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28 Jahre nach TschernobylFitte Vögel dank Radioaktivität

Sie sind größer und haben weniger Gendefekte. Das haben Biologen bei Vögeln in Tschernobyl festgestellt. Ihre Ergebnisse lassen Raum für Zweifel.

Nicht sehr fit: eine Amsel in der Nähe von Tschernobyl. Bild: imago/Thomas Leble

BERLIN taz | Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl liegt 28 Jahre zurück. Ihre Folgen für Flora und Fauna sind noch immer spürbar. Pünktlich zum Jahrestag haben Wissenschaftler eine Studie mit positiven Effekten auf einige Vogelarten veröffentlicht. Die Ergebnisse der Studie sind allerdings hochumstritten.

Biologen der Universität Paris-Süd haben in und nahe der radioaktiv verseuchten Sperrzone Vögel untersucht. Die Tiere seien größer und hätten weniger genetische Schäden, als solche in weniger belasteten Gebieten, berichten sie im Fachjournal Functional Ecology.

Das Team um Ismael Galván hat 150 Vögel gefangen, die 16 verschiedenen Arten angehören, darunter Amseln, Rauchschwalben und Kohlmeisen. Dann wurden Blut-, Sperma und Federproben untersucht, dabei zeigte sich, dass Tiere, die an stärker belasteten Orten gefangen wurden, fitter sind. Neben der erhöhten Körpergröße wiesen sie eine größere Konzentration eines sogenannten Antioxidans auf, das im Organismus zur Abmilderung von Strahlenschäden zuständig ist. Das könnte die Ursache für die geringeren Strahlenschäden an der DNS der Vögel sein, folgern die Wissenschaftler.

Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass sich zumindest manche Wildtiere an eine erhöhte Strahlenbelastung anpassen können, schreiben die Forscher. Möglicherweise vererbten die Vögel ihren angepassten Stoffwechsel sogar ihrem Nachwuchs. „Diese Ergebnisse geben uns einen Einblick, welche unterschiedlichen Möglichkeiten verschiedene Spezies haben, um sich Herausforderungen wie Tschernobyl oder Fukushima zu stellen“, sagt Galván.

Das sehen viele Wissenschaftler ganz anders. So hält Bernd Grosche vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Methode der Datenerhebung für unzulässig, das gilt auch für viele der getroffenen Aussagen und Schlussfolgerungen.

Mangelhaftes Versuchsdesign

Hauptkritikpunkt ist das Versuchsdesign: Die Vögel wurden an einem bestimmten Standort mit Netzen eingefangen. Dort wurde dann mit einem Dosimeter die Strahlenbelastung der Umgebung gemessen. Daraus einen Rückschluss auf Dauer und Stärke der Strahlenbelastung der Tiere zu ziehen, erscheint sehr gewagt. Grosche weist darauf hin, dass unklar ist, wo sich die Vögel bis zum Zeitpunkt des Fangs aufgehalten haben und wie stark dort die Radioaktivität war. Gleiches gelte für die Belastung der aufgenommenen Nahrung.

Als Beleg für die Wertigkeit ihres Dosimetrieverfahrens, also der Übertragbarkeit von extern gemessener Strahlung auf die interne Belastung der Vögel, führen die Autoren ein von ihnen verfasstes, aber unveröffentlichtes Mausskript an. Ein sehr unübliches Verfahren im Wissenschaftsbetrieb.

Galván und seine Co-Autoren Mousseau und Møller wurden bereits vor Jahren wegen methodischer Fehler und, daraus resultierend, nicht zulässiger Folgerungen von Kollegen international kritisiert. Die Darstellung der Autoren, dass die Antioxidantien sich durch Radioaktivität vermehrt würden, kommentiert Grosche so: „Das ist eine Lehrmeinung, die ich bisher so noch nicht gehört habe.“

Strahlung und Abwesenheit von Menschen

Die beiden wesentlichen Faktoren, die die Flora und Fauna um Tschernobyl beeinflussen, sind die Strahlenbelastung und die Abwesenheit von Menschen. Die positiven und negativen Wirkungen der beiden Faktoren überlagern sich. Die Reduktion der Anpassungseffekte bei den untersuchten Vögeln auf die Strahlung ist wenig sinnvoll, so Grosche.

Er weist darauf hin, dass man die Messergebnisse auch ganz anders interpretieren könne: Die Vögel leben in einer von Menschen ungestörten Umgebung. Das verringert den Stress für die Tiere deutlich. Auch so könnte sich die Größenzunahme erklären lassen. Ein Effekt, der auch auf ehemaligen Truppenübungsplätzen zu beobachten ist, die nicht radioaktiv belastet sind.

Martin Steiner, Leiter der AG Radioökologie am BfS, hat einen ähnliche Studie durchgeführt, bei der es um die radioaktive Belastung von Wildschweinen in Deutschland ging. Bei seinem deutlich aufwändigeren Versuchsdesign wurden die Tiere mit Sendern ausgestattet. So konnten Bewegungsprofile erstellt werden. Auch der Mageninhalt der Wildschweine wurde analysiert, so dass man die Strahlenbelastung der Nahrung ableiten konnte. Mit einer analogen Methode hätten Galván und seine Kollegen belastbare Daten erheben können. So bleibt es bei einer nur auf den ersten Blick spektakulären Studie.

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15 Kommentare

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  • Naja, Evolution funktioniert halt so: Es bleiben weniger übrig, und von denen sind einige dann stärker. Die Todesrate sowie die verbliebene Besetzungsdichte bleibt in der Studie ja offensichtlich unberücksichtigt. Zudem hat die Abwesenheit des Menschen und die durch Strahlungswirkungen verringerte Besetzungsdichte mit Sicherheit zu einem ständigen Zustrom gesunder Exemplare aus dem Umland geführt. Wenn ein großer Teil davon unfruchtbar bleibt, bleibt das in der Studie ebenfalls unberücksichtigt.

  • Das ist jetzt mindestens die 4. Generation der Vögel nach der Katastrophe. Ihre Vorfahren werden sicher aus anderen Gebieten stammen und ob sie weniger Gendefekte haben, kann auch nur eine sehr oberflächliche Vermutung sein. Fragen Sie mal die Menschen rings um Fukushima. Die würden bei diesem Artikel wohl nur mit dem Kopf schütteln, weil langsam immer mehr Menschen erkranken und sie wollen nicht, dass ihre Kinder sich weiter vermehren. Vor Gesundheit strotzende Kinder mit weniger Gendefekten würden da nämlich mit Sicherheit nicht rauskommen. In der Tierwelt ist es auch nicht anders.

  • In den USA gibt es auch eine Studie. Diese hat gezeigt das die US-Amerikaner besonders gesund sind. Wissenschaftler hatten dies daran festgemacht, das 70% der Bevölkerung im Schnitt ca 50 kg mehr wiegen als durchschnittliche Südeuropäer.

    • @Oliver-Michael Schilcher:

      :)

  • Spektakulär oder spekulativ? Wie immer.

  • "Radioaktivität ist völlig harmlos und fördert das Denkvermögen." (Dr. E.On)

    • @Rainer B.:

      Da können Sie stänkern wie Sie wollen, aber die bisherige Entwicklung der Fauna und Flora in Tschernobyl unterstützt nicht das Horrorszenario, das die Wissenschaftler vor 30 Jahren entworfen haben, und welches offenbar noch viele Menschen heutzutage erwarten.

      Es würde uns weiterbringen, wenn wir mit einer kritischen aber gleichzeitig offenen Haltung an die Entwicklungen in Tschernobyl rangehen. Dafür muss man kein Fan von Atomkraft sein, es reicht zu wissen, dass wir nicht alles wissen, und die Natur immer für Überraschungen gut ist. Und es gibt Hinweise, dass die Natur dort in kleines Wunder vollbringt. Wäre schade, wenn wir das verpassen, nur weil wir nicht in der Lage sind, unser Weltbild zu aktualisieren.

       

      Wir brauchen keinen Zynismus - auch wenn der verständlich ist - sondern eben Denkvermögen. Ob durch Radioaktivität gefördert oder nicht ;-)

      • @Sapasapa:

        Was schließen Sie aus diesen Erkenntnissen, sofern die als richtig betrachtet werden können, für uns Menschen ?

        Kurze Lebensdauer und damit verbundene hohe Reproduktionsrate von Kleinlebewesen sind für die Möglichkeit der Rückkehr des Menschen irrelevant.

        Desweiteren beklagen Biologen in Tschernobyl, dass Kleintiere wie Vögel, die aufgrund genet. Erkrankungen verenden, nicht gefunden werden können, da diese annehmbar schnell verwertet werden.

        Es ist ein Trauerspiel, dass das größte Forschungsfeld der Strahlenbiologie nicht entsprechend beackert wird und dann solche empirisch unterbelichteten Studien dabei herauskommen.

      • @Sapasapa:

        "Da können Sie stänkern wie Sie wollen, aber die bisherige Entwicklung der Fauna und Flora in Tschernobyl unterstützt nicht das Horrorszenario, das die Wissenschaftler vor 30 Jahren entworfen haben, "

         

        Das, was Sie "die bisherige Entwicklung" nennen, ist nur das, was nach Bereinigung durch die offizielle Zensur von ausgesuchten "Wissenschaftlern" verlautbart wurde. In Fukushima wird derzeit ebenfalls unter Ausschluss der kritischen Öffentlichkeit auf Hochbetrieb vertuscht. Journalisten, die kritisch über Fukushima berichten, verlieren ihre Existenzgrundlage.

        Hätte man auf die "Horrorszenarien" der Wissenschaftler damals gehört, wäre tausenden von Menschen viel Leid erspart geblieben und kommende Generationen könnten optimistischer in die Zukunft blicken. Dass einige Tiere oder Pflanzen bestimmten Umweltbelastungen gegenüber weniger empfindlich sind als Menschen, ist keine Neuigkeit, kein Grund für eine Neubewertung und kein Trost.

        • @Rainer B.:

          Ich werde die Bilder aus dem Gruselkabinetts des örtlichen Labors Nähe der Todeszone nie vergessen. Missgeburten in Glasgefäßen, Mutationen aufgrund der radioaktiven Strahlung.

          Ich denke, dort können Sie heute noch genauso Aufnahmen machen, ohne dass Sie jemand daran hindert.

          Trotz oder gerade wegen dieser schrecklichen Bilder verfolge ich das, was in der Todeszone geschieht, mit großem Interesse.

           

          Im Gegensatz zu Fukushima ist die Frage der Verantwortung in Tchernobyl soweit geklärt, aber beim Verantwortlichen nichts mehr zu holen. Daher wundere ich mich nicht, dass die Aufklärung in Fukushima behindert wird.

           

          "kein Grund für eine Neubewertung" Neubewertung des Atomausstiegs? Man sollte die Situation dort vor Ort neu bewerten, ohne Rücksicht auf unsere politische Agenda. Ich habe keine Angst, dass überraschende Ergebnisse aus der Todeszone Wasser auf die Mühlen der Atomlobby hierzulande sein könnten. Die Atomlobbyisten werden sich hüten, das Wort Tchernobyl auch nur in den Mund zu nehmen. Der Schrecken sitzt immer noch bei allen zu tief.

           

          Also, verfolgen Sie die Berichte aus der Todeszone ein wenig entspannter.

          • @Sapasapa:

            Sie wähnen sich offensichtlich ausserhalb der Todeszone. Dabei gibt es nicht den geringsten Beweis dafür, dass der Anstieg bestimmter Krebserkrankungen insbesondere bei Kindern in den letzten Jahrzehnten nicht auf Tschernobyl zurückzuführen sind. Im bayrischen Wald und in Teilen der Türkei lassen sich noch heute radioaktive Zerfallsprodukte von Tschernobyl etwa in Pilzen und Waldfrüchten nachweisen.

            • @Rainer B.:

              Abgase von Autos und Industrie, chemische Produkte (natürlich kaum langfristig und auf Wechselwirkungen getestet), Verunreinigung von Essen und Trinkwasser, Medikamentenmissbrauch, etc. pp. Wir befinden uns schon längst in einer Todeszone, bzw. in einem großen Experiment. Radioaktive Strahlung ist da nur ein Aspekt unter vielen, wenn auch kein zu vernachlässigender.

               

              Ich würde es unserer Gesellschaft nicht übel nehmen, wenn sie vor dem Hintergrund der oben genannten alltäglichen Gefahren zu einer Neubewertung käme - wenn das Ergebnis auf mehr Rationalität, und weniger auf Emotionen und Idealismus, aber auch weniger auf Wirtschaftlichkeit gegründet wäre.

              • @Sapasapa:

                Sofern Sie nicht die übliche Verharmlosung der Kernenergie durch die Hintertür damit meinen, können wir uns durchaus darauf einigen.

                Im übrigen sind Emotionen und Idealismus nichts schlechtes, sondern mindestens ebenso wichtiger Teil des Menschseins wie Rationalität.

                • @Rainer B.:

                  Kernenergie nach Stand heute kann man nicht verharmlosen. In Tchernobyl menschliches Versagen, in Fukushima eine Naturkatastrophe: Zwischenfälle wird es früher oder später immer geben. Ganz zu schweigen vom Atommüll.