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1.273 Tage Krieg in der UkraineIm Zickzack vor der Drohne fliehen

Die Stadt Cherson in der Südukraine wird täglich mit Drohnen beschossen. Zur Sicherheit der Menschen hat die Stadt Verhaltensregeln plakatiert.

Ein Bauer inspiziert eine russische Kampfdrohne, die am 24. Juli 2025 auf sein Feld stürzte Foto: Ivan Antypenko/reuters

C herson stand neun Monate unter russischer Besatzung, bis es im November 2022 befreit wurde. Die Stadt wird jedoch weiter von den russisch kontrollierten Gebieten aus beschossen, mit fast allen Arten von Langstreckenwaffen. Und mit der Entwicklung neuer Kriegstechnologien wächst auch die neue Bedrohung: Drohnen, die immer größere Strecken überwinden. Fast die Hälfte Chersons wird durch russische Drohnen kontrolliert.

über leben

Für die Menschen in der Ukraine ist der Krieg ein Teil ihres Alltags geworden. Trotz der Todesangst vor Luftangriffen und Kämpfen geht das Leben weiter: Die Menschen gehen zur Arbeit, zur Schule und zur Uni. Sie lieben, lachen, heiraten, bekommen Kinder, machen Urlaub. Sie trauern, sorgen sich – und hoffen auf Frieden.

Ein gewöhnlicher Tag in Cherson: Ein Mensch ist auf dem Weg zur Arbeit, in den Supermarkt, zum Bus. Dann wirft eine Drohne eine Granate ab und der Mensch ist verwundet. Oder tot. So etwas passiert jeden Tag. Dutzende Male am Tag. Um in Cherson zu überleben, muss man die Empfehlungen der Abteilung für Zivilschutz der Chersoner Stadtverwaltung befolgen, die überall in der Stadt plakatiert wurden.

Bild: privat
Artem Perfilov

Freiberuflicher Journalist und lokaler Produzent aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa. Seit Beginn der russischen Großoffensive in der Ukraine begleitet er ausländische Journalisten, unter anderem in die Frontgebiete. Der Autor war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Und das sind die Empfehlungen (vollständige Übersetzung des Plakates):

Verhalten bei Angriff mit Drohnen, die Sprengstoff abwerfen

Wie man sich schützen kann:

Denken Sie vor allem daran: Alle Flugobjekte müssen als feindlich betrachtet werden. Wenn eine feindliche Drohne nahe über Ihnen fliegt, hat sie Sie vermutlich schon bemerkt. Wichtigste Rettungsregel: Wenn Sie eine Drohne hören oder sehen, begeben Sie sich so schnell wie möglich in einen Schutzraum!

Wenn kein Schutzraum in der Nähe ist:

Verstecken Sie sich in einem Keller oder im Erdgeschoss eines Gebäudes. Gibt es das auch nicht, halten Sie sich an die „Zwei-Wände-Regel“ Das bedeutet, dass Sie durch zwei Wände von der Gefahr getrennt sein müssen!

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Sollten Sie sich im Moment der Gefahr in einem Fahrzeug befinden:

Steigen Sie sofort aus, verlassen Sie die Straße und suchen Sie einen Schutzraum auf.

Wenn die Drohne schon über Ihnen ist und es bis zum Schutzraum zu weit ist:

Bewegen Sie sich schnell, ändern Sie alle 7-10 Meter die Richtung und laufen Sie im Zick-Zack (dann wird es für den feindlichen Drohnenpiloten schwieriger, einen präzisen Abwurf durchzuführen). Halten Sie Abstand zu Verwaltungsgebäuden, strategischen und militärischen Einrichtungen und Tankstellen.

Beachten Sie:

Auf keinem Fall dürfen herabgestürzte Drohnen oder Teile davon angefasst werden. Über Absturzorte von Drohnen informieren Sie bitte Rettungskräfte oder die örtliche Polizei.

Ukrainische Lifehacks

Das sind elementare Empfehlungen, die nur einen von vielen Waffentypen betreffen. Die Einwohner von Cherson, die sich bereits alle mehrmals vor Beschuss in Sicherheit gebracht haben, teilen gerne weitere Lifehacks. So sollte man zum Beispiel Autos bevorzugt unter dem Schutz von Laubbäumen parken und auch selber möglichst unter Bäumen laufen. Auf offenen Straßen und Plätzen sollte man sich möglichst sehr schnell bewegen.

Ratsam ist, nicht nur die Lage am Himmel zu beobachten, sondern auch auf den Boden zu achten. Denn die Russen legen in Cherson Antipersonenminen, sogenannte „Blütenblätter“. Zwischen 17 Uhr und dem folgenden Morgen verlässt man besser nicht mehr das Haus – zu dieser Zeit schließen alle Geschäfte und es beginnt der Artillerie-Beschuss.

Sie sagen jetzt vielleicht, man solle besser nicht mehr in Cherson leben, wenn es dort so schwierig ist. Ja vielleicht. Aber die Menschen aus Cherson haben keinen anderen Ort zum Leben.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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