Verteuerung der Freibäder: Das Gegenteil von Dekadenz und Privileg
Im Freibad liegt das Glück. Die Verteuerung der Eintrittspreise ist ein Verbrechen an denen, die keinen exklusiven Zugang zum Leben im Sommer haben.
D as Freibad ist der Hotspot für Gossip, Fun und (zumindest kurze) sportliche Betätigung, ein umzäuntes Naherholungsdomizil, eine Welt mit eigenen Regeln (wer sitzt wo, wer liegt wo anders) und permanenten Versprechen an das schöne, ausgelassene, faule und deshalb erstrebenswerte Dasein (dort herrscht eine andere Zeitrechnung, Freibadstunden vergehen anders, Erlebnisse werden intensiviert oder extra fad).
Das Freibad ist nicht nur ein Abkühlungsangebot, eine kleine Rettung an heißen Tagen, die gelebte Hingabe an die aufregendste Zeit im Jahr, es ist vielmehr eine Notwendigkeit, ja, ein Lebensgefühl. Denn nirgends ist es so schön, als bei Hitze am Wasser – und in Städten ohne Badeflüssen oder in Gegenden ohne (Berg-) Seen, bedarf es also Kacheln, Chlor und ordentliche Kiosks, damit der Sommer (das Leben!) zwar unendlich, aber nicht unerträglich ist.
Doch Moment. Wo sich das Freibad in manchen, seltenen Momenten wie die wahr gewordene Utopie der klassenlosen Gesellschaft anfühlt, der (feuchte) Traum des bedingungslosen Miteinanders, bedarf es wohl einen schmerzverzehrten Blick auf die realen Zugangsbedingungen.
Upsi! Die Freibadkasse ist zu einem Marker gesellschaftlicher Teilhabe geworden. Denn das vermeintlich demokratische Sommervergnügen hob unlängst die Preise an. Im Schnitt wurden die Eintritte nach Angaben des statistischen Bundesamtes um 5,7 Prozent erhöht, selbst die Sonnenschirme kosten durchschnittlich 2,5 Prozent mehr. Nun, es ist offenkundig, dass nicht nur der Zugang zu Geld (und daher zu allem anderen), sondern auch der Zugang zu Genuss und Freizeitvergnügung in unserer Gesellschaft ungleich verteilt ist – aber die Freibaddrehkreuze dürfen keine Schwelle zum Luxus sein und erst recht kein Symbol für sozialen Ausschluss.
Das Freibad muss das Gegenteil von Dekadenz und Privileg sein: nämlich ein offener Ort für alle möglichen Personen, mit sämtlichen unterschiedlichen Erholungsbedürfnissen. Sauberes Wasser um der Überhitzung zu entgehen, Liegeflächen für ein ausgiebiges Nickerchen, lange Bahnen für die, die tatsächlich schwimmen (gar anständig kraulen) können, Stufen und Tribünen und mehr-etagige-Sitzflächen um zu sehen und vor allem um gesehen zu werden (ja!), Sanitäranlagen, Kinderspaßbereiche und das kulinarische Versorgungszentrum, der Kiosk. Pommes rotweiß, Eis am Stiel, es reichen sogar eine einfache Getränkeauswahl und minder bequeme Sitzmöglichkeiten, um die meisten Anwesenden glücklich zu machen (Achtung: mir haben einst Freibadpommes eine Affäre beschert, die jetzt nicht gerade die erfüllendste war, das ist das gefährliche am einlullenden und entzückenden Freibadvibe).
Für manche ist damit nun Schluss, was nicht nur schade, sondern entsetzlich ist. Die grundsätzliche Verteuerung durch die Inflation macht es schon anstrengend genug, gerade durchs Leben zu gehen. Durch die Preisanhebung bei eigentlich so niedrigschwelligen Freizeitaktivitäten bricht der Zugang zu einem Sozialraum weg, der sich an den besten Tagen sogar sinn- und identitätsstiftend anfühlt.
Das trifft wohl vor allem diejenigen, die sich nicht unbedingt entscheiden können, ob der Freibadmodus tatsächlich ihr Lebensgefühl ist, sondern ihnen gar nichts übrig bleibt als ihn als den ihrigen euphorisch anzunehmen und zu proklamieren, wenn sie den Sommer über in Städten ohne (gratis) Flüsse oder Seeanbindung verbringen müssen, schon innerorts keine weiten Strecken zurück legen und sich überhaupt keine ausschweifenden Urlaube leisten können.
Das Freibad ist in seiner immer ähnlichen architektonischen Einfachheit, in seiner sozialen Komplexität und in seinem Versprechen, den Alltag kurz zu unterbrechen und uns davon zu erlösen (meinem Verständnis nach) tatsächlich der reinste Luxus; allerdings darf das Freibad nie zu einem exklusiven Club werden, sonst verliert es nicht nur eine wichtige Gesellschaftsfunktion, sondern auch den Charme, den die vergleichbaren Privilegierten-Etablissements nie haben werden.
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