+++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: Scholz und Putin telefonieren
Erstmals seit Ende März telefonieren Bundeskanzler Scholz und Russlands Putin miteinander. Scholz fordert Waffenstillstand und diplomatische Lösung.
🐾 Krisenmanagement mit Russland
In der aktuellen Konfrontation mit Russland gibt es viele Gründe zur Sorge. Wie gutes Krisenmanagement hier funktionieren kann, beschreibt Ian Kearns für die taz.
G7 sichern Ukraine fortdauernde Unterstützung zu
Die G7-Gruppe führender Industrienationen hat der Ukraine angesichts des russischen Angriffskrieges ihre fortdauernde Unterstützung zugesagt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte am Freitag am Rande des G7-Außenministertreffens im schleswig-holsteinischen Wangels, die EU werde weitere Militärhilfen im Wert von 500 Millionen Euro für Kiew bereitstellen. Außenministerin Annalena Baerbock warf Russland vor, in der Ukraine auch einen „Lebensmittelkrieg“ zu führen, der bereits weltweit Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit habe.
Borrell stellte eine Aufstockung der EU-Militärhilfen auf zwei Milliarden Euro in Aussicht. Die zusätzlichen 500 Millionen Euro seien für „schwere Waffen“ bestimmt, sagte er. Die Hilfen müssen noch von den EU-Mitgliedstaaten gebilligt werden. Nach Angaben aus EU-Diplomatenkreisen dürfte dies bereits am Montag erfolgen. (afp)
Baltische Häfen für ukrainische Exporte im Gespräch
Die Ukraine lotet nach Worten ihres Agrarministers Mykola Solskyj in Gesprächen mit baltischen Staaten die Möglichkeit aus, über deren Häfen Agrar-Exporte zu verschiffen. Es gebe dort einige große Häfen, die nicht ausgelastet seien, weil Transitlieferungen aus Russland und Belarus ausblieben, sagt Solskyj nach einem Treffen mit den G7-Agrarministern in Stuttgart.
Lettland und Litauen würden sich nach seinen Worten freuen, wenn sie mit der Ukraine zusammenarbeiten könnten. Es gebe aber ein großes Problem, wie die Waren dort hingelangen sollten. In der Ukraine sind die Häfen bis auf Odessa durch den russischen Einmarsch blockiert. (rtr)
Bundesarchiv hilft ukrainischen Kollegen bei Rettung von Beständen
Das Bundesarchiv unterstützt ukrainische Archive nach dem russischen Angriff bei der Sicherung wertvoller Bestände. Mehrere Scanner, Verpackungsmaterial, Kisten und ein Notstromaggregat seien bereits geliefert worden, nun würden vier weitere A2-Buchscanner beschafft und Installation und Betrieb gesichert, teilte das Bundesarchiv am Freitag in Berlin mit. Unterstützt würden unter anderem das Staatliche Archiv in Iwano-Frankiwsk sowie das Staatliche Historische Archiv von Lwiw in der Westukraine. (dpa)
Rheinmetall-Chef: Bundesregierung gibt Lieferungen an Ukraine nicht frei
Der Rüstungskonzern Rheinmetall wartet nach eigenen Angaben weiter auf die Erlaubnis für Lieferungen an die Ukraine. „Keine einzige Lieferung wurde bisher von der Bundesregierung freigegeben, also auch nicht die Marder oder Munition oder der Verkauf von alten Leopard-1-Panzern“, sagte Konzernchef Armin Papperger der Rheinischen Post.
Die ersten gebrauchten Schützenpanzer Marder „haben wir in drei Wochen fertig“, sagte Papperger zum Fortgang der Instandsetzungsarbeiten. „Dann könnten wir zwei Stück pro Woche liefern, insgesamt rund 100 Stück.“
Rheinmetall richte die Marder „ohne konkreten Auftrag auf eigene Rechnung her, weil es genügend Interessenten gibt, um sie uns abzukaufen“, führte Papperger aus. „Aber natürlich wäre uns eine Lieferung an die Ukraine am liebsten, um dem Land zu helfen.“ Der größte deutsche Rüstungskonzern verfügt über große Bestände von gebrauchten Panzerfahrzeugen, etwa der Typen Marder und Leopard 1.
Kritisch blickt Papperger auf die Ringtausch-Vorhaben der Bundesregierung – dabei würden etwa Slowenien oder Tschechien der Ukraine schwere Waffen aus sowjetischer Produktion liefern und im Gegenzug wieder hergerichtete Gebrauchtware von Rheinmetall bekommen. „Das Problem an einem Ringtausch wäre, dass die Tschechen und die Slowaken keine Marder wollen, sondern moderne Produkte, wie den Schützenpanzer Lynx, den wir in den vergangenen Jahren auf eigene Kosten entwickelt haben“, sagte Papperger. „Doch um hohe Stückzahlen zu bauen, brauchen wir zirka zwei Jahre.“
Die Bild-Zeitung berichtete am Freitag, zur Lieferung der Marder-Schützenpanzer an die Ukraine hätten das Außenministerium und das Wirtschaftsministerium bereits vor Wochen Zustimmung signalisiert. Das Kanzleramt aber habe noch nicht entschieden. (afp)
Tote und Verletzte in ostukrainischen Gebieten Charkiw und Luhansk
In den ostukrainischen Gebieten Charkiw und Luhansk sind Behördenangaben zufolge mehrere Menschen infolge von Kämpfen getötet worden. Im Charkiwer Gebiet wurden Angaben des Zivilschutzes vom Freitag zufolge nach der Löschung eines Hallenbrandes drei Männer tot aufgefunden. Fünf weitere seien verletzt worden. In die Halle in der Ortschaft Schebelynka im Kreis Isjum war am Vortag ein Geschoss eingeschlagen und hatte den Brand ausgelöst.
Im benachbarten Luhansker Gebiet informierte der Militärgouverneur Serhij Hajdaj über zwei durch russischen Beschuss getötete Zivilisten aus Lyssytschansk und Solote. Am nördlichen Rand von Sjewjerodonezk sei dabei zum zweiten Mal seit 2014 eine Brücke über den Fluss Borowa zerstört worden. Hajdajs Aussagen zufolge wurden in den umkämpften Teilen des Luhansker Gebiets fast 60 weitere Häuser zerstört. (dpa)
Video soll zeigen, wie russische Soldaten Unbewaffnete erschießen
Im Krieg in der Ukraine häufen sich die Hinweise auf russische Kriegsverbrechen. In einem Video, das der US-Nachrichtensender CNN veröffentlichte, soll zu sehen sein, wie russische Soldaten zwei dem Augenschein nach unbewaffnete Männer erschießen. Nach Recherchen des dpa-Faktencheckteams ist das Video plausibel. Auch die BBC berichtete über den Vorfall. Laut CNN entstanden die Aufnahmen am 16. März in der Nähe von Kiew.
Mehrere Kameras fingen die Szene aus verschiedenen Perspektiven ein – jedoch ohne Ton. Laut CNN handelte es sich bei den Opfern um Zivilisten.
Zu sehen ist, wie zunächst ein Transporter in einem Gewerbegebiet vorfährt, der mit mehreren V-Zeichen besprüht ist. Eine weitere Szene zeigt, wie sich die Zivilisten noch mit den Soldaten unterhalten. Laut CNN wurden die beiden Männer offenbar danach kontrolliert, ob sie Waffen bei sich tragen. Nach einer Konversation gehen die russischen Soldaten und die beiden Zivilisten auseinander. Doch plötzlich kehren zwei Soldaten zurück und schießen den beiden Männern, die langsam über das Gelände gehen, in den Rücken.
Nach einiger Zeit steht einer der Männer auf – er lebt noch. Es gelingt ihm, einen Raum zu erreichen. Zu sehen ist, wie er ein Handy benutzt. Auch diese Szene wird von einer Kamera festgehalten. Zu sehen ist auch, dass der Mann viel Blut verliert. Er stirbt den Berichten zufolge später an seinen Verletzungen. (dpa)
Scholz und Putin telefonieren erstmals seit 30. März
Nach mehr als sechs Wochen Funkstille hat Bundeskanzler Olaf Scholz wieder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gesprochen. In einem 75-minütigen Telefonat am Freitagvormittag forderte der SPD-Politiker einen schnellen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg, die Verbesserung der humanitären Lage im Kriegsgebiet und Fortschritte bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung des Konflikts, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit mitteilte.
Nach Angaben des Kremls kam das Gespräch auf deutsche Initiative zustande. Es sei vereinbart worden, die Diskussion „auf verschiedenen Kanälen“ fortzusetzen.
Scholz hatte nach Beginn des Krieges in der Ukraine mehrfach mit Putin telefoniert, zuletzt am 30. März. Wenige Tage später wurde das Massaker im Kiewer Vorort Butscha bekannt. Danach gab es zunächst keinen Kontakt mehr. In einem vergangene Woche veröffentlichten Stern-Interview hatte Scholz gesagt: „Wenn es etwas zu bereden gibt, werde ich den Kontakt wieder aufnehmen. Unsere Priorität ist klar: Die Kriegshandlungen müssen sofort beendet werden.“
Hebestreit begründete den jetzigen Vorstoß des Kanzlers mit den Worten: „Man muss natürlich an irgendeinem Punkt dazu kommen, dass es auch wieder diplomatische Initiativen geben muss.“ Ziel sei es, „diesen furchtbaren Krieg mit schrecklichen Zahlen von Opfern, viel Zerstörung und auch der ganzen Sinnlosigkeit, die ein Krieg mit sich bringt, einem Ausweg zuzuführen“. (dpa)
Großbritannien verhängt Sanktionen gegen zwölf Vertraute Putins
Großbritannien hat am Freitag Sanktionen gegen zwölf enge Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin verhängt. Die Strafmaßnahmen richten sich unter anderem gegen Putins frühere Frau Ljudmila Oscheretnaja und gegen die frühere Sportgymnastin Alina Kabajewa, die nach Informationen der britischen Regierung eine „enge persönliche Beziehung“ zu Putin pflegt. Auch Alexander Plechow, ein „enger Freund“ Putins, gehört wohl zu den Sanktionierten.
„Wir legen das Netzwerk offen, das Putins Luxus-Leben stützt und ziehen die Schlinge um seinen inneren Zirkel enger“,
erklärte die britische Außenministerin Liz Truss. Die Sanktionen gegen alle Unterstützer von Putins „Aggression“ würden fortgesetzt, bis sie zum Ziel führten.
Die Angaben des Kreml über das bescheidene Einkommen des Staatschefs stehen im Kontrast zu Berichten über eine Luxus-Yacht, mit der er in Verbindung gebracht wird. Für Wirbel sorgten auch Enthüllungen über ein Luxus-Anwesen am Schwarzen Meer, das Putin gehörten soll.
Der tatsächliche Reichtum Putins wird nach Angaben des britischen Außenministeriums durch ein Netzwerk aus familiären Verbindungen, Freundschaften und Kontakten mit ausgesuchten Mitgliedern der russischen Elite verborgen, die wegen ihrer vollständigen Loyalität für diese Rolle ausgesucht wurden.
Nach unbestätigten Berichten hat Großbritannien seit dem Beginn der von Putin angeordneten Invasion Ende Februar inzwischen gegen eintausend Einzelpersonen und gegen einhundert russische Wirtschaftsbetriebe Sanktionen verhängt. Dazu zählen Oligarchen, deren Gesamtvermögen auf 135 Milliarden Euro veranschlagt wird. (afp)
Russland kürzt Buchungskapazität über Sudscha-Pipeline
Russland hat seine Buchungskapazität für den Gastransit durch die Ukraine über die Sudscha-Route nach ukrainischen Angaben gekürzt. Sie liege für Freitag bei 60,8 Millionen Kubikmeter von zuvor angekündigten 65,7 Millionen Kubikmetern, teilt der ukrainische Pipelinebetreiber mit. Für Donnerstag hatte der russische Gasriese Gazprom den Angaben zufolge eine Transitkapazität von 53,45 Millionen Kubikmetern gebucht.
Die Ukraine hatte am Mittwoch den Gastransit über die Schlüsselroute Sochranowka gestoppt, weil dort eine Verdichterstation kriegsbedingt nicht mehr betrieben werden könne und pro-russische Separatisten Gas von der Leitung abzweigen würden. Sie forderte Gazprom auf, die Sudscha-Leitung als Ausweichroute zu nutzen. Russland und Gazprom wiesen die Vorwürfe zurück und erklärten, die geforderte Umleitung sei technisch nicht möglich. (rtr)
Energiemarktexperte schlägt Enteignung von Gazprom Germania vor
Vor dem Hintergrund des russischen Gas-Lieferstopps gegen Gazprom Germania haben sich Energiemarktexperten für eine Verstaatlichung der Firma und seiner Tochterunternehmen, zum Beispiel Wingas, ausgesprochen. „Eine Enteignung wäre das Mittel der Wahl, damit etwa die Handelspartner von Wingas weiter die Sicherheit haben, bedient zu werden“, sagte Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool in Berlin.
Nach der Einstellung der Gas-Lieferungen bestehe bei den Handelsunternehmen der Gazprom Germania eine starke Insolvenzgefährdung. Nötig seien daher staatliche Garantien. „Dadurch wird verhindert, dass viele andere Unternehmen durch einen Dominoeffekt ebenfalls in Schwierigkeiten geraten.“ Eine Verstaatlichung ist aus Hunekes Sicht „die beste Methode, mehr Sicherheit in den Markt reinzubekommen“.
Gazprom Germania ist seit Anfang April unter Kontrolle der Bundesnetzagentur. Der Mutterkonzern Gazprom hatte das Unternehmen mitsamt dessen Tochtergesellschaften zuvor an laut Wirtschaftsministerium „undurchsichtige Eigentümer“ verkauft. Als eine Liquidierung des Unternehmens angeordnet worden war, hatte das Ministerium die Treuhänderschaft durch die Netzagentur angeordnet. Am Mittwoch hatte der Kreml russischen Firmen verboten, mit ehemaligen Gazprom-Töchtern im Ausland Geschäfte zu machen. (dpa)
🐾 Das Gas reicht bis zum Winter
Trotz der Sanktionen gegen Gazprom-Töchter hält der grüne Wirtschaftsminister Habeck die Lage für „beherrschbar“, schreiben die Taz-Redakteure Tobias Schulze, Malte Kreutzfeldt und Anna Lehmann.
Özdemir: Russland nutzt Hunger als Kriegswaffe
Der grüne Bundesagrarminister Cem Özdemir wirft Russland vor, Hunger gezielt als Kriegswaffe einzusetzen, indem der Export ukrainischen Getreides durch Blockade der Häfen verhindert werde. Die Ukraine liefere die Hälfte des Getreides für das Welternährungsprogramm, sagt der Grünen-Politiker im Deutschlandfunk vor der G7-Agrarministerkonferenz in Stuttgart. „Das ist bewusste Kriegsstrategie – die Verknappung, die Erhöhung der Preise.“
Derzeit sei Odessa der einzige freie Seehafen der Ukraine. Es dürfe „nicht fallen“. Mit der EU und den europäischen Partnern werde nach alternativen Transportwegen für ukrainisches Getreide gesucht – auf dem Landweg, über die Donau, auf der Schiene. All das werde aber den Seeweg nicht ersetzen können. Die Seewege müssten frei werden. (rtr)
Welthungerhilfe warnt vor „drastischem Anstieg“ der Zahl Hungernder
Die Welthungerhilfe hat vor dem Treffen der G7-Agrarminister vor einem „noch drastischeren Anstieg“ der Zahl der Hungernden infolge des Ukraine-Krieges gewarnt. Um dies zu verhindern, müssten die Landwirtschaftsminister „schnellstmöglich angemessene Akuthilfen auf den Weg bringen“, sagte Welthungerhilfe-Vizepolitikchef Rafael Schneider der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Preisanstieg für Lebensmittel durch den Ukraine-Krieg treibe ansonsten die Zahl der Hungernden weiter in die Höhe.
Derzeit leiden laut Schneider weltweit 800 Millionen Menschen unter Hunger. Grund sei nicht nur der Krieg, sondern auch „Systemfehler“. Diese müssten Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und seine Kollegen dringend beheben, forderte Schneider. Zudem dürften Maßnahmen gegen akute Versorgungsengpässe nicht auf Kosten des Umweltschutzes gehen.
Die Welthungerhilfe kritisierte insbesondere den Plan Özdemirs, den Weizenanbau zu erleichtern, um den Ausfall der Einfuhren aus der Ukraine zu kompensieren. „Auf ökologisch wichtige Brachflächen für den Getreideanbau in der EU zurückzugreifen ist sehr kurzfristig gedacht“, sagte Schneider. Stattdessen müsse die landwirtschaftliche Entwicklung im globalen Süden verbessert werden, regionaler Handel mit Agrargütern gestärkt, Importquellen ausgeweitet und Kleinbauern unterstützt werden. (afp)
Ukraine: Weiteres russisches Schiff ausgeschaltet
Im Schwarzen Meer ist nach ukrainischen Angaben ein weiteres russisches Schiff ausgeschaltet worden. Olexij Arestowytsch, ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, erklärte am späten Donnerstag, das Logistikschiff „Wsewolod Bobrow“ sei bei einem Angriff ukrainischer Streitkräfte getroffen worden, als es versucht habe, ein Flugabwehrsystem auf die ukrainische Schlangeninsel zu liefern. Das Schiff sei schwer beschädigt worden, aber vermutlich nicht gesunken, sagte er.
Ein Sprecher der regionalen Militärverwaltung für Odessa sagte, das Schiff habe nach dem Angriff Feuer gefangen. Von russischer Seite gab es keine Bestätigung. Berichte über Opfer lagen nicht vor.
Das britische Verteidigungsministerium hatte zuletzt erklärt, dass die Ukraine russische Luftverteidigung und Versorgungsschiffe auf der Schlangeninsel angegriffen habe, um Moskaus Bemühungen zu stören, seine Kontrolle über die Schwarzmeerküste auszuweiten.
Das ukrainische Militär hatte im April den russischen Raketenkreuzer „Moskwa“ versenkt, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte. Im März zerstörte das Militär das Landungsschiff „Saratow“. (ap)
🐾 Orks in Gefangenschaft
Antirussische Neologismen: Auf ukrainischer Seite reagiert man auf die Propagandasprache des Kremls rhetorisch kreativ. Dank dem „Herrn der Ringe“, schreibt Taz-Redakteurin Katja Kollmann.
Wohl zehntausende UkrainerInnen nach Russland verschleppt
Die USA gehen davon aus, dass Russland seit Beginn seines Angriffskriegs zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer gewaltsam verschleppt hat. Allein aus der belagerten Hafenstadt Mariupol seien tausende Menschen nach Russland oder in russisch kontrolliertes Gebiet gebracht worden, sagte der US-Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Michael Carpenter, am Donnerstag in Wien.
Die ukrainische Regierung schätzt die Zahl der verschleppten Ukrainer gar auf knapp 1,2 Millionen. Darunter sollen sich nach Angaben der Ombudsfrau Lyudmyla Denisowa auch mindestens 210.000 Kinder befinden. Sie sollten zu russischen Staatsbürgern gemacht werden, erklärt Denisowa. Russland hat von „Geflüchteten“ gesprochen, die nach Russland kommen, um den Kämpfen zu entkommen, insbesondere aus der südukrainischen Stadt Mariupol.
Nach Angaben Kiews betreibt Moskau zudem sogenannte Filtrationslager, in denen festgenommene Ukrainer verhört werden. Augenzeugen hätten von „brutalen Verhören“ in diesen Lagern berichtet, sagte Carpenter. Dies und die Zwangsverschleppungen kämen Kriegsverbrechen gleich. „Wir dürfen dieses Übel nicht zulassen“, sagte er. Der UN-Menschenrechtsrat hatte am Donnerstag mit überwältigender Mehrheit für eine Untersuchung mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine gestimmt. (afp, rtr)
Selenski sieht „Barbarei und Dummheit“ hinter russischen Attacken
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat den russischen Truppen den Beschuss von Schulen in der Region Tschernihiw vorgeworfen. Natürlich sei der russische Staat in solch einem Zustand, dass jegliche Bildung nur im Weg stehe, sagte Selenski in seiner nächtlichen Videoansprache ans Volk am Donnerstagabend. „Doch was kann durch die Zerstörung ukrainischer Schulen erreicht werden? Alle russischen Kommandeure, die solche Befehle erteilen, sind krank, und unverbesserlich.“
Aus der zentralukrainischen Region Poltawa gemeldete Attacken auf eine Ölraffinerie in der Stadt Krementschuk sowie Angriffe auf die Region Saporischschja und den Donbass im Osten verurteilte er als sinnlos. Die Angreifer bezeichnete der Präsident als „Feiglinge, die die Wahrheit hinter Raketen, Luftangriffen und Artilleriebeschuss zu verbergen versuchten“. Daher bestehe die Aufgabe der Ukrainer darin, zu kämpfen, bis ihre Kriegsziele erreicht seien: „unser Land zu befreien, unsere Leute und unsere Sicherheit zu gewährleisten.“
Selenski warf Russland auch vor, seit Beginn der Invasion Ende Februar 570 medizinische Einrichtungen beschädigt und 101 Kliniken zerstört zu haben. „Was soll das? Es ist Dummheit. Es ist Barbarei. Es ist die Selbstzerstörung Russlands als einem Staat, den jeder in der Welt als eine kultivierte Nation ansehen konnte.“ (ap)
Ukraine nationalisiert Filialen russischer Banken
In der Ukraine werden mit sofortiger Wirkung alle Filialen der russischen Sberbank und der VEB.RF, der ehemaligen Wnjeschekonombank, verstaatlicht. Das beschloss das Parlament in Kiew am Donnerstagabend, wie Präsidentensprecher Andryj Jermak nach Angaben der Online-Zeitung „Dumskaja“ mitteilte. Nach dem nunmehr verabschiedeten Gesetz werden alle Gesellschafterrechte der betroffenen Banken sowie deren bei anderen ukrainischen Finanzinstituten platzierten Finanzeinlagen in Staatseigentum überführt. (dpa)
Sprengfalle in Klavier im ukrainischen Butscha entdeckt
Mit viel Glück hat ein zehnjähriges Mädchen im Kiewer Vorort Butscha nach Medienberichten eine tödliche Hinterlassenschaft russischer Besatzungstruppen überlebt. Eine in ihrem Klavier versteckte Gewehrgranate habe „wie durch ein Wunder nicht funktioniert“, berichtete Anton Geraschtschenko, Berater im ukrainischen Innenministerium, am Donnerstagabend. Die russischen Besatzer hätten die Granate im Hammerwerk des Klaviers in einer Wohnung versteckt.
Als die Familie nach dem Abzug der Russen aus Butscha zurückkehrte, wurde der tödliche Sprengsatz entdeckt. „Dank der Aufmerksamkeit der Mutter ist niemand zu Schaden gekommen, die Granate wurde von Spezialisten entschärft.“
Butscha war Schauplatz einer Serie von Gräueltaten, die den russischen Truppen zugeschrieben werden. Dutzende Bewohner waren dort getötet worden, vielen Leichen waren noch die Hände auf dem Rücken gefesselt.
Minen und versteckte Sprengsätze werden häufig eingesetzt, um den Rückzug eigener Truppen abzusichern und ein schnelles Nachrücken des Gegners zu unterbinden. (dpa)
Verhandlungen um Soldaten in Azovstal-Werk gehen weiter
Mit internationaler Unterstützung setzt die ukrainische Führung ihre Bemühungen um Rettung der Soldaten im belagerten Stahlwerk Azovstal in der Hafenstadt Mariupol fort. „Wir haben eine neue Runde der Verhandlungen eröffnet“, sagte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Donnerstagabend nach Angaben der „Ukrajinska Prawda“. Kiew habe den UN und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz das Mandat zu den Gesprächen mit der russischen Seite erteilt, die Türkei sei inzwischen als Vermittler dabei.
„Wir möchten, dass ein Abkommen darüber unterzeichnet wird, wie die Evakuierung aus Azovstal abläuft, wird sind zur Unterzeichnung bereit“, sagte Wereschtschuk. Angestrebt sei eine Evakuierung in mehreren Etappen – an erster Stelle stehe die Rettung von 38 schwer verwundeten Verteidigern aus Azovstal. Sollte dies klappen, „dann bewegen wir uns weiter“. Die Ukraine ist unter anderem bereit, russische Kriegsgefangene für die Verwundeten aus Azovstal auszutauschen.
Im weitläufigen Stahlwerk in der Hafenstadt haben sich die letzten ukrainischen Verteidiger verschanzt. Russland lehnt bisher jede Evakuierung ab, fordert von den Ukrainern im Werk die Kapitulation.
Die Türkei schlug dem russischen Militär nach Angaben der „Ukrajinska Prawda“ vor, alle ukrainischen Soldaten aus Azovstal auf dem Seeweg zu evakuieren. Sie sollten dann bis Kriegsende in der Türkei bleiben. (dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren