224.-225. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Musoni gibt Geschichtsunterricht
Der 1. Vizepräsident der FDLR erläutert vor Gericht die Entstehung und Struktur seiner Miliz – und die lähmenden Machtkämpfe der frühen Jahre.
BERLIN/STUTTGART taz | Straton Musoni, der 1. Vizepräsident der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), ist beim Oberlandesgericht Stuttgart gesprächiger als sein Mitangeklagter, FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka. Während letzterer grundsätzlich keine Aussagen macht, allerdings sein Fragerecht an die Zeugen wahrnimmt, verzichtet Musoni auf Fragen an die Zeugen, macht aber Aussagen.
Bereits vergangenes Jahr hatte Musoni in einer persönlichen Einlassung ausführlich seinen Werdegang geschildert. Am 7. und 9. April setzt er dies mit einer ausführlichen Schilderung der Geschichte der FDLR fort, auf die eine vertiefte Diskussion um die genaue Machtverteilung zwischen politischem und militärischem Flügel sowie um Machtkämpfe innerhalb der ruandischen Hutu-Miliz folgt.
Musoni illustriert seine Geschichtsstunde mit Schaubildern und geht chronologisch vor. Erstens: Die Zeit vor der FDLR-Gründung 2000.
„Forces Spéciales“ in Kabilas Armee
Damals kämpften die ruandischen Hutu-Soldaten im kongolesischen Exil - die aus Ruanda geflohenen Angehörigen der Armee FAR, die 1994 den Völkermord an den Tutsi mitverübte - in Kongos Regierungsarmee für Kongos Präsident Laurent-Désiré Kabila im „großen Kongokrieg“ gegen Ruanda und ruandisch unterstützte Rebellen im Ostkongo.
Sie waren organisiert als „Forces Spéciales“ an der Kriegsfront, die sich mitten durch den Kongo zog, und waren „abhängig von der Armee Kongos“ - aber mit eigener Verwaltung. Ihr Generalstabschef war Tharcisse Renzaho, während des ruandischen Genozids Gouverneur von Kigali und heute beim UN-Ruanda-Tribunal verurteilt und inhaftiert.
Zweitens: Im Mai 2000 wurde die FDLR gegründet. Nicht, wie sie selbst damals behauptete, in Ruanda, sondern im kongolesischen Lubumbashi; Musoni und Murwanashyaka waren dabei. Generalstabschef Renzaho wurde Exekutivsekretär und Vizepräsident.
Der Kommandeur der Forces Spéciales, General Aloys Ntiwirigabo - während des ruandischen Völkermordes Leiter des Militärgeheimdienstes in Ruanda - wurde FDLR-Präsident. Murwanashyaka wurde Kommissar für auswärtige Angelegenheiten und Musoni Vertreter des „Regionalen Widerstandskomitees“ in Europa.
„Ntiwiragabo kontaktierte Politiker im Ausland“, schildert Musoni, wie er damals nach Lubumbashi kam. „Die Einladung bekam ich via Murwanashyaka, er bat mich mitzugehen. Die Reisekosten wurden durch die Armeeführung erstattet, die uns sagte, dass die Regierung von Kongo uns unterstützt“. Murwanashyaka habe ein Jahr in Kinshasa verbracht. „Ich war 2001 im Kongo, die Kosten wurden von der Regierung des Kongo getragen.“
Zivile Politiker rücken in die Führung nach
Drittens: Im Oktober 2000 rücken zivile Politiker in die FDLR-Führung auf. So wurde Jean-Marie Vianney Higiro aus den USA Vizepräsident.
Viertens: Die FDLR hat damit eine neue Struktur: „drei politische und drei militärische Führer“. Zwei Präsidenten - Ignace Murwanashyaka (Zivilist) und Aloys Ntiwiragabo (Militär). Zwei Vizepräsidenten - Jean-Marie Vianney Higiro (Zivilist) und Paul Rwarakabije (Militär). Zwei Exekutivsekretäre: Félicien Kanyamibwa (Zivilist) und Tharcisse Renzaho (Militär). „Man sagte, es gibt zwei Präsidenten, einen internen und einen externen“, schildert Musoni das; „das hat kein Mensch so richtig verstanden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gab es große Probleme bei der Teilung zwischen Zivilisten und Militär.“
Ab 2003 war schließlich nur noch Murwanashyaka Präsident. „Die FDLR war ab 2003 unerwünscht“ im Kongo, erinnert sich Musoni: zuvor hatte Kongos Regierung in Vereinbarung mit Ruanda versucht, die ruandischen Hutu-Soldaten zu repatriieren und sie auf der Luftwaffenbasis Kamina gesammelt, wo sie meuterten und sich unter Führung des späteren FDLR-Militärchefs Sylvestre Mudacumura nach Ostkongo zu den dortigen Hutu-Milizionären in den Wäldern durchschlugen.
Putschversuch gegen Murwanashyaka in Holland
Fünftens: Ab Ende 2003 gab es viele Änderungen und 2004 entstand die Struktur der FDLR, wie sie bis 2009 Bstand hatte. Rwarakabije desertierte und ging zurück nach Ruanda, sein Nachfolger als 2. Vizepräsident wurde Rumuli (Gaston Iyamuremye, der heutige faktische FDLR-Präsident). Vianney Higiro „wollte Präsident werden und versuchte einen Putsch gegen Murwanashyaka, wodurch er das Amrt des Vizepräsidenten verlor; nach dem Putsch wurde ich Vizepräsident“, erinnert sich Musoni. Sein Amr bekam er provisorisch am 4. Juni 2004; gewählt wurde er erst später.
„Ich war auf der Versammlung in Holland, wo es den Putschversuch gab“, sagt Musoni. „Es wurde diskutiert, Murwanashyaka abzusetzen und Higiro ins Amt zu bringen... Es wurde eine Versammlung in Frankreich gemacht als Kontraversammlung.“ Später sagt er aber, das sei in Brüssel gewesen, und es gibt auch Vrwirrung darüber, ob das Treffen in Holland in Amsterdam oder Utrecht stattfand.
„Etwa eine Woche wusste man nicht, wer der Präsident war“, sagt Musoni. „Murwanashyaka war bereit, aufzugeben, wenn die Amt und das Comité Directeur im Kongo den Putsch akzeptiert wähtten, aber die Armee lehnte den Putsch ab.“ Später heißt es, sechs Monate lang sei die Organisation während dieses Machtkampfes handlungsunfähig gewesen.
Murwanashyakas Kritiker warfen ihm damals vor, weiterhin in Kontakt mit dem nach Ruanda desertierten Paul Rwarakabije zu stehen. Das Oberkommando unter Mudacumura und auch Rumuli stellten sich aber hinter Murwanashyaka und setzten durch, dass er im Amt blieb.
Sechstens: Die Statuten und Texte der FDLR entstehen ab 2004. Das Comité Directeur (CD) besteht 50:50 aus Politikern (Comité Exécutif) und Militärs (FOCA), tagt aber „nur alle sechs Monate“ und erstmals erst 2006, als Murwanashyaka im Kongo war. „Nach dem Putsch“ (von 2004) war die Situation chaotisch und ohne Vertrauen“, erinnert sich Musoni.
Warum 2005 die Rom-Verhandlungen scheiterten
So war es auch nicht möglich, die Rom-Verhandlungen - als im Februar 2005 unter Leitung der katholischen Gemeinde Sant‘Egidio ein nie umgesetzter Plan zur freiwilligen Beendigung des Krieges der FDLR entwickelt wurde - praktisch umzusetzen.
Bei diesen Verhandlungen spielte Musoni eine aktive Rolle, erklärt er: „Ich war zuständig, wer und wieviele in Rom teilnehmen werden. Ich habe mit Mudacumura oft telefoniert, wer kommen wird, und mit Murwanashyaka sowieso. Am Ende wurde eine Delegation für Rom zusammengestellt von Mudacumura, er gab mir die Namen, Murwanashyaka und ich haben die Namen zusammengetragen: Murwanashyaka, ich, Hakizarera Christophe, der Name des Exektuvisekretärs fällt mir nicht ein - er war aus Belgien - aus Kongo kamen der Vizekommandeur, es waren drei bis vier Personen.“
Aber „es gab kein Gremium, das den Rom-Prozess begleitet hat. Das Militär und die Politik waren immer getrennt in der Frage.“
In der Befragung wird nun darüber diskutiert, wer denn Entscheidungen zum Rom-Prozess hätte fällen können. „Wenn das oberste Entscheidungsgremium, der Nationalkongress, eine Entscheidung getroffen hätte: Wir legen die Waffen nieder und gehen in Würde nach Ruanda zurück - wäre das Militär daran nicht gebunden gewesen?“ fragt ein Richter.
„Das wäre eine Empfehlung an die Armee gewesen“, antwortet Musoni. „Da sie 50% im Kongress haben, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie auch mitmachen. Aber die Entscheidungen waren nicht bindend.“
„Haben Sie das Ihren Verhandlungspartnern in Rom gegenüber offengelegt?“ wird er gefragt. „Haben Sie ihnen gesagt: Wir können hier über vieles diskutieren, aber was die Herren im Kongo mit ihren Waffen machen, ist ihre souveräne Entscheidung?“
„Wir mussten ihnen das nicht sagen“, antwortet Musoni. „Denn Vertreter der Armee waren auch in der Delegation. Aus diesem Grund durften wir (Politiker) nicht alleine zu den Verhandlungen gehen.“
Der Präsident befehligt die Armee. Oder?
Wieder und wieder kehrt die Gerichtsverhandlung also zur Kernfrage zurück: ob die zivile FDLR-Führung, die hier vor Gericht steht, tatsächlich Befehlsgewalt über die Militärs im Kongo ausübte. Was Musoni jetzt sagt, klingt nicht so.
Andererseits ist auch klar, dass der FDLR-Präsident sowohl den politischen als auch den militärischen Flügel der Organisation anführt. Im FOCA-internen Regelwerk wird „Abzug und Rückzug der Armee“ als eine Zuständigkeit des Präsidenten genannt“, hält ein Richter Musoni vor.
„Ich habe diese Situation nie erlebt“, antwortet Musoni. Aber er gesteht ein: Bei Rom würde diese Klausel den Präsidenten „autorisieren, im Namen der Armee oder der gesamten Organisation zu unterschreiben, dass die Armee entwaffnet wird.“ Aber das wäre trotzdem nur „eine politische Entscheidung“, ohne Einfluss auf die Armee.
Der Widerspruch bleibt unaufgelöst, auch was einen von Musoni geschilderten Ausnahmefall angeht, der in den FDLR-Regeln geregelt ist: „Wenn der Präsident des Oberkommando und auch sein Vizepräsident ausfallen, kann der Präsident der FDLR die Versammlung des Oberkommandos leiten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!