Berliner CDU-Fördergeldaffäre: Guter Jude, schlechter Jude
Die Kulturverwaltung räumt weitere Fehler in der Fördergeld-Affäre ein. Eine Antisemitismus-Fachjury soll zudem als „zu links“ abgelehnt worden sein.
Die Vorwürfe der politischen Einflussnahme durch Abgeordnete und Senatoren der CDU bei der Vergabe von Fördergeldern im Kampf gegen Antisemitismus weiten sich aus – und werden nun auch zum Teil durch die Senatskulturverwaltung selbst bestätigt. Der taz liegt eine entsprechende Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion vor.
Das Dokument ist Teil der Berichterstattungspflicht des Senats im Rahmen der Haushaltsberatungen und wurde am vergangenen Freitag veröffentlicht. Dort bestätigt die Kulturverwaltung, dass bei der Vergabe von Fördermitteln nicht Fachpersonal, sondern CDU-Politiker*innen die maßgeblichen Entscheidungen über die zu fördernden Projekte getroffen haben.
Das betrifft den Sondertopf von 3,4 Millionen Euro, die 2025 für „Projekte von besonderer politischer Bedeutung“ im Einsatz gegen Antisemitismus vergeben wurden. Statt den regulären Weg einer eingehenden Prüfung durch die Verwaltung zu gehen, wurden die bezuschussten Projekte von Christdemokraten nach eigenen Vorstellungen – und mit Druck auf Verwaltungsangestellte – ausgewählt. „Die Bescheidung der Projektanträge lag in der Verantwortung der Hausleitung; beteiligt waren Mitglieder der Koalitionsfraktionen“, heißt es unverblümt in dem Senatsbericht.
Zudem heißt es in der Antwort, dass bei der Entscheidung über die Förderungen keine „inhaltlich-fachliche Prüfung“ stattgefunden habe. Wie die taz bereits berichtete, sollen die Abgeordneten Dirk Stettner (CDU) und Christian Goiny (CDU) die Liste der Förderprojekte zusammengestellt und durchgeboxt haben.
Im Ergebnis bekamen Projekte den Zuschlag, die einer inhaltlichen Prüfung hinsichtlich ihrer Kompetenz in der Antisemitsmusarbeit wohl kaum standgehalten hätten. Projekte wie etwa die „Mosaik G.C.B“, der „Future Narrative Fund“ oder das „Zera Institute“ haben kaum oder keine bisherige Arbeit vorzuweisen und fallen vor allem durch KI-Websites und personelle Verbindungen – auch mit Christian Goiny – auf.
Maral Salmassi, Goinys Kollegin im CDU-Kreisvorstand Lichterfelde, deren „Zera Institute“ mit 390.000 Euro bezuschusst wurde, fällt in den sozialen Medien durch islamfeindliche, verschwörungstheoretische und extrem rechte Inhalte auf. Für förderfähig hält sie die CDU, die Antisemitismus vor allem als linkes Problem verortet, dennoch.
Jury gekippt
Wer dagegen ein breiteres Verständnis von Antisemitismuskritik vertritt und diesen nicht mit kompromisslosen, pro-israelischen Positionen verbindet, ist zum Abschuss freigegeben, wie neue Enthüllungen zeigen. Christian Goiny und Joe Chialo nahmen demnach nicht nur Einfluss auf die Vergabe von Fördermitteln aus dem besagten Sondertopf. Ebenso mischten sie sich in die reguläre Mittelvergabe aus dem „Aktionsfonds gegen Antisemitismus“ ein, für die eine Fachjury verantwortlich ist.
Wie aus einer der taz vorliegenden Akteneinsicht der Grünen-Abgeordneten Susanna Kahlefeld und Daniel Wesener hervorgeht, sorgten Goiny und Chialo dafür, die Jury-Mitglieder auszutauschen: „Zu links, zu woke, zu BDS-nah“ seien die bis dato vorgesehenen Expert*innen, so fasste ein Mitarbeiter der Verwaltung in einer Mail Mitte Februar an einen Kollegen die Vorbehalte der CDU zusammen. Anderthalb Monate später schrieb Chialo in einer Mail an seinen Staatssekretär: „Gleichzeitig wurde verabredet, dass eine neue Jurybesetzung für den Aktionsfonds gegen Antisemitismus erfolgen soll.“
Shai Hoffman, jüdischer Sozialaktivist, ist einer der als „zu links“ abservierten Jury-Mitglieder. „Die CDUler wollen darüber entscheiden, wer die guten und wer die schlechten Juden sind“, sagt er im Gespräch mit der taz. Die Praxis, Jüd*innen mit unliebsamen Ansichten auf diese Weise „zu denunzieren“, erinnere ihn an dunklere Zeiten der deutschen Geschichte. Goiny ist für ihn ein Politiker, der aus „einem deutschen Schuldkomplex heraus“ ein bestimmtes Bild von Jüd*innen habe, in das er nicht passe.
„Was heißt eigentlich zu links?“, fragt er. „Wenn man darauf besteht, dass Menschenrechte nicht selektiv, sondern universell gelten?“. Hoffmann ist der CDU wohl deshalb lästig – er übt scharfe Kritik an dem „Zerstörungsfeldzug einer teils faschistischen Regierung Israels“, sowie der deutschen Staatsräson. In seiner Antisemitismusarbeit sei es ihm wichtig, sich gegen alle Formen von Diskriminierung zu stellen – auch anti-palästinensischen Rassismus.
CDu hat keine Ahnung
Auch die Professorin Christina Brüning gehört zu den Geschassten. Sie habe erst durch einen Bericht der Berliner Morgenpost am Samstag davon erfahren, dass sie überhaupt als Jury-Mitglied im Gespräch war, sagt sie der taz. Sie selbst versteht sich als sehr kritisch gegenüber der BDS-Bewegung und findet: „Leuten pauschal BDS-Nähe zu unterstellen, zeigt, dass die CDUler keine Ahnung von dem Feld haben.“
„Die CDU missbraucht Antisemitismuskritk als Mittel zur Spaltung der Gesellschaft und reproduziert dabei antimuslimischen Rassismus“, so Brüning. Es müsse darum gehen, Antisemitismus auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu benennen und nicht nur auf „Muslime und linke Studis“ zu projizieren, sagt sie.
Die von der CDU neu zusammengestellte Jury vergab schließlich 2 Millionen Euro Fördergelder an 27 Projekte. Die Entscheidung wurde von der Kulturverwaltung Ende Mai verkündet, ebenso die letztendlichen Jury-Mitglieder. Ihnen gehören der taz-Journalist Nicholas Potter als Juryvorsitzender an, dazu Franziska Göpner vom Anne Frank Zentrum, Shila Erlbaum vom Zentralrat der Juden, Friederike Lorenz-Sinai von der Fachhochschule Potsdam, Marina Chernivsky vom OFEK e. V. und Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus.
Kritik an der CDU kommt nun auch aus der neuen Jury, deren Mitglieder bislang nichts von den Vorgängen vor ihrer Nominierung wussten. Chernivsky, Potter und Lorenz-Sinai drücken in einem Statement gegenüber der taz ihre Unterstützung für die gecancelten Jury-Mitglieder aus und distanzieren sich von Ausschlüssen von Fachkolleg*innen entlang rufschädigender Ettikettierungen: „Die mutmaßlichen Diffammierungen sind unwissenschaftlich und demokratiegefährdend, denn sie tragen dazu bei, die Bekämpfung von Antisemitismus in seiner gesamtgesellschaftlichen Einbettung zu polarisieren und nachhaltig zu beschädigen.“
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