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debatteFrieden, aber fremdbestimmt

Trumps 20-Punkte-Plan könnte Israels Offensive in Gaza beenden. Unter jetzigen Bedingungen ist der Preis für die palästinensische Seite aber sehr hoch

Jede Initiative, die ein Ende dieser kriegsbedingten Hölle auf Erden in Gaza bringen kann, ist es wert, ernsthaft verfolgt zu werden. Zu viel steht jetzt auf dem Spiel: Menschen in Gaza verhungern, werden in ihrem Elend weiter bombardiert – und mitgefangen sind die Geiseln in ihrem Elend, die um ihr Leben bangen. Der 20-Punkte-Plan, verbunden mit dem Druck, den der US-Präsident auf beide Seiten ausübt, ist ein Impuls, der Frieden bringen soll. Doch in seiner jetzigen Form bedeutet er einen sehr hohen politischen Preis für die Palästinenser*innen, und das wirft einen Schatten auf seine Erfolgsaussichten.

An breiter Unterstützung mangelt es dem Plan, ausgehandelt mit Israel, aber auch weiteren Staatenvertretern der Region, nicht. Nur die, die am dringendsten mit im Boot sein müssten, fehlen: Weder die Palästinensische Autonomiebehörde noch die Hamas wurden vorab konsultiert. Sofern die Hamas das Ultimatum zur Annahme des Plans verstreichen lässt, steht Präsident Trump voll hinter den Vernichtungsplänen, die mit der Invasion von Gaza-Stadt begonnen wurden: „Die Hamas wird es entweder tun oder nicht, und wenn nicht, wird es ein sehr trauriges Ende nehmen“, sagte Trump in Washington.

Die größten Leerstellen: Weder beinhaltet der Plan ein Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, noch bietet er Klarheit über das Ausmaß oder den Zeitplan für den Abzug der israelischen Truppen. Er bedeutet letztlich die vollständige Trennung des Gazastreifens vom Westjordanland und von Jerusalem – also ein Zerreißen des geografischen und politischen Gefüges des palästinensischen Volkes, ohne wirkliche Garantien für die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates. Trump will sich als Friedensstifter inszenieren: Als Vorsitzender eines sogenannten Friedensrates, dem neben ihm auch der britische Ex-Premier Tony Blair angehören soll, macht er sich gleichsam zum Statthalter im Gazastreifen. Dem „Friedensrat“ unterstellt sein soll die Übergangsverwaltung, bestehend aus einem Komitee palästinensischer Technokrat*innen.

Bente Scheller übernahm im September 2019 die Referatsleitung Nahost und Nordafrika der Heinrich-Böll-Stiftung. Von 2012 bis 2019 leitete sie das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Zuvor ab 2008 das Büro in Afghanistan.

Die Palästinensische Autonomiebehörde bleibt außen vor, bis ihre internen Reformen „abgeschlossen sind und sie in der Lage ist“, die Kontrolle über Gaza sicher und effektiv wieder zu übernehmen. An keiner Stelle ist von Wahlen die Rede. Der Plan konterkariert damit die New-York-Deklaration auf Initiative Frankreichs und Saudi-Arabiens, die nicht nur das Selbstbestimmungsrecht der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen unterstreicht, sondern der Palästinensischen Autonomiebehörde eine entscheidende Rolle zuweist – nicht ohne sie gleichwohl zu Reformen aufzufordern.

Rückzug, Besatzung, Annexion? Streitpunkt ist und bleibt der Verbleib des israelischen Militärs im Gazastreifen. Trumps Äußerungen zum Rückzug stehen den Aussagen Netanjahus auf seinem Telegram-Kanal gegenüber, in denen er sagt, der Plan erlaube eine fortgesetzte israelische Militärpräsenz. Die Besetzung oder Annexion des Gazastreifens wird ausgeschlossen – nicht aber die Annexion des Westjordanlandes.

Business auf den Ruinen Gazas – zudem mit Öl- und Gasquellen vor der Küste des Gazastreifens

Die breite internationale Unterstützung des Trump-Plans, vor allem durch die arabischen Staaten und deren Bereitschaft, Truppen zu entsenden, bietet eine Chance für eine ausbaufähige Waffenruhe. Vor allem Katar und Ägypten versuchen, der derzeitigen Antwort der Hamas – „Ja, wir nehmen an, aber unter der Voraussetzung zu verhandelnder Änderungen“ – Gewicht zu geben und weitere Verhandlungen möglich zu machen. International besteht Konsens darüber, dass die Hamas keine politische Rolle in Gaza mehr spielen soll und ihre Waffen niederlegen muss. Auch die arabischen Staaten tragen das mit. Die Hamas laviert: die Übergabe der Waffen an andere Gruppierungen, das Behalten von „Defensivwaffen“ – schwer vorstellbar, dass Israel sich darauf einlässt. Was die Hamas an dem Plan trifft, ist, was drinsteht: ihr eigenes Ende. Was die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen an dem Plan trifft, ist, dass nicht drinsteht: ihre eigene, selbstbestimmte Zukunft.

Nur in einem Punkt ist der Plan sehr klar: Wiederaufbau nach Trump und Blair bedeutet „Riviera-Plan“ oder „Gaza Trust“, denn die relevanten Punkte sprechen von der „Einberufung eines Expertengremiums, das an der Entstehung einiger florierender, moderner Vorzeigestädte im Nahen Osten mitgewirkt habe“. Business auf den Ruinen Gazas – zudem mit Öl- und Gasquellen vor der Küste des Gazastreifens. Immer wieder hat Trump klargemacht, dass er für amerikanische Unterstützung Gegenleistungen erwartet. Auch die Sonderwirtschaftszone taucht wieder auf, die mit billigen Arbeitskräften funktionieren soll – also der Bevölkerung des Gazastreifens. Eine gewisse Beliebigkeit bleibt bei der Frage des Verbleibs der Bevölkerung: Sie „darf“ laut Plan bleiben oder „freiwillig“ gehen; als kleinen Pendelschlag gegen das allseits befürchtete Vertreibungsszenario ist hinzugefügt, sie solle „ermutigt werden“, zu bleiben. Angesichts der lebensfeindlichen Zustände, die in einem zu 98 Prozent zerstörten Gaza herrschen, wäre nötiger als die Ermutigung allerdings die Ermöglichung.

Kirsten Krampe leitet seit Juni 2025 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.

Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, eine Wiederaufbaukonferenz auszurichten und sich – man beachte die Reihenfolge – „aus migrationspolitischen, sicherheitspolitischen und humanitären Gründen“ aktiv einzubringen. Europa kann den Plan konstruktiv unterstützen, indem es sich klar zum Völkerrecht und zum palästinensischen Recht auf Selbstbestimmung bekennt. Damit der Trump-Plan jenseits der drängenden kurzfristigen Fragen – Geiseln, Waffenruhe und humanitäre Hilfe für Gaza – eine langfristige Perspektive bietet, müssen die EU-Mitgliedstaaten ebenso wie die arabischen Staaten alles tun, um die heiklen Punkte nachzubessern. Ihre Diplomatie und Garantien werden ebenso nötig sein wie Trumps Druck auf beide Seiten.

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