piwik no script img

20 Jahre „Die Sims“Ah, gwanda blitz!*

Sie machen, was wir wollen – in ihrer eigenen Sprache: Häuser bauen, vögeln oder ertrinken zum Beispiel.

Newton Baker, ein Charakter, der im dritten Teil der Sims eingeführt wurde Foto: Lella/flickrCC-License

Babys für alle!

Ich muss zugeben, meine Sims zu ermorden spielte für mich nie eine große Rolle. Und bevor Sie jetzt ganz empört tun: Lesen Sie den Text meiner Kollegin Carolina Schwarz weiter unten.

Ich wollte meine Sims nicht sterben lassen, denn ich brauchte sie ja noch: für Sex. Nichts fand ich als Pubertierende interessanter und verbotener, als dass sich Sims verliebten, knutschten und dann, das war der Höhepunkt, Sex hatten.

Ich baute Häuser, lud andere Sims zu mir ein, veranstaltete Partys. Manchmal mündeten diese Partys in Kleinfamilien. Bis heute habe ich nicht ganz verstanden, wie Verhütung in der Welt der Sims funktioniert. Aber ich glaube, es ging so: Partner*in 1 fragte Partner*in 2: Wollen wir ein Baby haben? Wenn Partner*in 2 ja sagte, kam das Kind. In den ersten Versionen von Sims flog da noch eine Babywiege vom Himmel. Die Schwangerschaft wurde komplett ausgeblendet.

In späteren Versionen des Spiels dann konnten gleichgeschlechtliche Paare zusammenkommen und heiraten, Sims konnten Kinder adoptieren, und auch Männer hatten die Möglichkeit, schwanger zu werden. „Sims“ war schon früh progressiv, ein Computerspiel, dass uns eine Realität zeigt, in der viele von uns am liebsten schon längst gelebt hätten. Erica Zingher

Vielseitig verschwendet

Ich habe Stunden, nein: Tage meiner Jugend an die Sims verschwendet. Und: ich tue es immer noch. Aber ich kann nichts dafür, denn meine Schwestern haben mir „Die Sims 4“ zum Geburtstag geschenkt.

Und nie war Zeit verschwenden so vielseitig. Wie lang soll das Kinn sein, wie breit die Schultern? Welcher Hautton, welche Stimmfarbe? Isst die Figur Fleisch? Soll sie Brüste haben und, unabhängig davon: Kinder gebären können? Soll sie Politikerin werden, oder Sportler, der den Hund mit zum Joggen nimmt?

Es gibt so viele Fähigkeiten auszubauen, so viel zu erleben. Aber wie viel kann ein Sim in einem Leben eigentlich erreichen?

Sie werden älter und sterben, und weil sie zwischendurch Babys in die Welt gesetzt haben, hat das mit dem Umzug ins größere Haus oder das mit den zehn Affären irgendwie nicht geklappt. Und Zeit, der Katze coole Tricks beizubringen, war auch nicht.

Man rackert sich ab und dann sind die 66 Tage, die ein mittleres Sim-Leben dauert, vorbei. (Die Katze ist schon vorher gestorben.) Aber der Nachwuchs wird es besser haben. Nur bis es so weit kommt, bin ich eigentlich schon tierisch genervt. Auf Wiedervorlage an einem grauen Wintertag – dann im nächsten Winter. Dinah Riese

Besser als Meditieren

Nichts erdet mich so wie ein Grundriss. Wo andere meditieren oder Sudokus lösen, zeichne ich Grundrisse. Egal wie aufgewühlt, nach ein wenig Architektur auf kleingekästeltem Zeichenpapier schlafe ich wie ein Baby. Das kommt vom „Sims“-Spielen, Anfang der 2000er, vor meinem kolossalen alten Röhrenbildschirm.

Die Figuren interessierten mich nicht, die wollten ständig auf Klo, waren unglücklich oder starben, anstatt Karriere zu machen. Stattdessen verbrachte ich Tage im Spielstopp-Modus und baute, bis Mama besorgt den Stecker zog.

Dank „Cheats“, also Codewörtern, die man sich auf dem Schulhof zuflüsterte, ging das Geld nie aus und ich konnte mich ohne Ende baulich verwirklichen. Zuerst den Grundriss, dann Wände, Dach, Böden, Treppen, elegant mit der Maus aufziehen und platzieren, dazu tröstende Fahrstuhlmusik. Das ging so, bis ich keine neuen Varianten fand, Topfpflanzen zu arrangieren. Heute ist das alles besser, „Sims“-Fans programmieren selbst Möbel und Tapeten und stellen sie gratis im Netz zur Verfügung. Ich habe leider nie programmieren gelernt und mir stattdessen kleingekästeltes Zeichenpapier besorgt. Und wissen Sie was, ich gönne mir jetzt ein Blatt. Peter Weissenburger

Simlishe Wirklichkeit

Sprache schafft Wirklichkeit. Um das zu wissen, muss man nicht poststruktralistische Kulturtheorie lesen. Es reicht, „Die Sims“ zu spielen.

Ah, van vesua! Cummuns nala? – Hey! Wie geht’s dir?

Simlish sei aus dem Wunsch entstanden, eine Spielsprache zu finden, die nicht zu sehr von anderen sinnlichen Erlebnissen ablenkt, universell ist und nicht langweilt, sagte Audiodirektorin Claire Curtin. Mit SynchronsprecherInnen habe man dann 30 Dialoge für jedes Sims-Paar aufgenommen, um Wiederholungen zu minimieren.

Erfolgsgeschichte

Zwei Jahre lebten „Die Sims“ so vor sich hin, bis sie 2002 das meistverkaufte PC-Spiel aller Zeiten waren. Drei Nachfolger, mehrere Spin-offs und unzählige Erweiterungen gibt es inzwischen. Selbstverständlich gehört auch eine Smartphonevariante dazu. Das Studio Electronic Arts (EA) veröffentlichte mit den Sims nicht seinen ersten Erfolgs­titel. Dass EA das Marketing für das Spiel jedoch explizit an Frauen ausrichtete, war neu. EA produziert als eines der größten Studios der Welt Spiele für Konsolen, PCs und Mobilgeräte, darunter rundenbasierte Simulationen wie Civilisa­tion, aber auch Sportsimulationen und Shooter. (krt)

Oo krem letich! – Oh Mann, das ist großartig!

Das Simlishe selbst entstand beim Experimentieren mit realen Sprachen wie der Apache-Sprache Navajo, Ukrainisch und Estnisch. Laut „Sims“-Fachforen sollen auch das philippinische Tagalog und Englisch Eingang gefunden haben.

Dis Wompf Es Fredesche! – Das Essen schmeckt gut!

Man mag die Sprache nicht gleich verstehen, doch sie überwältigt durch ihre emotionale Melodie der leidenschaftlichen Sims. Als Verständnisstütze gibt es trotzdem Sprechblasen mit visuellen Darstellungen des Konversationsgegenstandes.

Benzi chibna looble bazebni gweb! – Nicht ist unmöglich, wenn du daran glaubst! Volkan Ağar

Ihr macht mir Angst

In meiner Teenager-Zeit, in der das Internet noch langsam und teuer war, zockten wir alle Computerspiele. Die Jungs „GTA“, die Mädchen „Die Sims“ – ganz genderstereotyp. Denn statt gnadenlos Leute abzuballern, ging es bei „Die Sims“ ja um das friedliche Leben: Häuser bauen, Charaktere erstellen, Arbeit und Hobbys. Ganz ohne Krieg und Gewalt. Doch die Realität sah anders aus.

Mit dem richtigen Cheat gab es genug Geld zum Traumhäuserbauen – und dann? Was anfangen mit der Happy Family im 500-Quadratmeter-Haus mit Pool? Ich hatte nun die komplette Kontrolle über die Sims, die ich selbst erstellt hatte. Aus reiner Langeweile ließ ich sie im Pool schwimmen, nur um dann mit einem kurzen Spielstopp die Leiter aus dem Pool zu entfernen. Der Sims war gefangen, er konnte nicht überleben. Oder ich baute einen 2 Quadratmeter großen Raum, setzte den Sims da rein. Zu Beginn noch mit einer Zimmerpflanze oder einem Teddybär – später ohne alles.

Irgendwann kam ich mir zu sadistisch vor, bekam Angst vor mir selbst und hörte auf „Die Sims“ zu spielen (außerdem wurde das Internet schneller und günstiger). Heute weiß ich, dass war nicht nur ich – ihr alle habt es getan. Und jetzt habe ich Angst vor euch allen! Carolina Schwarz

*Übersetzung der Überschrift: „Oh, eine gute Idee!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!