1. Mai in Österreich: Mit Abstand am solidarischsten
Zu Coronazeiten reichen 100 Menschen, um den Wiener Rathausplatz zu füllen. Demonstrierende fordern Solidarität und kritisieren die EU.
Von der Antiimperialistischen Koordination über die Steirische Friedensplattorm bis zur Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter bewiesen sie, dass man aus der Not der Abstandsregelung eine Tugend machen und mit hundert Menschen einen Platz füllen kann.
„Den 1. Mai fallen lassen ist Kapitulation“, verkündeten rote Lettern auf einem gelben Transparent. Der Spruch „Mut & Solidarität statt Abschottung und Rassismus!“ richtete sich gegen die Regierenden, die sich weigern, auch nur einen unbegleiteten Minderjährigen aus dem Horror-Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos aufzunehmen.
Ein Sprecher prangerte die Politik der Europäischen Union an, die „in den letzten 30 Jahren ein neoliberales Kaputtmachprogramm gefahren“ und mit ihrem Spardiktat auch das öffentliche Gesundheitswesens in Italien zerschlagen habe. Die Seuche habe dort am meisten zugeschlagen, wo der von der EU verordnete Abbau am härtesten war.
Die SPÖ versucht zu erklären, warum sie noch gebraucht wird
Die Initiative Selbstbestimmtes Österreich forderte „80% Prozent Arbeitslosengeld statt Geschenke an Lufthansa, Pierer und Benko“. Stefan Pierer, Chef des Motorrad-Imperiums KTM, wollte sich selbst Millionen an Dividende ausbezahlen, obwohl er gleichzeitig 3.600 Mitarbeiter in Kurzarbeit schickte und staatliche Förderungen anforderte. Die Lufthansa verhandelt derzeit mit der Regierung in Wien über fast 800 Millionen Euro für ihre Tochter Austrian Airlines.
Angesichts einer Rekordzahl von 600.000 Arbeitslosen und weiteren 1,2 Millionen Arbeitnehmern in Kurzarbeit hat das österreichische Proletariat im Mai 2020 wenig zu feiern. Noch weniger Feierlaune verspüren die Spitzen der SPÖ. Die Sozialdemokraten liegen in Umfragen mit 16-18 Prozent hinter den Grünen, die sich als Juniorpartner der konservativen ÖVP über historisch hohe Beliebtheitswerte von 18-19 Prozent freuen können.
Angesichts der Corona-bedingten Wirtschaftskrise betreiben die Christlichsozialen einen klassischen sozialdemokratischen Staatsinterventionismus und schütten ein Füllhorn aus frischen Krediten über die Opfer des Lockdown aus. Die Festrede von SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zirkuliert nur im Netz. In einem Video versuchen zwei Dutzend Parteigrößen in einem Satz zu erklären, warum die SPÖ immer noch gebraucht wird.
Seit Mitternacht gelten in Österreich gelockerte Regeln für das Zusammensein im öffentlichen Raum. Aber mehr als zehn Personen dürfen nicht zusammenkommen. Trotzdem hat die Polizei den Aufmarsch am Rathausplatz nach einigem Zögern genehmigt. Man will den warnenden Stimmen, die die Demokratie in Gefahr sehen, keine Angriffsfläche bieten. Auch auf Seiten der Demonstranten war man um Wohlverhalten bemüht. Alle trugen Gesichtsmasken und hielten den gebotenen Abstand zum Nächsten.
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