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10 Jahre Volksentscheid Tempelhofer FeldSimulierte Beteiligung

Vor zehn Jahren wurde per Volksentscheid entschieden, dass das Tempelhofer Feld nicht angetastet werden darf. CDU und SPD wollen das nicht hinnehmen.

Geht es nach CDU und SPD, wird das Feld bald bebaut. Und das ganz ohne Not Foto: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Berlin taz | Drachen steigen lassen, mit Freun­d:in­nen im Gemeinschaftsgarten entspannen, der Sonne beim Untergehen über der beeindruckenden Weite zusehen. Das alles sind Dinge, die auf dem Tempelhofer Feld mitten in Berlin möglich sind.

„Ganz besonders ist am Feld, dass dort alle Gesellschaftsschichten zusammenkommen können – und das bis jetzt immer friedlich“, sagt Anita Möller von der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“. Mehr noch, so Möller weiter: Das Feld sei auch ein Ort mit „großer Bedeutung für das Stadtklima“. Eine einzigartige Freifläche, die „einen wichtigen Beitrag für die Stadtnatur und die Erholung aller Besucher:innen“ leistet.

Nicht zuletzt Anita Möller und ihren Mit­strei­te­r:in­nen ist es dabei zu verdanken, dass es ebendiese einzigartige Fläche überhaupt noch gibt. Es war ihre Initiative, die vor zehn Jahren, am 25. Mai 2014, dafür gesorgt hatte, dass die Ber­li­ne­r:in­nen bei einem Volksentscheid darüber abstimmen konnten, was mit dem Areal des ehemaligen Flughafen Tempelhofs geschehen soll.

Und das Ergebnis war eindeutig: Fast 750.000 von mehr als 1,1 Millionen Wäh­le­r:in­nen sprachen sich für den von der Initiative vorgesehenen Schutz des Feldes und gegen jegliche Bebauungsfantasien aus – eine deutliche Abstimmungsmehrheit von fast 65 Prozent.

„Behutsame Randbebauung“

Tatsächlich waren die Nachnutzungsideen der damaligen Landesregierungen bereits weit gediehen. 2017 sollte auf dem Feld die Internationale Gartenbauausstellung stattfinden, 2020 dann die Internatio­nale Bauausstellung. Eine Randbebauung mit rund 5.000 Wohnungen stand ohnehin auf der Agenda. Bis per Volksentscheid alle Pläne gekippt wurden.

Genau ein Jahrzehnt später heizt der aktuelle schwarz-rote Senat die Debatte um das Tempelhofer Feld erneut an. Mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb sollen perspektivisch die „Möglichkeiten einer behutsamen Randbebauung“ ausgelotet werden. So steht es im Koalitionsvertrag.

„Ich kann den Berlinerinnen und Berlinern nicht erklären, dass ich Innenhöfe bebauen muss, aber eine Riesenfläche frei halte“, hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Linie schon mal festgezurrt.

Zuvor wollen CDU und SPD aber reden. Oder besser: reden lassen. In drei sogenannten Dialogwerkstätten sollen zufällig ausgeloste Menschen aus ganz Berlin an einen Tisch gebracht werden. Sie sollen diskutieren, Fachleute anhören, Ideen erarbeiten und diese am Ende an der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen überreichen.

Dialogprozess statt Volksentscheid

Das Beteiligungsformat unterscheidet sich deutlich von direktdemokratischen Verfahren wie einem Volksentscheid, bei dem nicht debattiert und abgewogen, sondern mit einem klaren Ja oder Nein abgestimmt wird.

Anfang 2022 tagte mit dem Berliner Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat ein ähnliches Forum. 100 Personen erarbeiteten damals 47 Empfehlungen für künftige Klimapolitik. Wie nun beim Tempelhofer Feld wurden auch die Kli­ma­bür­ge­r:in­nen per Losverfahren ausgewählt, um allen Ber­li­ne­r:in­nen die gleichen Chancen auf eine Teilnahme einzuräumen.

Vor Kurzem haben 20.000 ebenfalls zufällig geloste Ber­li­ne­r:in­nen Einladungen erhalten, sich am Dialogprozess zum Feld zu beteiligen. Aus den Rückmeldungen werden dann wiederum bis zu 275 ausgelost, wobei auf Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss, Migrationshintergrund und Wohnort geachtet werden soll, damit die Teilnehmenden möglichst die gesamte Stadtgesellschaft widerspiegeln.

Der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ stößt das komplette Vorhaben bitter auf. Sprecherin Anita Möller sagt: „Die Pläne des Senats sind vorgeschoben, unehrlich und demokratiegefährdend.“ Dies umso mehr, als die Frage, ob das Feld bebaut werden soll oder nicht, gar nicht auf der Tagesordnung der Dialogwerkstätten steht.

Die Pläne des Senats sind vorgeschoben, unehrlich und demokratiegefährdend

Anita Möller, „100 Prozent Tempelhofer Feld“

Wie der Regierende Kai Wegner hatte auch Bausenator Christian Gaebler (SPD) von Beginn an deutlich gemacht, dass er wenig davon hält, das Tempelhofer Feld so zu belassen, wie es momentan ist. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Dialogwerkstatt treffen keine Entscheidung darüber, ob das Tempelhofer Feld an den Rändern bebaut wird oder nicht“, stellte er Ende April dann auch noch einmal klar.

Das alles widerspreche den Berliner Leitlinien für Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung, ärgert sich Hendrikje Klein. Sie ist Sprecherin für Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Für Klein steht fest: „Dadurch, dass die Diskussion auf einen Aspekt, nämlich das Wie einer Randbebauung begrenzt wird, werden die Leitlinien ad absurdum geführt.“

Bebauung des Feldes nicht notwendig

Aber braucht es nicht dringend neuen Wohnraum in Berlin? Dauerhafter Zuzug, ungebremster Mietenanstieg: Das Argument des schwarz-roten Senats, mehr Wohnraum würde die Mieten senken, scheint auf den ersten Blick schlüssig. Allerdings brauche es dafür überhaupt nicht die Flächen auf dem Tempelhofer Feld, heißt es von Kritiker:innen.

CDU und SPD nehmen die Wohnungsnot zum Anlass, den Bür­ge­r:in­nen­wil­len von 2014 zu ignorieren, sagt auch Linken-Politikerin Klein. „Der Eindruck, der erweckt wird, dass die Bebauung des Tempelhofer Feldes die Wohnungsnot löst, ist die totale Irreführung.“ Klein plädiert stattdessen für einen echten Mieter:innenschutz, eine Deckelung der Mieten und dafür, den erfolgreichen Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ endlich umzusetzen.

Um herauszufinden, wie hoch der Bedarf an Wohnungen in der Hauptstadt künftig sein wird und wo neue Wohnungen gebaut werden können, genügt eigentlich ein Blick in den Entwurf des Stadtentwicklungsplans Wohnen 2040. Dort werden Flächen für fast 250.000 Wohnungen ausgewiesen.

Das sind fast 30.000 mehr als die 222.000 Wohnungen, deren Bau laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bis 2040 nötig wären. Das Tempelhofer Feld ist nicht darunter. Der Bedarf könnte also auch ohne eine Randbebauung des Feldes gedeckt werden.

Bedrohung von Stadtnatur und Freizeitangeboten

Sollten sich trotzdem irgendwann Baukräne am Rand des Felds drehen, wäre dabei nicht nur ein besonderer Ort Stadt­natur bedroht, sondern auch das vielfältige Sport-, Kultur- und Freizeitangebot, das hier über die Jahre entstanden ist.

Anita Möller von „100 Prozent Tempelhofer Feld“ betont, es gebe über 25 verschiedene Projekte, die durch Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung gewachsen seien. Diese sollen ausgebaut werden, auch wenn nach dem Willen der Initiative dafür keine festen Gebäude errichtet werden dürfen.

Klar ist: Wie das Tempelhofer Feld in den kommenden Jahren weiterentwickelt wird, ist offen. Es wird von den Teilnehmenden des Dialogprozesses, aber auch vom Engagement der restlichen Stadtgesellschaft abhängen. Hendrikje Klein stellt sich das Feld in zehn Jahren als eine „weiterhin weltweit einzigartige Grünfläche“ vor, offen für alle Ber­li­ne­r:in­nen, für Sport und Freizeit – und mit dem einmaligen Blick über das Wiesenmeer.

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11 Kommentare

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  • Das Tempelhofer Feld bzw. sein Untergrund werden als saisonaler Wärmespeicher für die Stadtheizung benötigt, von dem man an der Oberfläche (nahezu) nichts bemerkt.

    Im Sommer wird mit Solarenergie Wärme aus städtischen Klimaanlagen und Umgebungsluft eingespeichert, im Winter wird damit geheizt.

    Alternativen in Innenstadtnähe: Keine.

  • Ich habe damals auch gegen die Bebauung gestimmt, weil es seitens des Senats eine ganz halbseidene Planung für das Gelände gab, d.h. Aber nicht dass das für alle Zeiten zementiert ist.Die Anlage einer großen Parkanlage mit sozialer Randbebauung kann ich mir durchaus vorstellen ähnlich dem Tiergarten.Erst mal braucht es eineklare Konzeption dann kann man darüber neu entscheiden.

  • New Yorker gelten ja seit Anbeginn der Zeit als kapitalistisch orientiert bis ins Rückenmark... Wie haben ausgerechnet die es bloß geschafft, den Central Park vor allen Immobilienspekulanten zu schützen....



    Mit dem Tempelhofer Feld könnte man ein Feuerwerk in kreativer Park-Erholungslandschaft gestalten. Und CDU und SPD fällt nicht mehr ein, als ...zubauen--Weil sie die Immobilienspekulation im Rest der Stadt nicht antasten wollen, um ihr Wohnungsbauproblem zu lösen -dazu sind sie zu sehr mit diesen Interessen verflochten...

    • @Monomi:

      Ganz einfach:



      New York hat parkmäßig sonst nicht mehr viel zu bieten.

      Berlin schon.

      Unter Rot-rot-grün wurde ja auch die Wohnungsnot nicht gelindert.

      Waren die Linke und die Grünen auch zu sehr mit den Interessen der Immobilienspekulanten verflochten?

  • Es war auch Mal ein Flugplatz. Als er zumachte ein großes Geschrei. Heute sind alle froh darüber.



    Noch was wichtiges:



    Was ist eigentlich mit der Verwaltungsreform?

  • „Der Eindruck, der erweckt wird, dass die Bebauung des Tempelhofer Feldes die Wohnungsnot löst, ist die totale Irreführung.“ Klein plädiert stattdessen für einen echten Mieter:innenschutz, eine Deckelung der Mieten und dafür, den erfolgreichen Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ endlich umzusetzen."

    Ok, Klein hätte auch sagen können, die Linke hat auch keine bessere Idee und deshalb müsste man eigentlich wirklich das Tempelhofer Feld bebauen.

    Klein geht die Agenda seiner Partei durch, deren Vorschläge nicht eine Wohnung mehr schaffen.

    Es hat ja seinen Grund, dass die Linke auf dem absteigenden Ast sitzt.

  • Die ganze Diskussion ist von Seite der Kritiker ziemlich unehrlich. In den letzte Jahren hat es eine sukzessive Ausweitung der kleinkommerziellen Nutzung des Tempelhofer Feldes mit Bespassungsangeboten gegeben, von der gerade durch den Senat wieder vergrößerten Flüchtlingsunterkunft einmal abgesehen. Dagegen hat keiner mit dem Argument in Berlin sei anderswo genug Platz da demonstriert.

    • @Eckhard Hanseat52:

      Bespassungsangebote kann mein einfach wegräumen. Ein ein Wohnungsriegel mit Eigentum und ein paar Mietwohnungen bleibt stehen und vermehrt sich!

      • @A.S.:

        Nun ja, aber so zu tun, als handle es sich um ein Naturschutzgebiet, ist dann schon Quatsch.

        Die ganzen Fotos, die zeigen, wie beliebt das Tempelhofer Feld ist, belegen eben auch, dass dieses Narrativ nicht stimmen kann.

  • Das hier kritisierte Bürgerbeteiligungsverfahren wird in der taz an anderer Stelle und in anderen Zusammenhängen immer wieder gefordert, daher habe ich kein Verständnis für die hieran geäußerte Kritik. Offensichtlich hängen Kritik und Zustimmung von den jeweiligen Ziel und der jeweiligen Regierungskoalition ab.

    Ich persönlich halte solche Verfahren für vollkommen unnötig. Die Abgeordneten sind gewählt um Gesetze zu erlassen. Dann sollten sie das bitte auch tun und nicht in irgendwelchen Dialogverfahren festhalten; zumal diese im Falle eines Regierungswechsels nur Schall und Rauch sind.

  • Ein Volksentscheid ist nicht sakrosankt. Zumal wir alle wissen, wie das Volk in manchen Gegenden entschiede, wenn es zB über den Bau von Flüchtlingsunterkünften abstimmen dürfte.