ARD-Dokudrama über Mord an Lübcke: Die falschen Fragen
Der Film über den Mord an Walter Lübcke ordnet rassistische Ideologien nicht ein. Stattdessen versucht er Rechtsextremismus emotional zu erfassen.
True Crime ist Trend: Die Rekonstruktion von wahren Verbrechen und das Ergründen der Täterpsyche faszinieren die Zuschauer:innen. Die Verfilmung des rechtsextremistischen Mordes an CDU-Politiker Walter Lübcke in „Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“, einer Mischung aus Dokumentations- und Spielfilm, passt also gut in den Zeitgeist – doch macht dabei Fehler.
Der Film eröffnet in „Tatort“-Ästhetik, was nicht nur an Ex-„Tatort“-Kommissar Joachim Król als Ermittler Norbert Bartels liegt. Die angespannten Gesichter der Ermittler:innen, die sich auf der Scheibe des Verhörraums spiegeln. Die erste Aussage: „Wenn er reden will, lassen wir ihn reden.“ Tiefes Atmen. Und schon hier geht etwas schief. Das Drehbuch basiert auf dem ersten Geständnis des Täters. Und das zieht sich durch den Film.
Es mag sein, dass die Ermittlerin Petra Lischke (Katja Bürkle) nicht allein ist mit der Frage: „Vier Jahre vom Tatentschluss bis zum Mord. Wie motivierst du dich da immer wieder?“ Doch ist das die Frage, die zentral sein sollte? Als ihr Kollege Bartels antwortet: „Der hat das nicht allein durchgezogen“, entsteht Hoffnung, dass das Sichtfeld in den restlichen 82 Minuten geweitet werden könnte.
Der Mordfall Walter Lübcke gilt als Zäsur. Es gab über 200 rechtsextremistisch motivierte Morde seit 1990 in Deutschland, doch keiner wurde an einem parlamentarischen Politiker verübt. In dem Film fallen weitere Zahlen: 2018 hatte der Verfassungsschutz „24.000 Kunden“, 2019 waren bundesweit 32.000 Rechtsextremist:innen bekannt. Was kann dagegen getan werden? Elfmal taucht der Name des Täters in den verschlossenen NSU-Akten auf. Warum? Fragen, die zentral sein sollten.
Close-Ups vom Täter
Doch deutlich präsenter als die Suche nach Antworten auf diese Fragen sind die unzähligen Close-ups des verschwitzten und nachdenklichen Gesichts von Robin Sondermann, der den Täter im Spielfilmteil verkörpert. Er bewegt die Zuschauenden immer wieder zurück zu der Frage, wie ein Mensch nur auf diese Ideen kommt: einen CDU-Politiker zu erschießen.
Auf der Spielfilmebene spazieren die Zuschauer:innen mit dem Täter am Tatort, wo er die Mordnacht für die Ermittler:innen nachstellt. Sie begleiten ihn zum Schießtraining. Sie hören seiner rassistischen Ideologie und seinen „Tag X“-Szenarien ebenso unkommentiert zu wie seinen Klagen über Depressionen.
Auf der Dokumentationsebene gehen sie zu seinem Schützenverein und lassen sich erzählen, dass der Täter „ein ganz normaler Durchschnittsdeutscher“ gewesen sei. Sie besuchen einen selbsternannten „Kreuzritter“, der sich als harmloser Alter inszeniert. Wer ohne Vorkenntnisse in die Szene geht, verlässt sie mit einem mulmigen Gefühl. Anstatt rassistische Ideologien einzuordnen, versucht der Film Rechtsextremismus emotional zu erfassen.
Solchen Szenen werden echte Interviews mit Bekannten Walter Lübckes, Politiker:innen, Lokaljournalist:innen und Geflüchteten entgegengesetzt. Doch die Erzählung des Täters gibt den Ton an, die eigentlich relevanten Aussagen dienen als Reaktion, anstatt für sich zu stehen. Wie wenn endlich Betroffene antisemitischer und rassistischer Gewalt zu Wort kommen, doch darauf von Rechtsextremisten und Rassisten erstellte Videos folgen, in denen beispielsweise zu sehen ist, wie Schwarze Menschen erschossen werden.
„Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes“, Fr., 4.12., 22.15 Uhr, ARD
Besser wird es zu einem späteren Zeitpunkt. Walter Lübckes berühmtes Zitat wird verhandelt: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte einstehen, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“ Zeug:innen kehren an den Ort des Geschehens zurück und schildern gemeinsam den Abend, der als Tatmotiv seines Mörders gilt.
An dieser Stelle des Film wird klar, dass Lübcke den Hass vieler Rechtsextremisten auf sich zog, dass die Verbreitung des Videos von dem Abend nur diesen in die Hände spielt. Die Zeug:innen sprechen über fehlende Courage, über Scham und über die Richtigkeit der Worte von Walter Lübcke.
Starke Szenen, die den Gesamteindruck des Filmes nicht rumreißen können. Denn die relevanten Fragen bleiben unbeantwortet. Das Versagen der Ermittlungsbehörden, die ungeklärten Verbindungen zum NSU oder allgemeinen Grundlagen rechtsextremistischer Ideologie hätten den Film leiten sollen, nicht der Täter selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin