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Eine Million WohnungsloseUns doch egal

Kommentar von

David Hinzmann

Die aktuellen Zahlen zu Wohnungslosigkeit sind alarmierend. Mehr als Betroffenheitsbekundungen haben Politik und Gesellschaft nicht übrig.

Sollte nicht egal sein: Eine Million Menschen in Deutschland sind ohne Wohnung Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

M acht hoch die Tür, die Tor macht weit“, wird es bald wieder durch Kirchen und über Weihnachtsmärkte schallen: die Adventszeit steht vor der Tür. Nehmen wir diesen christlichen Ruf nach Offenheit doch einmal ernst und übersetzen ihn in die heutige Zeit: Macht eure Wohnungstür auf und lasst die Menschen rein.

Am Montag sind die aktuellen Zahlen zu wohnungslosen Menschen veröffentlicht worden. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sind eine Million Menschen in Deutschland ohne Wohnung. Warum also nicht jemanden bei sich zu Hause aufnehmen, und wenn es nur für eine Nacht ist? Gerade in der kalten Jahreszeit geht es prekär zu, Obdachlosen droht in kalten Nächten Lebensgefahr. Doch machen wir uns nichts vor: Wer hat so etwas schon mal wirklich gemacht?

Auch Sie, lie­be:r Leser:in, werden dieser Tage wieder jemanden im Nasskalten zurücklassen. Vielleicht haben Sie ein schlechtes Gewissen dabei, vielleicht auch nicht – klar wird: Das Appellieren an Nächstenliebe ist aussichtslos. Was es braucht, ist eine politische Lösung – könnte man denken: Über mehr Wohnraum können sich ja eigentlich alle Parteien verständigen. Allein: Die letzte Bundesregierung hat ihr selbst ausgerufenes Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr grandios gerissen.

Selbst das ist gar nicht das größte Problem. Denn gleichzeitig ist der soziale Wohnungsbau auf einem historischen Tiefstand. Wenn von „Wohnungsnot“ gesprochen wird, sind paradoxerweise nicht Wohnungslose gemeint. Gemeint ist die Konkurrenz um Wohnraum in Großstädten, die inzwischen bis in die Mittelschicht hinein regiert. Doch im Gegensatz zu obdachlosen Menschen sind sie diese Gruppen begehrte Wähler:innen.

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Wenn jetzt also die erwartbaren Reaktionen kommen, dann sollten wir so ehrlich sein und uns sowohl persönliche Betroffenheit als auch wohlfeile politische Appelle sparen. Am Ende lässt die Realität keinen anderen Schluss als diesen zu: Die Menschen auf der Straße sind der Mehrheit in dieser Gesellschaft offensichtlich vollkommen egal.

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15 Kommentare

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  • Die Behauptung "Ist uns doch egal " wir zumindest von hier geschriebenen Kommentaren grandios untermauert.



    Da wird analysiert,extrahiert, synthetisiert,babiert, elektrisiert, automatisiert und sterilisiert.



    Aber auf die Aufforderung persönlich einzugreifen nämlich jemanden zu helfen ,darauf wird nicht in einer Silbe eingegangen.



    Ist auch viel zu abstrakt, nicht vorstellbar, (Hey,ich habe schließlich gerade sauber gemacht, so einer kommt mir nicht ins Haus) .

  • In Deutschland stehen ca. 1,9 Millionen Wohnungen leer. Da ginge was, wenn man denn wollte ...

    • @Aurego:

      Man will aber nicht. Das könnte einer Absenkung der Durchschnittsmieten dienen und das ist gleichbedeutend mit Gotteslästerung, schließlich huldigt unsere Gesellschaft (und nicht nur die) dem Gott Mammon. Hinzu kommt, dass Mieter*innen keine oder kaum eine machtvolle Lobby haben. Die Hausbesitzer und Wohnungbaugesellschaften aber schon, außerdem können letztere auch saftige Parteispenden und Beraterverträge anbieten. Mieter nicht...

  • Ich bin gerade in einer sehr ähnlichen Situation und schreibe buchstäblich aus einem Zelt im Wald.



    Ich wurde nichtmal befragt zu sowas.



    Alles was ich versuche zu bekommen ist belegt, nur für Leuten mit Abhängigkeiten oder nur für Flüchtlinge.

  • Die Ursachen sind zu großen Teilen von der Poltik selbst herbeigeführt worten.

    Denn beide Ursachen -- der Mangen als Wohungen und Neubau wie die Kostenexplosion bei der Warmmiete sind teilweise direkte Folge der Politik.

    1.) Die massiven Privatisierugneswellen um 2000 wo massiv teils landeseigene und kommunal Wohnungsgesellschaften privatisiert wurden.



    Wer als bösennotiertens Unternehmen rein rendiete-orientiert arbeitet setzt eher aus mehr Einnahmen durch Mieterhöhungen als durch mehr Kosten durch Neubau.

    2.) An den Verteuerigen der Mietnebenkosten ist auch die Poltik schuld, genauer durch bewuste Verteuerung von Energie und die Gudnsteuerreform.

    3.) Das bauern immer teuere wird hängt auch an der Standarts, auch denen welche die Energieeffizenz betreffen.



    Das GEG und vor allem das GEG 2024 haben Sanieren und Neubauen weiter vertreuert.

    • @Jörg Heinrich:

      Bei den Baunormen ist noch viel Luft nach oben. Wir müssen bei der Prüfung der deutschen Normen auch die im Ausland vergleichen. Wenn die ausländische Norm billigeres Bauen ermöglicht, sollten die Gegner der Vereinfachung die Diskussion im Herkunftsland der Norm führen. Wenn er das übersteht, ohne ausgelacht zu werden, kann man die strengere Vorschrift beibehalten.

  • ich würde zwischen Wohnungslosen und Obdachlosen noch einmal deutlich unterscheiden. Die Menschen die ich auf der Straße erlebe, haben es noch einmal deutlich schwerer. Viele sin von Krankheiten betroffen und ihre Lebenserwartung entsprechend gering.

    • @Fabian Lenné:

      so kann man wohnungslosigkeit auch bagatellisieren

  • 1990 gab es 4 Mio. Sozialwohnungen, 2025 sind es 1 Mio. Sozialwohnungen.



    Die Kosten fürs Bauen haben sich verteuert.



    Die Auflagen für die Planung und Umsetzung sind stark gestiegen.



    Die Städte und Kommunen gehen so gut wie nie gegen ausbeuterische und kriminelle Immobilienbesitzer vor. Oftmals handelt sich um eine kleine Gruppe, die immer wieder mit Leerstand, Verfallen, Wuchermieten und intransparenten Abrechnungen auffallen.



    Wenn es so weitergeht, dann wird das Auf-der-Straße-Leben oder Wohnungslos zu sein, zu einem Normalzustand. Das ist es in Städten wie London, Los Angeles oder New York schon, Deutschland zieht nach. Unsere Regierung ist neoliberal, hart gegen Arme und anti-sozial, wer auf Besserung wartet, der wartet für immer. Bekannt ist das Problem seit mehreren Jahren.



    Viele Städte und Bundesländer bauen gezielt nicht, um Geld zu sparen, bzw. an anderer Stelle ausgeben zu können.



    Zudem kommt ein Effekt ins Spiel, dass ehemalige Asylbewerber einfach nicht sesshaft werden, sprich der Druck, dass sie Deutschland wieder verlassen müssen, steigt. Aber auch arme Deutsche verlassen Düsseldorf, Hamburg oder Köln und ziehen in billigere Gebiete.

  • So richtig die Grundaussage auch ist, so wird doch auch einiges verschleiert um möglichst starke Schlagwörter zu bekommen. Wenn man schon mit " Gemeint ist die Konkurrenz um Wohnraum..." argumentiert, sollte man auch andere "Gemeint ist..." im Auge haben.

    Wohnungslosigkeit ist, wie im anderen Artikel auch genannt, nicht gleich Obdachlosigkeit und nicht gleichzusetzen mit Leben auf der Strasse.

    Zu den 1 Mio Personen gehören zB Asylsuchende in Notunterkünften. Wieviel das sind, wird nicht erwähnt.

    Laut deStatis sind fast 500.000 Personen untergebracht (zählen aber als wohnungslos). Die Zahl enthält keine (noch) nicht anerkannten Asylsuchenden.

    Obdachlos sind ca 50.000+ Personen in D. Davon ist jeder zuviel, aber die Zahl ist doch deutlich geringer als 1 Mio ("Gemeint ist...").

    • @fly:

      Wohungslosigkeit bzw. Couchsurfing ist sicherlich was anderes als auf der Straße oder in der Notunterkunft zu leben. Aber das ist nur ein gradueller Unterschied. Wer das mehrere Jahre macht, der geht psychisch auch nach Unten. Es gibt Asylbewerber, die über fünf oder sechs Jahre in Unterkünften leben und keine Wohnung finden. Das zerrt an den Nerven. Und das betrifft auch Kinder und Jugendliche, auch die leben mit ihren Eltern oft jahrelang in der öffentlichen Unterbringung/Heim.

      • @Andreas_2020:

        Es gibt genug Wohnungen - nur eben nicht da wo die Asylbewerber hinwollen. Die Arbeitslosenquote in der Oberpfalz ist erheblich niedriger als die in Berlin - und es gibt günstigen Wohnraum. Würde man die Wohnungslosen anders verteilen, müssten sie nicht in den Unterkünften ausharren.

        • @Sandra Becker:

          Da müsste man jetzt aber auch umgekehrt fragen: Warum ist die Arbeitslosenquote in der Oberpfalz geringer als in Berlin?



          Ich behaupte, dass es nicht daran leigt, dass hier mehr Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, sondern daran, dass Arbeitslose von hier fortziehen, um noch eine Chance zu haben. Bis sie dann in Berlin doch arbeitslos hängen bleiben und nicht wieder zurückfinden.



          Die Zentralisierung der Arbeitsmöglichkeiten ist seit Jahrzehnten politisch vorangetrieben worden und lässt sich jetzt nicht durch eine Umverteilung der Wohnungslosen wieder auflösen.



          Die Infrastruktur in den ländlichen Gebieten müsste gezielt aufgebaut werden, damit Arbeitgeber, Dienstleister und damit auch Bevölkerung wieder freiwillig hierherkommen.

          • @Herma Huhn:

            Die niedrigere Arbeitslosenquote in der Oberpfalz lässt sich nicht plausibel damit erklären, dass Arbeitslose „wegziehen und in Berlin hängen bleiben“. Diese Erklärung passt weder zur Datenlage noch zu den strukturellen Unterschieden beider Regionen.

            Zum einen hat die Oberpfalz eine ausgesprochen starke industrielle Basis (Automotive, Maschinenbau, Metallverarbeitung, Logistik), die kontinuierlich Arbeitskräfte sucht – selbst für gering qualifizierte Tätigkeiten. Berlin dagegen ist ein Dienstleistungs- und Verwaltungsstandort mit deutlich weniger industriellen Jobs, die gerade für Personen ohne hohe Qualifikation oft stabilere Beschäftigung bieten.

            Zum anderen ziehen Menschen in erster Linie wegen Arbeitsplätzen in Regionen wie die Oberpfalz – nicht weg. Dass eine große Zahl von Arbeitslosen ausgerechnet nach Berlin ziehen sollte, wo die Lebenshaltungskosten höher, die Konkurrenz größer und die Einstiegsmöglichkeiten in vielen Berufsfeldern schwieriger sind, ist wenig plausibel. Wenn der Abzug Arbeitsloser wirklich ein Massenphänomen wäre, müsste sich das zudem in der Bevölkerungsentwicklung der Oberpfalz widerspiegeln – das Gegenteil ist der Fall: Die Region wächst seit Jahren.

            • @Zippism:

              Zugegeben, ich habe nicht nachgeschlagen, wie es speziell in der Oberpfalz aussieht und mich blind darauf verlassen, das hier wie so oft, irgendeine ländliche Region ungeachtet der tatsächlichen Begebenheiten als Beispiel herangezogen wird.