und das Gefühl dafür da ist"

    Den Tenor Ihres Kommentars finde ich leider auch ziemlich katastrophal, denn was Sie einfordern, ist die typische Selbstaufopferung, um nicht zu sagen Selbstverleugnung, die so vielen Eltern, vor allem Müttern, extrem zu schaffen macht. Ganz davon abgesehen, dass viele beim Job gar keine Abstriche machen KÖNNEN, weil sie und ihre Kinder das Geld brauchen, sind Mütter ganz normale Menschen mit legitimen physischen, psychischen, finanziellen und sozialen Bedürfnissen. Dazu gehören u.U. auch berufliche Anerkennung und ganz klar Freunde und Zeit für sich. 15 Jahre kein/kaum Kontakt zu Freunden? Sicher nicht Ihr Ernst.. Ja, Kinder brauchen Zeit&Fürsorge und man kann nicht alle Aktivitäten/ Kontakte in voller Intensität beibehalten. Aber mit Selbstaufgabe und einer ausgebrannten, sich einsam fühlenden Mutter ist auch niemandem geholfen!

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    Gut geschrieben.

    Das klingt fast haargenau so, wie die Schilderungen einer Bekannten von mir. Das scheint also wirklich Programm bei diesen Kuren zu sein.

     

    Allerdings stimme ich mit einer Sache nicht überein: "Oft wird man auf dem Spielplatz darauf hingewiesen, dass das eigene Kind gerade einem anderen die Schaufel weggenommen habe. Gefolgt von ein paar Ratschlägen, wie man diesem Verhalten entschlossen entgegentreten kann – nein, muss. Bezeichnenderweise bekommt mein Freund solche Ratschläge nie zu hören."

     

    -Also ich bekomme andauernd von Müttern auf dem Spielplatz oder auch einfach mal in der U-Bahn irgendwelche Ratschläge. Meistens wird da bei mir als Vater und Mann ohnehin vorausgesetzt, das ich keinerlei Ahnung von Kindern habe und sie als Mütter quasi via Geburt kompetenter in Erziehungsfragen sind.

  • Ah ja, das kenne ich, mein Sohn war auch der Horror des Speisesaals. Sprach nicht für die Klinik, nicht darauf zu kommen, dass der arme Kerl ADHS hat. Das hätte uns ca. 5 Jahre Stress erspart.

  • Einfach mal Mitgefühl zu haben scheint auch hier bei den Kommentaren kaum möglich zu sein.

  • Wie es scheint ist Frau Riedel eine von denen, die meint, ALLES und noch viel mehr machen zu müssen, obwohl der Tag "nur" 24 Stunden hat. Da gilt es, auch wenn es schmerzt, Punkte zu streichen und Prioritäten zu setzen, so wie es viele machen (müssen).

     

    Die Kinder sind noch sehr klein. Was ist am wichtigsten?

     

    Aus Erfahrung kann ich sagen, dass viele bei den Freunden und beim Job streichen bzw. Abstriche machen. Und zwar so lange, bis wieder mehr Zeit und das Gefühl dafür da ist. Und die Zeit kommt wieder, dauert aber mitunter einige Jahre.

     

    Andere streichen bei den Kindern und versuchen sie lediglich "funktionstüchtig" für den stressigen Alltag und das Freizeit dominierte Wochenende zu machen - alles immer nach Plan, muss ja alles drin sein.

     

    Ich kenne Kinder- und Jugendpsychiater und viele Erzieher, die können ein Lied von den Kindern und Jugendlichen aus Familien singen, in denen die Eltern keine Zeit haben/hatten, aber viel vor und viele Freunde und dazu Hobbies, die angeblich alle auch mit (kleinen) Kindern weiter bedient werden müssen.

     

    Freunde, Hobbies, ggf. auch Job können ruhen/runter gefahren werden, Kinder aber entwickeln sich schnell und bleiben nicht klein, die können nicht beiseite geschoben werden und warten. Richtige Freunde sind auch nach 15 Jahren noch Freunde.

    • 6G
      6474 (Profil gelöscht)
      @Hanne:

      "Wie es scheint ist Frau Riedel eine von denen, die meint, ALLES und noch viel mehr machen zu müssen, obwohl der Tag "nur" 24 Stunden hat."

       

      -Das kann ich da nicht so wirklich rauslesen. Wo steht das?

  • Eine Kind, dessen Mutter es zu einer Entschuldigung zwingt (die naturgemäß nur unehrlich sein kann), braucht tatsächlich keine Feinde mehr. Stress entschuldigt so einiges, aber hier wird erstens ein Kind (wie sich dann herausstellt, auch noch nach einer falschen, mindestens aber übertriebenen Anschuldigung) vor einer anderen Person gedemütigt. Zweitens kann das Kind dadurch lernen, dass es jeden Mist machen kann, wenn es danach ein liebloses "Schulligung" schmettert. Ehrlich gesagt, ich hätte meine Tochter, als sie klein war, bestimmt nicht zu so etwas gezwungen und meine Wut lieber an der Frau ausgelassen.

    • @Volker Scheunert:

      Autistischer gesellschaftsfeindlicher Egoismus als Erziehungsziel?

  • "Aber gerade das Wilde, Ausgelassene an seinem Wesen finde ich besonders liebenswert, wenn zugleich auch besonders anstrengend."

     

    Wenn Männer ihre Nachkommen als Partnerersatz mißbrauchen ist das ein Fall fürs Strafgericht und Anlass fürs Todesstrafe Fordern.

  • Ein Artikle der den Muttertag aufwertet, oder auch nicht.

    Es bleibt die Empfehlung (unbewußt natürlich) Mutter sein muss nicht sein.

  • 9G
    95823 (Profil gelöscht)

    Im letzten Jahr war meine Schwester samt Kind in einer ähnlichen Kur an der Nordsee und hat dort völlig gegensätzliche Erfahrungen gemacht.

    Ich halte es daher für falsch diese Art Kur hier grundsätzlich als negativ zu pauschalisieren.

  • Dieses Stück gibt es auch in einer Version von J. P. Sartre - Nur ohne Happy-End, da in Sartres Version sich niemand traut den Raum zu verlassen. Faszinierend, wenn man einen Einblick in eine IRL-Version erhält. (Nicht sarkastisch gemeint),

     

    “ L'enfer c'est les autres ”

  • Ich habe 2 MK-Kuren mitgemacht und fand beide sehr erholsam. Allerdings habe ich das nicht einfach über die Krankenkasse beantragt, sondern über eine Kurberaterin laufen lassen. So konnte ich gleich mehrere Stressfaktoren ausschließen:

    1. gemeinsame Mahlzeiten mit Kindern ( sie haben ihren jeweiligen Gruppen gegessen, dadurch Ruhe beim Essen für die Mütter)

    2. immer nur eine Gruppe im Haus, keine ständigen ab- und anreisen

    3. kleine gut organisierte Klinik

     

    Als ich ankam, habe ich gleich den Termin für die Kurarzt erhalten und keiner musste unnötig lange warten.

     

    Kommt eben immer darauf an, wo man landet!

  • naja, immerhin ist die Autorin ehrlich. Wenn sie Ihrem Sohn immer die doppelte Botschaft sendet, dass er sich so nicht verhalten soll, aber andererseits gerade dieses wilde und undisziplinierte "so toll" an ihm findet, dann muss sie sich nicht wundern, wenn er auch die zweite Botschaft bedient.

    Klarer wäre es, ihn in Bereichen "wild" sein zu lassen, wo es niemanden schädigt und in anderen Bereichen eben auch klar zu sagen, dass das so nicht geht.

  • Das Konzept der Mutter-Kind-Kur ist mir fremd und es wundert mich nicht, dass das nicht funktioniert.

     

    Söhne brauchen Freiheiten und ihre Erziehung ist nicht die Aufgabe der Mutter, sondern die des Vaters und der älteren Brüder. Wenn die mal fehlen, führt das natürlich schnell ins Chaos, aber als Mutter muss frau das ertragen.

     

    Ich würde meinen Sohn nicht von einer fremden Frau anschreien lassen und ihr mit allen, auch physischen Mitteln zeigen, was ich von ihr halte.

  • OK, danke für die Info über den Verlauf einer Mutter- Kind- Kur. Ich werde mir den Antrag bei der Krankenkasse daher verkneifen.

  • Mutter-Kind-Kuren, mittlerweile gibt es auch Vater-Kind-Kuren, waren und sind eine soziale Errungenschaft in Deutschland. Sie sollen helfen, "aus dem Alltag rauszukommen", Krankheiten (bei Eltern und Kindern) und Erschöpfungen vorzubeugen. So sind sie kein Wellnessurlaub, sondern setzen eine aktive Teilnahme voraus.

    Frau und man kann sich vorher informieren, was auf sie zukommt, und ggf. vorher den Platz frei machen für jemand anderen, dem der Aufenhalt wirklich eine Hilfe ist.

    • 6G
      6474 (Profil gelöscht)
      @Hans aus Jena:

      Den Artikel hast du jetzt aber schon gelesen?

       

      Die Schilderungen entsprechen den Erfahrungen in meinem Bekanntenkreis und sorry; für wenn ist denn sowas eine "wirkliche Hilfe"?

       

      Zunächst mal 3 Stunden nach einer Anfahrt mit zwei Kleinkindern im Wartezimmer verbringen?-Schonmal gemacht? Wenn ja, dann wirst du wohl den Fehler erkennen; wenn nicht, dann erkläre mir bitte den Zweck einer Kur für gestresste Eltern, wenn diese erstmal bei der Ankunft so einem Ablauf ausgesetzt sind?

       

      Ja, ich bin der Meinung das eine Mutter-Kind Kur ein Art Erholungsurlaub sein sollte. Was denn sonst?-Konfrontationstherapie durch Stress? Damit sie dort sehen wie schön es zu Hause sein kann?

       

      Solche Kuren die in dieser Art ablaufen, sind ein Betrug am Steuerzahler und an den Müttern gleichermaßen

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @6474 (Profil gelöscht):

        Für mich dokumentiert die anschauliche Schilderung von Sunny Riedel höchst eindrucksvoll, wie sich der Alltag in (nicht nur Mutter-Kind-) Kliniken mit verkürzter Verweildauer, schlechter werdendem Personalschlüssel und reduzierten Therapieangeboten in den letzten 25 Jahren verändert hat. Zulasten von Patienten und Klinikangestellten.

         

        Gesundheitspolitik in Zeiten der Ökonomisierung.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Hans aus Jena:

      Schon mal den Satz gehört "Papier ist geduldig"? Sie könnten wissen, dass in Hochglanzbroschüren vieles steht, was keinen Realitätstest übersteht.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Pff, ich traue auch keinem Hochglanzprospekt. Darüber, was eine Mutter-Kind-Kur ist, kann man sich aber vorher schon informieren (und wenn man einfach mal in der Bekanntschaft rumfragt) und bei den einzelnen Kliniken selbst helfen auch Bewetungsseiten, Foren und googlen.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Hans aus Jena:

          Dann frage ich direkt: haben Sie nach dem Lesen des Artikels den Eindruck gewonnen, die Enttäuschungen seien auf mangelnde Informationssuche zurückzuführen? Auf Bewertungen Anderer habe ich mich bei meinen Kuren verlassen. Wenn möglich, habe ich vor Ort eine "Tatort"besichtigung vorgenommen.

          • 7G
            76530 (Profil gelöscht)
            @76530 (Profil gelöscht):

            ... habe ich mich ... nie verlassen.

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Ja.

    • @Hans aus Jena:

      Ach Herrje

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein mutiger Beitrag zum Muttertag, der mit lebensfremden Mythen aufräumt. In (gemischtgeschlechtlichen) Kuren wurde ich zuweilen ungewollter Zeuge solcher Vorkommnisse, auf die ich mit der 'Variante Rügen' (Augenrollen) reagierte.

     

    Ich wünsche Sunny Riedel von Herzen, dass sie vom bashing getroffener Mütter verschont bleibt, die sich in der Beschreibung des dargestellten Verhaltens widerfinden.

     

    Dass in Kuren die Bedürfnisse der 'Insassen' und des Personals nicht immer harmonieren, konnte auch ich gelegentlich feststellen.

  • Chapeau!, Herzliche Glückwünsche zur gelungenen Uraufführung ihrer persönlichen Inszenierung des Sartre'schen Stücks.

    Haben Sie begriffen, dass auch Sie die Hölle der anderen sind?

    • @Saccharomyces cerevisiae:

      Danke. So wichtig eine Kritik auch aus persönlicher Sicht sind, so geht es doch sehr in nur persönliches Gejammere ohne Eigenreflektion und Eigenverantwortung über:

       

      "Denn klar, es ist einfacher, Mütter in eine dreiwöchige Kur zu stecken..."

       

      Hier wurde niemand "gesteckt".Es ist ein Angebot für Bedürftige. Und dann entspricht das Angebot vielleicht auch nicht den persönlichen Erwartungen entspricht (Moorpackung versus Essensaal). Schlimm. Etwas mehr Gelassenheit.

      • @fly:

        Gutes Stichwort:

         

        Eigenreflektion

         

        Wo ist die Eigenreflektion dieser Sozialanstalten und ihrer Beschäftigten?

         

        Zum Beispiel: Warum wird das elende Rattenrennen in dem bekannten Spiel "Wer ist die beste Mutter und beherrscht die 'richtige Erziehung'" nicht von der Sozialanstalt gezielt unterbrochen, um während des Aufenthalts eine andere Logik an die Stelle zu setzen?

         

        Häufig gehören Gruppengespräche, um eingefahrene Verhaltensweisen aufzubrechen und zu reflektieren, zum Programm von Reha-Kliniken. Die sind von erfahrenen pädagogischen Fachkräften angeleitet. Warum gibt es das nicht auch bei Mutter-Kind-Kliniken?

         

        Moorpackungen und weitere "Anwendungen" allein reichen sicher nicht, um den Aufwand enormer Krankenkassengelder - "für Bedürftige", wie Sie sagen - zu rechtfertigen.

         

        Aber zum Glück dieser Schmalspur-Einrichtungen zicken "die Muttis" so dolle untereinander, dass sie es viel zu selten merken, mit was für einem schwachen "Angebot" sie abgespeist werden.

        Dieser Artikel von Sunny Riedel ist die Ausnahme, die Augen öffnen kann!