piwik no script img

Familien und GeldmangelArme haben Angst, schlechte Eltern zu sein

Alleinerziehende und kinderreiche Familien in Armut haben oft das Gefühl, ihren Kindern nicht gerecht werden zu können, so eine Studie.

Ein Hochhaus in Meschenich bei Köln Foto: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance
Barbara Dribbusch

Aus Berlin

Barbara Dribbusch

Die neuen schicken Sneakers, das Geschenk für den Kindergeburtstag, eine Reise: Bei Familien, die mit dem Geld nur so knapp über die Runden kommen und nichts für Extras übrig haben, besteht die Sorge, durch die materielle Knappheit ihrer Elternrolle nicht gerecht werden zu können. Dies gilt besonders für Alleinerziehende. So lautet das Ergebnis einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, (BiB), die sich auf Befragungen von mehreren Tausend Personen im Alter zwischen 20 und 52 Jahren bezieht.

Die Stu­di­en­au­to­r:in­nen unterschieden dabei zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Armut. Als objektiv armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens zur Verfügung hat, gewichtet nach Haushaltsgröße. Als „subjektiv“ arm wird definiert, wer angibt, nur „mit großen Schwierigkeiten“ mit dem Einkommen zurechtzukommen.

Bei Alleinerziehenden ist dieser Druck besonders stark. 25,6 Prozent von ihnen sind armutsgefährdet, das ist der höchste Wert unter allen Familienkonstellationen. Sogar etwas mehr, nämlich 26,7 Prozent, empfinden „subjektive Armut“, haben also das Gefühl, mit ihrem Geld nur unter Schwierigkeiten klarzukommen.

Unter den Familien mit drei und mehr Kindern sind 18,4 Prozent armutsgefährdet, das ist der zweithöchste Wert. Aber etwas weniger, nämlich 15,8 Prozent dieser Befragten, empfanden sich selbst subjektiv als arm, gaben also an, mit ihrem Geld kaum klarzukommen. Womöglich bildet eine große Familie auch einen gewissen Schutz gegen das Gefühl, arm zu sein, zumal sich in großen Familien auch kostengünstiger wirtschaften lässt.

Das Gefühl, arm zu sein oder nicht, hat auch Auswirkungen auf das Empfinden, „die eigene Elternrolle ausfüllen zu können“, sagte Jan Brülle, einer der Au­to­r:in­nen der Studie, am Mittwoch. Diese Sorge betrifft vor allem Alleinerziehende.

Armut und Elternrolle

Von den Alleinerziehenden, die sich selbst als „arm“ einschätzten, erklärten fast 17 Prozent, der Elternrolle nicht gerecht werden zu können. Von denjenigen, die sich nicht als arm betrachteten, hatten nur gut 6 Prozent die Sorge, ihre Elternrolle nicht ausfüllen zu können.

Unter den Familien mit drei und mehr Kindern, die sich als arm betrachteten, sagten 11,5 Prozent, sie hätten Probleme, ihrer Elternrolle gerecht zu werden. Eine bessere materielle Lage hilft hier nicht so durchschlagend wie bei den Alleinerziehenden. Denn unter den Kinderreichen, die sich nicht als arm einschätzten, erklärten immerhin noch 9 Prozent, sie hätten das Gefühl, ihrem Nachwuchs nicht gerecht werden zu können.

Das Klischee der Alleinerziehenden, die vom Bürgergeld lebt, ist dabei mit Vorsicht zu betrachten. „Bei alleinerziehenden Frauen ist die Erwerbstätigkeit höher als in jeder anderen Familienkonstellation mit Kindern“, erklärte Studienmitautor Sebastian Will.

Nur 19 Prozent der alleinerziehenden Frauen sind nicht erwerbstätig, während dies bei Familien mit ein bis zwei Kindern fast 23 Prozent sind, bei Familien mit drei und mehr Kindern fast 40 Prozent. Unter den Alleinerziehenden arbeiten sogar gut 37 Prozent in Vollzeit. Allerdings sind unter diesen Vollzeit arbeitenden Frauen immerhin fast 14 Prozent noch armutsgefährdet. Dies zeigt, dass selbst ein Vollzeiteinkommen plus Kindergeld manchmal eben nicht ausreicht, um einen Ein-Eltern-Haushalt über die Schwelle der Armutsgefährdung zu heben.

Will erklärte, ein Schlüssel zur Verbesserung der Erwerbstätigkeit sei eine verlässliche und flexible Kinderbetreuung. Dazu müssten staatliche Transferleistungen passgenau ein zu geringes Einkommen ergänzen. Rund 27 Prozent der Alleinerziehenden und 33 Prozent der armutsgefährdeten Familien finden laut BiB keine oder keine ausreichenden Betreuungsplätze.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Wir waren auch ziemlich arm. Gemerkt haben wir das als Kinder nicht. Mag aber auch dem geschuldet sein, dass der Konsumismus damals nicht so im Vordergrund stand. Das ist heute schon etwas anders.

    • @Welt Bürger:

      1) -> "Survivor bias"



      2) Früher war die Ungleichheit nicht so krass. Die relative Armut macht krank, meinen einige Studien.



      3) Der ideologische Druck und die Angst nahmen zu ("selber schuld").

  • „Alles in die Wiege gelegt bekommen zu haben“, ist sicher keine Garantie für ein späteres gelingendes Leben. Die Statistik zeigt jedoch, dass Kinder wohlhabender und/oder akademischer Eltern wesentlich bessere Voraussetzungen für ein erfolgreiches Leben haben, als die Kinder derer, um die es im Artikel geht.



    Liebe ist sicher wichtig. Aber wie heißt es so schön: Von Luft und Liebe kann man nicht leben!

    • @Il_Leopardo:

      Was ist Erfolg? Auch das wird klassen- und schichtenabhängig verschieden gesehen. Was wiederum den jeweiligen Erfolg beeinflusst.



      Doch sind wir deutlich: Der Faktor, der jetzt Vermögen und Einkommen zu etwa der Hälfte voraussagt, heißt Papis Vermögen, Einkommen und Habitus. So etwas nagt an einer Gesellschaft und wäre - gegen die Lobbyschwätzer - durchaus zu reparieren. Mit positiven sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen.

      • @Janix:

        Da hilft nur mehr Förderung von Kindern der sogenannten Unterprivilegierten. Zweiter Bildungsweg ist/war so ein Weg, der aber auch nicht alle Wunden "heilen" kann/konnte.

  • Zum Foto: Das ist der "Kölnberg" - der ist bekanntlich _in Köln, wenngleich peripher (vgl. den Dokumentarfilm hierzu).

  • Als unsere Tochter aufwuchs, ging es uns finanziell auch nicht so dolle. Es ist doch ganz natürlich, dass Eltern, die ihren Kindern kein Auslandsschuljahr und nicht mal einen Auslandsurlaub finanzieren können, ein ewas schlechtes Gewissen haben, zumal, wenn sie als Alleinerziehende und Berufstätige auch wenig Zeit und Konzentration haben, mit ihren Kindern für die Schule zu üben. Das Wichtigste ist, den Kindern aufrichtige Liebe zu geben, und ja, regelmäßig ein paar Stunden gemeinsame Zeit. Kinder nehmen es ihren Eltern i. d. R. nicht übel, wenn sie nicht in üppigen materiellen Verhältnissen aufwachsen, sehr wohl aber, wenn sie Lieblosigkeit, Gleichgültigkeit, oder auch emotionale Manipulation, von ihren Eltern erfahren - egal, ob diese nun arm oder reich sind...

  • Wer glaubt wegen begrenzter Mittel keine guten Eltern sein zu können unterliegt einem grundsätzlichen Irrtum. Keine modischen Sneakers oder Geburtstagsgeschenke ersetzen Fürsorge und Familie.

    • @Dromedar:In:

      Der Satz ist wahr. Sie könnten jedoch etwas übersehen haben. In diesem täglichen Stress sich auch noch selbst ständig die Schuld zu geben, das macht es wirklich perfide.



      Auf Kleidungs-Status verzichten kann da nur der, der sich dessen sehr sicher sein kann (oder eine extrem dicke Haut hat). Und es gibt auch finanzielle Grenzen in einem kapitalistisch geprägten Umfeld: Mitfahren beim Klassenausflug, auch mal was beim Kiosk kaufen können.







      Achten Sie auf die Status-Marker bzw. lesen z.B. "Chums" von Simon Kuper, wie Hochprivilegierte herumlaufen können und wie andere eben nicht.

  • "Allerdings sind unter diesen Vollzeit arbeitenden Frauen immerhin fast 14 Prozent noch armutsgefährdet."

    Vielleicht sollte man mal die Löhne anheben, und/oder die Alleinerziehenden qualifizieren, dass sie bessere Arbeit ausführen können?

  • Dass finanziell arme Eltern keine 'guten Eltern' im Sinne der Schaffung kindgerechten Aufwachsens sind ist kein 'Gefühl', sondern Normalität in unseren kapitalistischen Konkurrenzgesellschaften mit immer weiter verschärfter Vermögensungleichheit.



    'Wir' sind längst keine Wertegemeinschaft mehr, sondern längst eine Ver-wertegemeinschaft.



    Einwanderung nur für die, die der Kapitalverwertungsmaximierung dienen werden, gute Bildung nur für die, die der Arbeitsmarkt zu verwerten gedenkt (bestenfalls fallen die Ausbildungskosten im Ausland an, Syrische Ärzt:innen etc.), Law&Order für die Unterklasse bei gleichzeitigen legislativen und exekutiven Freibriefen für Steuervermeidung und Oligarchen-Privilegien.



    Stark steigende Kriegsgefahr durch verstärkte Konkurrenz der kapitalistischen 'Blöcke' gibts obendrauf, incl. der Tendenz die Unterschicht in die Schützengräben zu schicken, während die 'Reichen' die Rheinmetall Aktiengewinne einsacken.



    Gegenkräfte?



    Nein,



    stattdessen StatusQuo Verteidigung gegen die AfD-Gefahr, was zugleich die Ursachen für intensivierten Rechtsruck weiter verstärkt.



    Deutschland 2025, aber 'immerhin' besser als 2026 ff.