Parlamentswahl in Tschechien: Der tschechische Trump ist wieder da
Andrej Babiš und seine rechtspopulistische Partei ANO gewinnen die Parlamentswahlen in Tschechien. In der Hauptstadt Prag ist die Freude überschaubar.

Ein paar Meter weiter verkauft eine junge Frau belegte Brote. Auch sie lehnt Babiš ab. „Unsere Verwandten haben für diese Freiheit gekämpft. Es wäre dumm, das aufzugeben, nur weil Menschen nicht informiert genug sind und sich kaufen lassen.“ Besonders ältere Wähler, kritisiert sie, fielen auf Babiš’ Geldversprechen herein, ohne zu fragen, wer das bezahlen soll.
Doch die Entscheidung ist gefallen. Tschechien hat ein klares Votum abgegeben: ANO, die Partei des 71-jährigen Unternehmers Andrej Babiš, übertraf alle Erwartungen und kam auf 34,5 Prozent. Die regierende Spolu-Koalition von Premier Petr Fiala stürzte auf gut 23 Prozent ab. Mit hochgereckten Armen feierte Babiš am Wahlabend seinen „historischen Erfolg“. Fiala gratulierte: „Das Ergebnis ist klar, und man muss es als Demokrat akzeptieren.“ Die Wahlbeteiligung stieg auf fast 69 Prozent, den höchsten Wert seit den 1990er Jahren.
Überraschend schwach schnitten die politischen Ränder ab. Die rechtsradikale SPD blieb mit knapp 8 Prozent hinter den Erwartungen. Die kommunistisch-nationalistische Stačilo (4,3 Prozent) scheiterte an der Fünfprozenthürde. „Babiš hat diese Stimmen abgesaugt“, analysiert Rikard Jozwiak, Journalist von Radio Free Europe in Prag. „Insgesamt war es ein Sieg der etablierten Parteien.“ Das bürgerliche Regierungsbündnis Spolu, die linken Piraten und die Bürgermeisterpartei Stan kamen zusammen auf ähnlich viele Stimmen wie vor vier Jahren. Viele Wähler, die zuvor Kleinparteien unterstützt hatten, entschieden sich diesmal anders.
Junge Wähler hatten nicht viele Alternativen
Babiš profitierte von der Unzufriedenheit im Land. Die Preise stiegen zuletzt stark, während die Reallöhne stagnierten. Premier Fiala konnte zentrale Wahlversprechen wie die Lösung der Wohnungskrise nicht einhalten. Babiš nutzte das im Wahlkampf geschickt aus und versprach billige Energie sowie finanzielle Hilfen für Familien und Bedürftige.
Im Viertel Kleinseite, im Metro Comedy Club nahe der Karlsbrücke, bleibt die Politik am Wahlabend Randthema. Das Publikum besteht vor allem aus Expats und Touristen. Kristýna Haklová, Gründerin des Clubs und selbst auf der Bühne, blickt trotz der ungewissen Aussichten optimistisch in die Zukunft. Sorgen um die Meinungsfreiheit hat sie nicht. „Es gibt funktionierende Korrektive, selbst wenn die Regierung nach rechts außen ausscheren würde.“
Der 34-jährige Stand-up-Comedian Dominik Dabrowski sieht das kritischer: „Babiš ist nicht wie Orbán ein Ideologe. Er ist machtgierig und will Geld. Aber wenn ihm eine verrückte Partei Macht gibt, würde er wichtige Ministerien an Rechtsradikale vergeben.“
Der Tscheche sieht ein strukturelles Problem für junge Wähler: Wer weder Babiš noch die extremen Ränder wählen wolle, habe nur drei Alternativen. Die konservativ-bürgerliche Spolu-Regierung, die aber progressive Themen wie Homo-Ehe oder Umweltschutz nicht vorantreibe. Die zentristische Bürgermeisterpartei Stan. Oder die Piraten. Letztere seien zwar eine moderne progressive Partei, doch als Juniorpartner in der Regierung hätten sie keine echte Chance, ihre Prioritäten durchzusetzen. Das erkläre, warum viele junge Menschen gar nicht zur Wahl gingen.
Eine Zusammenarbeit mit ANO haben Piraten und Stan ausgeschlossen. Auch zwischen ANO und Spolu herrscht Funkstille. Beide Seiten lehnen eine Koalition ab. Bleiben die rechtsradikale SPD und die EU-kritischen Motoristen, die mit knapp 7 Prozent erstmals ins Parlament einzogen. Sie fordern vor allem eine Rückabwicklung des Green Deal.
Die Verhandlungen zur Regierungsbildung werden schwierig
Für eine Mehrheit müsste Babiš beide Parteien ins Boot holen. Das gilt als unwahrscheinlich, da die SPD einen Austritt aus Nato und EU fordert – für Babiš ein No-Go. Er strebt daher eine ANO-Minderheitsregierung an. Journalist Martin Ehl von der Wirtschaftszeitung (HN) rät ihm, Teile von Spolu einzubinden, um die Beziehungen zum Westen zu wahren, auf die Babiš schon aufgrund seiner Unternehmen Wert legt.
Die Verhandlungen werden schwierig. Präsident Petr Pavel hat klargestellt, keine Regierung aus Systemgegnern zu akzeptieren. Auch die Mitgliedschaft Tschechiens in EU und Nato sei nicht verhandelbar. Möglich, dass Pavel am Ende jemand anderen aus ANO zum Premier macht. Gegen Babiš laufen Korruptionsermittlungen, zudem gibt es Interessenkonflikte zwischen seinem Unternehmertum und der Politik.
Auch der internationale Kurs Tschechiens bleibt unklar. Babiš gilt als Fahne im Wind und weitgehend ideologiefrei. Sein Vermögen baute er mit Agrofert auf, einem Mischkonzern für Chemie und Agrarhandel. Immer wieder gab es Korruptionsvorwürfe, ein Verfahren läuft noch.
Seit letztem Jahr sitzt ANO mit Orbáns Fidesz und Kickls FPÖ in der EU-Fraktion „Patrioten für Europa“. Im Wahlkampf kündigte Babiš an, die Ukrainehilfen zu kürzen. Die tschechische Munitionsinitiative für die Ukraine will er in die Nato überführen. Journalist Ehl erwartet dennoch Pragmatismus: Rhetorisch werde eine ANO-geführte Regierung weiter gegen die Ukrainehilfen sein. Aber unter der Oberfläche wird es pragmatisch weitergehen – „wegen des Geschäfts“.
Im Comedy-Club bleibt Kleinkünstlerin Haklová optimistisch: „Tschechen hassen Extreme. Wir mögen unsere zentrale Position in Europa. Babiš wird reicher, die Korruption könnte wieder zunehmen – aber ich glaube nicht, dass wir die Nato oder die EU verlassen.“ Auch Journalist Jozwiak sieht ANO differenziert: „Über Babiš hinaus ist die Partei nicht so toxisch. Sie hatten moderate Gesichter, als sie vor vier Jahren regierten. Der Diskurs wird rauer, aber ich glaube nicht, dass Tschechien die Richtung von Bratislava oder Budapest einschlägt.“
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