Dschihadistische Terrorgruppe JNIM: Treibstoffblockade legt weiter Malis Hauptstadt lahm
JNIM setzt gegen die Militärjunta in Mali auf ökonomische Kriegsführung. Die putschte sich einst mit dem Versprechen der Sicherheit an die Macht.
Kilometerlange Schlangen vor Tankstellen, geschlossene Schulen und Universitäten und ein öffentlicher Transport, der fast vollständig zum Erliegen gekommen ist: Seit Anfang September leidet Mali unter einer Treibstoffblockade der dschihadistischen Terrorgruppe JNIM (Jama'at Nusrat al-Islam wa-l-Muslimin).
Durch Angriffe auf Konvois von Tanklastwagen, die das Land aus Senegal, Guinea, der Elfenbeinküste und Mauretanien heraus versorgen, hat die mit Al-Qaida verbundene Terrorgruppe Malis Hauptstadt Bamako mittlerweile fast vollständig lahmgelegt. Als es vergangenen Mittwoch mehrere Dutzend Tanklastwagen durch die Blockade schafften und mit Boden- und Lufteskorte in der Hauptstadt eintrafen, wurde das sogar im nationalen Fernsehen berichtet.
Doch die Erleichterung währte nur kurz. Vor den Tankstellen blieben die Schlangen weiterhin kilometerlang. Und es gab Gerüchte, dass einige der Lastwagen leer angekommen waren.
Der Hintergrund der Blockade: Im Morgengrauen des 1. Julis hatte die Terrorgruppe JNIM einen koordinierten Angriff auf sieben Ortschaften und Städte entlang der Grenze zu Senegal verübt. Das erregte über Mali hinaus Aufmerksamkeit, denn die Region war zuvor nicht im Zentrum dschihadistischer Gewalt gewesen.
Gegenangriffe und Lynchmorde
In den darauffolgenden Tagen kam es einerseits zu Gegenangriffen durch das malische Militär – aber auch zu Lynchmorden an mutmaßlichen Kämpfern, die von aufgebrachten Anwohnern getötet wurden. „Ob es sich bei den Opfern um Zivilisten handelte, die zufällig in der Nähe waren, oder um versprengte Mitglieder von JNIM, ist unklar. Fest steht, dass mehrere Personen verfolgt, verhaftet, misshandelt und teils zu Tode gelyncht wurden“, sagt Heni Nsaibia vom Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED). Die Organisation wertet weltweit Daten zu politischer Gewalt, bewaffneten Konflikten und Protesten aus.
Als Reaktion darauf verhängte JNIM am 3. September eine Blockade über die Städte Kayes und Nioro du Sahel, in denen sich die Vorfälle ereignet hatten. „Die Blockade erwies sich als so effektiv, dass JNIM sie auf ganz Süd- und Westmali ausgeweitet hat“, erklärt Sahel-Experte Nsaibia. Außerdem führte die Gruppe koordinierte Angriffe in mehreren Regionen Malis durch – einige davon nur rund 50 bis 60 Kilometer von der Hauptstadt Bamako entfernt.
Seither liefere sich die Terrorgruppe ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Militärjunta, sagt Nsaibia. Wochenlang behauptete das Regime, alles sei in Ordnung. Und beschuldigte lieber Händler einer künstlichen Verknappung von Reserven, kritisierte die Bevölkerung für Disziplinlosigkeit und Aggressivität in den langen Schlangen vor den Tankstellen und appellierte an die Solidarität.
Spätestens aber mit der Ankündigung von Bildungsminister Amadou Sy Savane am vergangenen Montag, dass der Unterricht an allen Schulen und Hochschulen für zwei Wochen ausgesetzt sei, da der Transport des Schulpersonals beeinträchtigt sei, wurde deutlich: Die Regierung hat die Lage längst nicht mehr unter Kontrolle. Inzwischen haben neben Deutschland und den USA mehr als ein Dutzend weitere Botschaften ihren Staatsangehörigen geraten, das Land zu verlassen.
Dialog oder Krieg?
Bislang hatte sich die Regierung unter Assimi Goita geweigert, mit Terroristen zu verhandeln. Angesichts der sich zuspitzenden Lage werden die Forderungen nach Dialog jedoch immer lauter – vor allem von Kommunalpolitikerinnen und -politikern in den besonders betroffenen Regionen.
JNIM verfolge das Ziel, die Regierung zu destabilisieren, sagt Nsaibia. Die Blockade sei Teil einer ökonomischen Kriegsführung, die bewusst das Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung untergraben solle. Einen direkten Großangriff auf Bamako hält er aber für unwahrscheinlich. Die Strategie der Gruppe bestehe vielmehr darin, das Land langsam „ausbluten“ zu lassen – um so die Militärjunta in Bamako von innen heraus zu schwächen.
Die Junta wiederum reagiert regelmäßig mit Meldungen, Putschversuche vereitelt zu haben. Und sie geht hart gegen jegliche Form der Kritik vor. Auf sozialen Medien prahlt JNIM derweil offen mit prall gefüllten Treibstoffreserven – ein gezielter Affront angesichts der akuten Knappheit in der Hauptstadt.
Unsicherheit dominiert zunehmend den Alltag
Die Bevölkerung dagegen treibt die Situation zunehmend zur Verzweiflung. Kein Benzin, steigende Preise, wachsende Armut, anhaltende Stromausfälle und zunehmende Unsicherheit dominieren den Alltag. Das Regime in Bamako hatte sich im August 2020 mit dem Versprechen an die Macht geputscht, die Sicherheitslage verbessern und das Land von der Einflussnahme des Westens befreien zu wollen. Der Rausschmiss der französischen Truppen, Symbol der jahrzehntelangen internationalen Präsenz, galt als Triumph dieser neuen Souveränität.
Seither befindet sich Mali unter Sanktionen. Die harten Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft, gepaart mit hohen Ausgaben im Sicherheitsbereich und einer schlechten Verwaltung, haben die Staatskassen geleert. Die Strategie der Dschihadisten, mit einer Treibstoffblockade die eh schon angeschlagene Wirtschaft zu attackieren, ist daher umso effektiver.
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