75. Todestag von Komiker Karl Valentin: Absurdl aus der Au

Zwischen Anarchie und Avantgarde: Vor 75 Jahren starb Karl Valentin. Eine nur wenig über den Verdacht der Hommage erhabene Erinnerung.

Liesl Karlstadt und Karl Valentin

Kongeniales Künstlerpaar: Liesl Karlstadt und Karl Valentin im Sketch „Der verhexte Scheinwerfer“ Foto: cc

Es ist der 9. Februar 1948, ein Rosenmontag, und nein, mit Fasching hat Karl Valentin nun wirklich nichts am Hut. Dieser Rosenmontag allerdings wird sich in seine Biografie hineinmogeln – auf ebenso unrühmliche wie unwiderrufliche Art und Weise: An diesem Tag vor 75 Jahren stirbt Karl Valentin. Ein paar Tage zuvor, so geht die Legende, hat er sich mit Liesl Karlstadt noch einmal im Münchner Stadtviertel Haidhausen auf die Bühne gestellt. Nach dem Auftritt schließt man ihn versehentlich in der Garderobe ein. Valentin muss in dem ungeheizten Raum übernachten und fängt sich eine Bronchitis ein, die sich zu einer schließlich tödlichen Lungenentzündung auswächst. Tragisch? Ironisch? Oder einfach nur saudumm?

Mit Karl Valentin verlässt an diesem Tag einer die Bühne, den man guten Gewissens den Grandseigneur des gepflegten Schmarrns heißen kann, eines Schmarrns, dem die Erkenntnis anhaftet, dass nur die maximale Sinnbefreitheit – mag man sie nun als Sinnlosigkeit oder Unsinn titulieren – dem Leben eine ordentliche Portion Sinn verleihen kann.

Aber genug des Pathos. Für Valentins Ableben gibt es noch eine andere Diagnose: Seine Krankheit sei nur ein Vorwand gewesen abzutreten, befindet Valentin-Biograf Michael Schulte. „Der eigentliche Grund: „Er war buchstäblich zu Tode enttäuscht.“ So viele Pläne hat er nach dem Krieg anfangs noch geschmiedet. Ja, es war da tatsächlich so etwas wie Optimismus festzustellen – bei dem Mann, der einst den Spruch geprägt hatte: „Ein Optimist ist ein Mensch, der die Dinge nicht so tragisch nimmt wie sie sind.“

Die Singspielhalle

Er will eine Singspielhalle eröffnen, auch ein „heiteres Museum“. Film, Rundfunk – die Welt, so meint der große Volkssänger, stehe ihm nun offen. Doch die Welt, sie will nichts mehr von ihm wissen, hat ihn längst vergessen. Die letzten drei Jahre seines Lebens sind nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Absagen und Misserfolgen.

Selbst der Bayerische Rundfunk wendet sich ab. „Nicht zeitgemäß“, heißt es – bis heute eines der zeitlosesten und dümmlichsten Argumente von Kulturverwaltern. Kurt Wilhelm, ein treuer Valentin-Verehrer, versucht es zwar noch mal und bringt ihn auf den Äther – aber das geht nicht lange gut. Die Sendung „Es dreht sich um Karl Valentin“ wird nach fünf Folgen wieder eingestellt. Zuvor hatten den Sender Zuschriften erreicht wie: „Aufhören mit dem Schmarrn – Schickt's den Deppen hoam!“

Valentin ist verbittert, desillusioniert und schließlich tot. Vor allem den Liebesentzug seiner Münchner hat der „münchnerischste aller Münchner“ (Oskar Maria Graf) nicht verkraftet. Den immensen Verlust, den sie an diesem Tag erlitten hat, wird die Stadt erst später realisieren. Viele Jahre später.

Der verhängnisvolle 4. Juni 1882

So viel zum Ende, das auszusparen zum Anlass eines Todestages etwas verdächtig wäre. Interessanter freilich und zugleich unterhaltsamer ist, was davor passierte. Zum Beispiel am 4. Juni 1882, als die ganze Angelegenheit ins Rollen kommt: Valentin Ludwig Fey, so sein richtiger Name, erblickt das Licht der Welt, sodann seine Hebamme – und ist entsetzt: „Ich hatte diese Frau ja noch nie in meinem Leben gesehen.“

Valentin – sprich: Falentin („Du nennst ja auch nicht deinen Vater Water!“) – wächst unweigerlich in der Au auf, jenem Viertel, dem damals noch unerbittlich das Attribut „Münchner Vorstadt“ anhängt. Unter den vielen Zuagroasten fällt der Bub mit dem Migrationshintergrund – Vater Hesse, Mutter Sächsin – nicht weiter auf. Aus Gesundheitsrücksichten, so autobiografelt er später, habe er im Alter von zwölf Jahren die Abnormität erlernt und nach reiflicher Überlegung Talent zum Zeitunglesen gezeigt. Kaum den Kinderschuhen entwachsen, hätten ihm seine Eltern größere gekauft.

Ein kongeniales Paar

Der Rest ist schnell erzählt: Erste Berufswünsche – Bleisoldat, Taucher, Frauenarzt – werden wieder verworfen. Valentin wird Tischler und lernt das Zitherspiel. Immer öfter redet er saudumm daher und bemerkt einen sich daraufhin regelmäßig einstellenden Erfolg bei seinen Mitmenschen. Mit nicht einmal 20 Jahren hängt Valentin den Schreinerberuf daher an den Nagel. Dieser ist noch heute im Valentin-Karlstadt-Musäum im Isartor zu begutachten.

Apropos Karlstadt, da lohnt es sich gleich mal innezuhalten: 2001 haben sie es unbenannt von Valentin- in Valentin-Karlstadt-Musäum. Was auch nur angemessen ist, denn als kongeniales Künstlerpaar repräsentierten sie zweifellos mehr als die Summe ihrer Einzelpersönlichkeiten. Sie ohne ihn, er ohne sie – das wäre wie Brezn ohne Salz, Semmelnknödeln ohne „n“ oder Loriot ohne Evelyn Hamann.

1911 lernt Valentin sie kennen, die Liesl Karlstadt. Elisabeth Wellano heißt sie damals, den Künstlernamen verpasst er ihr. „Karl“ – es ist natürlich kein Zufall, dass sie beide denselben Namensbestandteil tragen. 1913 treten sie zum ersten Mal zusammen auf. Fortan teilen sie Bühne und Bett miteinander. In den zwanziger Jahren hinterlassen die beiden eine Spur der Begeisterung quer durch den deutschsprachigen Raum: München, Wien, Zürich, Berlin.

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Karl Valentin wird zu jener Zeit gefeiert von Menschen, Personen und Leuten sowohl kleinbürgerlicher als auch intellektueller Provenienz. Prominente Bewunderer nennt er sein Eigen: Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Samuel Beckett, Franz von Stuck, Thomas, Heinrich und Viktor Mann. Aber auch Adolf Hitler gehört dazu.

Zwischen Gorgias, Wilhelm Busch und Woody Allen

Was ist es, was sie alle finden an diesem Absurdl aus der Au, an diesem Vorstadtneurotiker? „Er ist ein Phänomen und spottet der Analyse“, erkannte der Feuilletonist Alfred Polgar und versuchte sich umgehend selbst an selbiger, vielleicht erfolgreicher als manch anderer: „Die biologische Wahrheit dieses Humors ist es, die so unheimlich berührt. Das Elend der Kreatur ist in ihn mitverarbeitet, Lustigkeit scheint hier oft entartete Traurigkeit. Dem Schalk sitzt der Melancholiker im Nacken.“

Entartete Traurigkeit! Wirr, wie der Geist nun mal ist, kommt man an dieser Stelle nicht umhin, sich an den Titel eines Bildes zu erinnern, das Valentin in seinem Panoptikum ausstellte: „Entartete Kunst mit Stiefelwichse gemalen von Karl Valentin“. Dass Hitlers Sympathie von dem Mann, der gerne mal Sturmbannführer mit Strumpfbandführern verwechselte, nicht erwidert wurde, ist klar. Aber wir schweifen ab.

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Auch die Synonymiker versuchten ihr Bestes: Als Linksdenker bezeichneten sie Valentin, als Wörtlichnehmer, Dadaisten, Anarchisten, Existenzialisten, Sophisten, Philosophen, Avantgardisten und als spinnerten Deifi. In der Tat mäandert er irgendwo zwischen Gorgias, Wilhelm Busch und Woody Allen umher. Er, der nicht rein zufällig nach Franz Kafka der wohl würdigste und häufigste Träger des Suffixes „-esk“ sein dürfte, ficht den Kampf mit der Tücke des Objekts Sprache dabei so überzeugend aus, dass man sich hinterher nicht selten fragt, wer ihn denn nun eigentlich gewonnen habe.

Die Suppe ist zu heiß

Den Kampf der Geschlechter stellen er und Karlstadt anhand einer zu heißen Suppe ebenso authentisch dar wie viel später besagter Loriot mithilfe eines vermeintlichen Viereinhalb-Minuten-Eis. Die kleinen, nur knapp ihr Ziel verfehlenden Formulierungen entfalten oftmals den größten Charme. „Geehrter Herr!“ diktiert er einmal erzürnt einen Brief. „Ich beschließe nun mein Schreiben und erachte die ganze Angelegenheit Komma für entwichen.“

Auf seinen Irrwegen durch die menschliche Unvollkommenheit hält er sich nicht ungern auch in Grenznähe zum Kalauer auf. Wobei es einem gerade Valentins Humor im Rückblick oft schwer macht, zwischen Kalauer und Geniestreich zu unterscheiden. Der zeitliche Abstand hilft, aber verwischt zugleich Trennschärfen. Wird nicht vieles erst durch die Abnutzung zur abgedroschenen Phrase? Es ist schon alles gesagt worden, aber noch nicht von allen: Dass auch der dritte Bürgermeister das vierte Grußwort auf dem fünften Sparkassenjubiläum mit Valentin beginnt, kann diesem so wenig angelastet werden wie etwa der Karl-Valentin-Orden.

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Denn dass Valentin mit Fasching nichts am Hut habe, galt es eingangs nicht zuletzt deshalb zu unterstreichen, da es sich eine Münchner Faschingsgesellschaft, deren Humor dem Valentin’schen so sehr ähnelt wie die Musik eines Dieter Bohlen derjenigen der Beatles, seit Jahrzehnten herausnimmt, Zeitgenossen wie Helmut Kohl, Til Schweiger, Andreas Gabalier, Heino und Markus Söder mit selbigem Orden zu schmücken. Was weh tut.

Dabei gab und gäbe es durchaus Erben: Jörg Hube, Philipp Arp, Fredl Fesl, Helmut Dietl, Gerhard Polt und Gisela Schneeberger könnte man als Beispiele nennen, aber auch weniger bayerische Vertreter wie Helge Schneider, die Mitglieder der Neuen Frankfurter Schule oder eben Loriot. Manche von ihnen bekamen indes eine neuere, würdigere und mit nicht weniger als nichts dotierte Auszeichnung: den Großen Karl-Valentin-Preis (mittlerweile: Großer Valentin-Karlstadt-Preis). Immerhin.

Beschließen wir die ganze Angelegenheit mit den nicht tröstlichen, aber treffenden Worten des Valentin-Kenners Wilhelm Hausenstein, der sich an die Auftritte seines Freundes erinnerte: „All das quietschende und brüllende Gelächter ringsum war ein einziges Geweine, das verdreht herauskam.“ Nach Hausenstein übrigens ist in München ein Gymnasium benannt. Nach Valentin nur ein kleines Sträßchen draußen im Vorort Forstenried. Und der Valentin-Orden. Saubande, dreckerte!

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