100 Milliarden Euro für die Bundeswehr: Wortgefechte um Sondervermögen
Für die Aufrüstungspläne der Ampel sind die Stimmen der Union nötig. Die heftige Debatte im Bundestag zeigt deutlich: Das wird knapp.
![Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Außenministerin, spricht bei einer Sitzung des Bundestags zu den Abgeordneten Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Außenministerin, spricht bei einer Sitzung des Bundestags zu den Abgeordneten](https://taz.de/picture/5528090/14/Baerbock-1.jpeg)
Man stehe vor einer historischen Verantwortung, rief Finanzminister Christian Lindner, FDP, den Unionsabgeordneten zu. Man müsse die Zeitenwende jetzt mit Leben erfüllen, richtete sich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, SPD, an die Union. „Wir alle müssen uns bewegen“ und das sei nicht der Moment für parteitaktische Spielchen, mahnte Außenministerin Annalena Baerbock. Umsonst: „Das, was hier eingebracht wurde, ist für uns nicht zustimmungsfähig“, brachte der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Mathias Middelberg die Unionssicht auf den Punkt.
Die Opposition macht es der Regierung nicht einfach. In erster Lesung hat der Bundestag am Mittwochnachmittag das geplante Sondervermögen für die Bundeswehr diskutiert, und die Debatte hat bestätigt: Ein Selbstläufer wird die abschließende Abstimmung über das Vorhaben, für die es bislang keinen Termin gibt, sicher nicht.
Die Koalition möchte Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro für Investitionen in der Verteidigungspolitik aufnehmen. In seiner „Zeitenwende“-Rede nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte Olaf Scholz den Plan angekündigt. Um das Vorhaben trotz der geltenden Schuldenbremse umsetzen zu können, muss das Sondervermögen nach Auffassung der Koalition ins Grundgesetz aufgenommen werden. Dafür braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, die ohne die Union nicht erreicht wird. Parallel zur Plenardebatte stehen deshalb in dieser Woche Gespräche zwischen Ampel und Union an.
Die Union stellt harte Bedingungen
Den Beginn machte am Mittwochvormittag Finanzminister Christian Lindner (FDP), der eine Delegation mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul empfing. Sie sollten ausloten, wo Kompromisse möglich sind zwischen dem Regierungsantrag und den Bedingungen, die Oppositionsführer Friedrich Merz schon im März aufgestellt hatte.
Ein Knackpunkt: Die Union möchte eine Garantie dafür, dass Deutschland entsprechend Nato-Absprachen dauerhaft mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär ausgibt. Dafür müsste, wenn die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen irgendwann aufgebraucht sind, der reguläre Verteidigungshaushalt um mehr als 20 Milliarden Euro im Jahr steigen. Ein heftiger Anstieg – die Koalition tut sich daher schwer mit der Idee, eine solche Garantie im Grundgesetz zu verankern.
Ein zweiter Knackpunkt: CDU und CSU wollen auch eine Garantie dafür, dass das Geld ausschließlich für die Bundeswehr ausgegeben wird. Hier hat sich die Koalition nach eigener Ansicht in den vergangenen Wochen schon weit genug bewegt. Forderungen aus den Reihen von Grünen und SPD, dass im Rahmen eines erweiterten Sicherheitsbegriffs auch Entwicklungshilfe und Windräder aus dem Topf bezahlt werden müssten, sind längst verstummt. In ihrem Entwurf für die Grundgesetzänderung hat die Ampel dennoch nur eine Zweckbindung für die „Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ festgelegt, statt explizit für die Bundeswehr.
Die Formulierung würde es erlauben, Geld auch für Maßnahmen zu verwenden, die die Nato bei der Berechnung des Zwei-Prozent-Ziels anerkennt, obwohl sie nicht dem Etat des Verteidigungsministeriums zugeordnet sind. Einige Ausgaben im Bereich Cyberabwehr könnten dazu zählen, vielleicht auch welche aus dem Zivilschutz. Zu dessen Ausbau hatten die Grünen zu Wochenbeginn, pünktlich vor der Bundestagsdebatte, einen 15-Punkte-Plan vorgestellt. Die Union bleibt bisher aber dabei: Das Sondervermögen soll nur dem Militär dienen. Baerbock versuchte die Bedenken der Union in diesem Punkt zu entkräften: Es gehe beim Sondervermögen nicht um humanitäre Hilfe, sondern um harte Sicherheitsmaßnahmen.
Hat die Ampel der Union inhaltlich etwas zu bieten?
Doch auch diese Versicherung ist der Union nicht hart genug. „Wir brauchen die 100 Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr und nichts anderes“, stellte CSU-Landesgruppenvorsitzender Alexander Dobrindt klar.
Offen bleibt, was die Ampel der Union nun inhaltlich anzubieten hat. In einer Kurzintervention schlug der CDU-Abgeordnete Johann Wadephul Gespräche im Kreis der Fachpolitiker:innen vor. Bislang waren die Verhandlungen ausschließlich auf Chef:innenebene geführt worden, Christian Lindner sprach mit Friedrich Merz.
Aber selbst wenn beide Seiten einen Kompromiss finden, bleibt für die Koalition ein Problem: Merz hat zusätzlich angekündigt, dass nur exakt so viele Unionsabgeordnete zur Abstimmung erscheinen werden wie für die Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Sollte auch nur ein Ampel-Abgeordneter mit „Nein“ stimmen, wäre das Sondervermögen also gescheitert. Bei aller Disziplin: Es wäre eine Überraschung, wenn bei SPD und Grünen gar niemand ausschert.
Die Koalition hat noch Hoffnung, Merz hier umzustimmen. Sie versucht es allerdings nicht mit gutem Zureden, sondern mit maximalem Druck: Die Union wolle doch auf keinen Fall als die Partei dastehen, die nach jahrelanger Misswirtschaft im Verteidigung jetzt auch noch die Zeitenwende für die Bundeswehr blockiert? „Herr Merz, Sie müssen sich entscheiden: Staatstheater oder Staatsräson“, versuchte es der SPD-Haushaltspolitiker Achim Post. Da sei man schon fast bei „Vaterlandslose Gesellen“, köpfte Wadephul zurück.
Es ist eine konfrontative Strategie, die an das Vorgehen der Ampel in der Impfpflichtdebatte erinnert. Damals fruchtete der Druck auf die Union nicht, diesmal gibt es für den Moment auch keine Anzeichen dafür. Und ein Plan B? Ist in der Ampel bisher ebenfalls nicht erkennbar. Am Ende wird Scholz ran müssen, damit die Zeitenwende, die er vor exakt zwei Monaten verkündete, nicht verpufft. Der Kanzler meldete sich in der Bundestagsdebatte nicht zu Wort. Hörte aber aufmerksam zu.
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