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EM-BerichterstattungMehr Hype als Journalismus

Rund um den Frauenfußball agieren Jour­na­lis­t:in­nen am liebsten freundlich, empowernd, solidarisch. Doch das zahnlose Jubeln hilft nicht.

„Giuli“, das Schicksal und die Träume kleiner Mädchen: ein Gesicht des Hypes Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

D er Fußballjournalismus an sich ist kein Hort von kritischer Distanz. Gerade zu großen Männerturnieren oder in der Champions League wird ungebremst mit den Deutschen gelitten, ehrfürchtig den sogenannten Ex­per­t:in­nen gelauscht, und banalste Insiderinfos aus dem deutschen Quartier werden als Sensationen verkündet. Bei den teuren TV-Rechten halt auch kein Wunder. Grundsatzkritische Berichterstattung bekommt ihren Platz vielleicht vor dem Turnier, aber dann ist gut.

Beim Fußball der Frauen ist der Zirkus noch drei Nummern kleiner, aber irgendwie schafft es der deutsche Sportjournalismus, hier noch schlimmer zu sein. Diesmal ist nämlich die gesamte Journo-Branche kollektiv hyped. Nicht nur bringen die Öffentlich-Rechtlichen gefühlt täglich irgendeine Doku mit Titeln wie Shootingstars oder Generation Irgendwas, in der sie deutsche Spielerinnen völlig kritikfrei vermarkten. Auch viele sonst kritische Geister jubeln mit. Es gibt Dramen um „Giuli“ und viel Kitsch um Träume kleiner Mädchen. Eine kritische Haltung zum Turnier oder Austragungsland interessierte nicht mal vorab.

Es gibt natürlich Gründe dafür. Frauenfußball wird weiter täglich in Deutschland heftigst diskriminiert – was Re­por­te­r:in­nen offenbar dazu treibt, das Spiel besonders energisch zu loben. Jedes gut gefüllte Stadion gehört extra betont, genau wie das wirklich hochklassige Niveau oder die so inspirierende Geschichte einer Spielerin. Natürlich ist die Blase im Frauenfußball zudem klein. Man kennt Spielerinnen schnell persönlich, viel unkomplizierter als im Männerfußball. Sie sind auch nahbarer und eloquenter als Hochleistungszombies wie Erling Haaland. Diese enorme Nähe trägt zur Beißhemmnis bei. Hier sind wir noch wer, wir Sportjournalist:innen.

Es wäre ungerecht, dabei alle in einen Topf zu werfen. Doch auch viele kritische Berichte sind vor allem eines: kritisch aus einer Art Anwältinnenperspektive für Spielerinnen. Equal Pay, die vielen Kreuzbandrisse, Sexismusskandale oder Mutterschaft. Aber kritisch gegenüber den Protagonistinnen, der Hochleistungskultur, der Kommerzmaschine? Da wird es dünn. Auch dafür gibt es Gründe. Viele junge Frauen, die über Fußball berichten, haben ähnliche Diskriminierungserfahrungen gemacht wie die Spielerinnen.

Gemeinsam in feindlicher Welt

Man betrachtet sich nicht so sehr als Mitglieder zweier Welten denn als Frauen, die gemeinsam in einer feindlichen Welt bestehen. Die Solidarität vor allem mit Spielerinnen – interessanterweise weniger mit Trainerinnen – ist hoch. Einziger Anlass für Kritik sind dann schlechte Leistungen auf dem Platz oder ein frühes Ausscheiden der Deutschen. Als männlicher Sportjournalist wiederum läuft man bei allzu kritischer Haltung sofort das Risiko, sich einer Sexismus-Anschuldigung auszusetzen.

Also lieber freundlich, empowernd, soliarisch. Aber ob dieses hypende Heidi-Ländle dem Fußball der Frauen guttut, steht auf einem anderen Blatt.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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3 Kommentare

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  • Wie sagte Hajo Friedrichs noch: ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten. Gilt natürlich auch hier, allerdings ist es im Sport so eine Sache, wenn man dem Sender angehört, der Übertragungsrechte für eine Großveranstaltung für viel Geld eingekauft hat. Die kritische Berichterstattung fällt dann oft hinten rüber. Und der Fußball ist das goldene Kalb im Medienzirkus und überhaupt, auch wenn das weibliche Kalb etwas kleiner ist als das männliche.

  • Auch ich bin auf die Reklame hereingefallen, die vor der Frauen-EM fast überall dafür gemacht wurde. Aber als das Geschehen auf dem Platz wiederholt in krassem Gegensatz zu dem Stand, was hinterher darüber berichtet wurde, habe ich mich hurtig vom Acker gemacht. Dabei wird es jetzt auch bleiben.

  • Warum soll denn ausgerechnet beim Fußball und der Bezahlung von Spielerinnen als erstes der Kapitalismus abgeschafft werden? 🤔

    Tut mir leid, aber ich finde diese Forderungen nach gleicher Bezahlung, wie männliche Spieler absolut absurd. Ein Erling Haarland ist ein Produkt auf dem Markt und verdient Millionen.

    Angebot und Nachfrage und die Größe des Talentpools aus dem geschöpft werden kann, entscheiden letztlich über die Qualität im direkten Vergleich zwischen Frauen- und Männerfussball und da hinkt der Frauenfussball nachwievor massiv hinterher.

    Was für massive Diskriminierungen gibt es denn gegenüber dem Frauenfussball?

    Es gibt zu wenig weiblichen Nachwuchs und zu wenig Mädchen im Kita/Grundschulalter die den Fußball für sich entdecken. Das ist heute das Problem und das war auch schon das Problem vor 20 Jahren. Das darf sich meinetwegen gerne ändern, das sollte sich ändern. Ansonsten ändert sich nämlich gar nichts.