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2024 – Sport statt AfDBisschen Nationalherumgestolze

Die Umfragen zu den Ost-Landtagswahlen machen Angst. Hoffentlich nimmt die Fußball-EM genug nationalistische Energie in Anspruch.

So gehen die, die im eigenen Land WM-Dritter werden Foto: imago

Die deutsche Fußballwelt stellt hohe Erwartungen an die heimische Europameisterschaft im Sommer. „Ein richtig gutes Fußballfest“ soll sie werden, wenn es nach Nationalspieler Thomas Müller geht. DFB-Sportdirektor Rudi Völler hofft gar auf ein Sommermärchen 2.0.

Tatsächlich haben sich die Bilder aus dem Jahr 2006 tief in unser natio­nales Gedächtnis eingebrannt: Schweini und Poldi Arm in Arm, davor ein Meer aus Schwarz-Rot-Gold. Menschen, die mit einer Selbstverständlichkeit Flagge zeigen, wie seit über 60 Jahren nicht mehr.

Seitdem hat sich viel verändert: Die Panini-Bilder sind im Keller verstaubt. Weder die Frauen noch die Männer kamen bei der letzten Fußball-WM über die Vorrunde hinaus. Und die Deutschlandfahne ist längst wieder von der party-patriotischen Quengelware an der Supermarktkasse zum Symbol rechter Gesinnung mutiert, vorzugsweise getragen am Revers von AfDlern wie Björn Höcke & Co. Politiker*innen, die mit ihrer Partei in diesem Jahr bei gleich drei Landtagswahlen stärkste Kraft werden könnten:

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegt die AfD in Umfragen aktuell vorne, in zwei der drei Bundesländern gilt sie als gesichert rechtsextrem. Und so manch ei­ne*r fragt sich, ob nicht auch die schwarz-rot-goldene Euphorie des Sommermärchens den gefährlichen Nationalismus wieder salonfähig gemacht hat.

Was das Land braucht

Doch vielleicht ist ein bisschen Nationalherumgestolze genau das, was das Land gerade braucht. Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im letzten August hat ergeben, dass die eigene Anhängerschaft am meisten unter dem Programm der Partei leiden würde. Doch geht es den AfD-Wähler*innen möglicherweise gar nicht um die Inhalte?

Entscheidend dafür, wo eine Person ihr Kreuz setzt, könnte am Ende etwas ganz anderes sein: ein positives Gefühl für die eigene Identität. Denn Rechtspopulismus funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip: Die eigene Gruppenzugehörigkeit wird aufgewertet, die einer anderen Gruppe abgewertet. „Wir gegen die“ also. Bis zu einem gewissen Grad folgen auch sportliche Großereignisse diesem Motto.

Es mag nach naivem Wunschdenken klingen und natürlich lassen sich durch das bisschen Herumgekicke aus Nazis keine De­mo­kra­t*in­nen machen. Mit antifaschistischem Kampf und guter Sozialpolitik wäre sicherlich weit mehr zu erreichen.

Aber vielleicht nimmt bei dem ein oder der anderen die Fußball-EM in diesem Jahr zumindest genug nationalistische Energie in Anspruch, dass sie sich nicht mehr auf dem Wahlzettel entlädt. Vielleicht gerät der Frust über die Ampel zumindest für kurze Zeit in den Hintergrund und aktuelle Krisen erscheinen weniger bedrohlich, wenn der sonst so nüchterne Olaf Scholz auf der Zuschauertribüne mitfiebert und die Arme gen Himmel reißt wie einst Angela Merkel. Immerhin konnten Studien bereits positive Fußballeffekte auf die Lebenszufriedenheit und die Zufriedenheit mit der Regierung nachweisen. Vorausgesetzt, es läuft gut auf dem Feld.

„Wenn wir gewinnen, sind wir alle Deutsche“

Ohne an dieser Stelle zu viel Druck machen zu wollen, schneidet die Nationalelf hingegen ähnlich mies ab wie in letzter Zeit, könnte alles noch viel schlimmer kommen. „Wenn wir gewinnen, sind wir alle Deutsche. Und wenn wir verlieren, dann kommen diese Affen-Kommentare.“ Mit diesen Worten reagierte U21-Nationalspieler Youssoufa Moukoko auf die rassistischen Beleidigungen, die ihm im Internet an den Kopf geworfen wurden, nachdem er im EM-Auftaktspiel vergangenes Jahr einen Elfmeter verschossen hatte. So gerne es die Marketing-Aktionen von FC Bayern München und Kon­sort*in­nen suggerieren: Fußball war noch nie bloß Toleranz, Respekt und Vielfalt.

Und so bleibt auch das Sommermärchen 2006 am Ende genau das: eine Mythenerzählung. Den ganzen Korruptionsskandal um die Vergabe einmal außen vor, zelebrierten eben nicht alle einen offen, (feucht)fröhlichen Umgang mit der eigenen Nation. Mancherorts schlug der Nationalstolz in Rassismus um. Im WM-Jahr stieg die Zahl der rassistischen und rechtsextremistischen Straftaten auf den höchsten Stand seit dem Jahr 2000.

Doch wie immer ist sich die Forschung auch an dieser Stelle nicht einig: Als „Özil-Effekt“ etwa wird der kurzfristige Rückgang rassistischer Einstellungen zur Fußball-WM 2010 bezeichnet. Mesut Özil war damals einer der Lieblingsspieler der Deutschen und wurde plötzlich zur Identifikationsfigur, zu einem von ihnen. Es bleibt zu wünschen, dass sich ein ähnlicher Effekt auch in diesem Sommer einstellt – und zumindest bis zum Wahlmonat September anhält.

Dass so manche Fans, wenn es hart auf hart kommt, eher zu ihren Spie­le­r*in­nen halten als zur AfD, haben sie schon einmal bewiesen. Als Alexander Gauland meinte, die Leute „wollen einen Boateng nicht als Nachbar haben“, regte sich in der Bevölkerung fast ungewöhnlich viel Widerspruch. Und wer mit Fußball nicht viel anfangen kann, auf den warten in diesem Jahr zum Glück genug andere sportliche Großereignisse.

Mit Andreas Wellinger springt aktuell ein Deutscher bei der Vierschanzentournee um den Gesamtsieg mit. Bereits am 10. Januar beginnt die Heim-EM der Handballmänner. Und in Paris dürften die Olympischen Spiele im Juli und August für ein bisschen Schland-Gefühl sorgen. Hoffen wir mal, die deutschen Leicht­ath­le­t*in­nen gehen in diesem Sommer medaillentechnisch nicht wieder leer aus.

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11 Kommentare

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  • "Denn Rechtspopulismus funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip: Die eigene Gruppenzugehörigkeit wird aufgewertet, die einer anderen Gruppe abgewertet. „Wir gegen die“ also."



    Ist das wirklich ein Alleinstellungsmerkmal des Rechtspopulismus?



    Funktioniert nicht jede politische Partei oder Gesinnung so?



    Klar, zwischen Links und Rechts ist die Abgrenzung schärfer, der Graben tiefer, die Meinungsunterschiede extremer als vielleicht bei Rot gegen Schwarz und Grün gegen Gelb - aber nichtsdestotrotz ist das doch alles ein "Wir gegen die"...



    Mir ist keine Partei oder Gesinnung bekannt, die sagt "wir gegen niemand" - das ergäbe ja auch keinen Sinn 🤷‍♂️



    Jede Partei oder Strömung wertet sich und ihr Weltbild gegenüber den Anderen auf - ob nun CDU, SPD, Grüne, Antikapitalisten, Feministen, Rechtsradikale oder Klimaleugner - jede Gruppe behauptet für sich "es am besten zu Wissen" und die bestmögliche Ansicht zu vertreten.

  • "Die eigene Gruppenzugehörigkeit wird aufgewertet, die einer anderen Gruppe abgewertet. „Wir gegen die“ also."

    "Wir gegen die" - ja . Aber Abwertung? Nein. Wenn eine andere Gruppe stärker ist zolle ich dem Respekt und Anerkennung. Das ändert aber nichts daran, das ich mich mit "meiner" Gruppe trotzdem stärker identifiziere.

  • Antifaschismus ist wenn Deutschland gewinnt.

  • Wenn der VeilfaulBrunnen gewinnt, sind es Stuttgarter, ansonsten Cannstätter.

  • "Ohne an dieser Stelle zu viel Druck machen zu wollen, schneidet die Nationalelf hingegen ähnlich mies ab wie in letzter Zeit, könnte alles noch viel schlimmer kommen."

    Ja. Der kurze Auftritt in der Vorrunde wird nicht viel nützen.

  • 6G
    697175 (Profil gelöscht)

    "Denn Rechtspopulismus funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip: Die eigene Gruppenzugehörigkeit wird aufgewertet, die einer anderen Gruppe abgewertet." Da macht sich wieder eine(r) das Leben einfach : sind die anderen sog. Politiker in irgendeiner Form anders, hat man schon jemals zB Herrn Söder NICHT sich und seine Bayern über alles Übrige im Lande stellen gehört ?

  • Ich wünsche mir wieder Zustände von vor 2006. Als die Deutschen sich noch dafür schämten, ihre Flagge zu zeigen. Ewig sollte die Schuld Deutschlands sein, ewig die Reparationen. Statt ewig werden es nur wenige Jahrzehnte.

    Es wird sich alles wiederholen, Leute. Glaubt es mir. Es wird wieder eine Adolf-Hitler-Straße in Deutschland geben. Gibt ja schließlich immernoch eine Erwin-Rommel-Kaserne. Und dann werdet ihr es bereuen, uns nicht zugehört zu haben.

    Tötet den Nationalismus jetzt! Bevor er euch tötet!

    • @Troll Eulenspiegel:

      Tja, und ich wünsche mir unbeschwertes Fahnenschwingen wie eben genau im Sommer 2006: Ein Staat der Migranten eine gute neue Heimat sein soll braucht einen stabilen Verfassungspatriotismus und einen unverkrampften Umgang mit der Staatsflagge. Und: Geschichte wiederholt sich nie, es wird nie wieder eine Adolf-Hitler-Straße in Deutschland geben. Desweiteren lehne ich es als aufgeklärter Humanist ab zu töten, egal wen oder was.

  • Nur mal in die Glaskugel geschaut:



    a): D scheidet im Achtelfinale aus ( sehr wahrscheinlich): aus lauter Frust wählt man 2 Monate später AFD



    b): Niederlage im Finale: siehe a)



    c): D wird Europameister: aus überschwenglichem Nationalstolz und Deutschtümelei wählt man AFD.

    Also alles bleibt, wie es ist.

  • Jaja, klar. Vielleicht hilft es auch, einen Rosenkranz zu beten oder sich Krötensalbe aufs Knie zu schmieren. Oder die Wehrpflicht. Oder die Vorratsdatenspeicherung. Und dann müssen wir natürlich auch mehr abschieben.

  • "Und die Deutschlandfahne ist längst wieder von der party-patriotischen Quengelware an der Supermarktkasse zum Symbol rechter Gesinnung mutiert, vorzugsweise getragen am Revers von AfDlern wie Björn Höcke & Co. Politiker*innen, die mit ihrer Partei in diesem Jahr bei gleich drei Landtagswahlen stärkste Kraft werden könnten:"



    Das war nicht immer so, selbst die SPD hatte Wahlkampfmaterial mit Aufklebern in Schwarz-Rot-Gold: in Wellenform von links unten nach rechts oben. Die CDU hatte mit "MUT ZU DEUTSCHLAND" und "Keine sozialistischen Experimente!" ebenfalls "Flagge gezeigt".



    Im rechten Milieu hat immer noch eine andere Flagge einen besonderen Symbolwert:



    www.sueddeutsche.d...gsflagge-1.5241710



    /



    Darüber hinaus sah ich:



    taz.de/Suedstaaten...ndenburg/!5209939/