Gaza, Migrationspolitik, Rauchverbot: Demokratische Hygiene
Merz macht ihn auf wegen Israel, Merkel wegen Merz, und in Spanien hat er keine Kippe mehr zwischen den Nachtclublippen: der Mund.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?
Friedrich Küppersbusch: Staatsdemolierer Musk tritt ab.
taz: Und was wird besser in dieser?
Küppersbusch: Was macht eigentlich Christian Lindner?
taz: Bundeskanzler Merz versteht das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen „offen gestanden nicht mehr“. Ist das die Zeitenwende im deutsch-israelischen Verhältnis?
Küppersbusch: Nein, die Bewährung. Das Lauteste an Merz’ Äußerung ist das Schweigen danach. Anmoderiert hatte den Take der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Tage vorher, mit Verständnis antwortete Israels Botschafter in Berlin tags drauf. Bisher nennt das Netanjahu-Regime die Opposition Antisemiten und Kritik aus der EU Judenhass. Nichts wäre leichter gewesen, als den Deutschen, den Enkel eines NS-Bürgermeisters, genauso rhetorisch wegzusortieren. Doch zwei Drittel der EU-Länder wollen das Assoziierungsabkommen mit Israel wegen dessen Völkerrechtsverstößen und Kriegsverbrechen beenden. Wichtigster Player in der EU: Merz’ Deutschland. Bringt sein O-Ton Israel zu Zugeständnissen, wird er in der EU gegen Strafen argumentieren können. Oder, wie Merz es abends im „heute journal“ trefflich formulierte: „Frau Hayali, es geht jetzt nicht um Konsequenzen.“
taz: Derweil hat die Kriegsführung Israels offenbar zum Tod von Hamas-Chef Mohammed Sinwar geführt. Ist das ein Erfolg oder ein weiterer Schritt in die Sackgasse?
Küppersbusch: Es hält die Fiktion aufrecht, Zehntausende zivile Tote seien Kollateralschäden der Zerstörung der Hamas.
taz: Angela Merkel kritisiert die Migrationspolitik von Schwarz-Rot. Gut so? Und hat sie recht?
Küppersbusch: Es ist schlecht – und sie hat recht. Grundsätzlich ist es demokratische Hygiene, sich nicht über die Nachfolge zu äußern: um den Laden nicht zu destabilisieren, um Demut vor dem Wahlvolk zu zeigen, eine gute Verliererin zu sein und auch eigene Fehler nicht wegzuschminken. Wer’s nicht glaubt, schaue sich den Edeldemokraten Trump nach Bidens Wahl an. Merkel knüpft hier allerdings an eine biografische Tradition an: von der DDR-Bürgerin, die trotzdem ihre eigene Meinung hatte, bis hin zur CDU-Trümmerfrau, die den schmutzigen Job machte, weil’s sonst keiner tat. Dann ist es Treue zu sich und auch zu den Leuten, die „die gesamte Glaubwürdigkeit der Sonntagsreden über unsere tollen Werte in Europa und die Menschenwürde“ nicht preisgeben wollen – wie Merkel sagt. Und es ihr viele glaubten.
taz: In der Schweiz begräbt eine Gletscherlawine ein ganzes Dorf unter sich. Wie lange können wir die Klimakatastrophe noch neutral behandeln?
Küppersbusch: Es ist nicht schön für Blatten, doch wenn selbst die Bild-„Zeitung“ seitenweise Vorher-nachher-Bilder zeigt und sich am Thrill des Dorfuntergangs ergötzt, ist für die Klimadebatte mehr getan, als wenn irgendwo noch ein Aktivist klebt.
taz: In Spanien wird die Antirauch-Gesetzgebung noch verschärft. Brauchen wir das hier auch, oder reicht auf Malle?
Küppersbusch: Auf Mallorca trifft es nun auch Terrassen, Außenbereiche von Nachtclubs und öffentliche Schwimmbäder. Was immer man bisher über Nachtclubs gedacht haben mag – in Wirklichkeit wurde da gepafft. Rauchen wie Gott in Frankreich taugt auch nix mehr, dort kostet öffentliches Rauchen ab dem 1. Juli 135 Euro. Marktwirtschaftlich wäre, die Schachtel Kippen kostete 150 Euro und die Strafe wäre gleich mit drin – hier, muss man zugeben, fehlt uns die FDP. Die vergleichsweise laxen deutschen Gesetze laden zu touristischer Vermarktung ein. Lunge, komm bald wieder, mit Vollpension.
taz: Wenn Ex-VW-Manager Jahre nach dem Dieselskandal verurteilt werden, ist das dann noch ein Sieg der Gerechtigkeit?
Küppersbusch: Die schönste Strafe ist, dass die Bastelmafia sich ihren Betrug selbst geglaubt hat. Der Ingenieursporno vom „sauberen Diesel“ hat die Branche Jahrzehnte daran gehindert, den Tatsachen ins Endrohr zu gucken und auf E-Motoren umzusteuern. Kunden haben für ein sauberes Auto bezahlt und bekommen, nach Verjährung und allerhand Rechtstricks, einen aufmunternden Klaps auf die Motorhaube – statt Ersatz. Im Prozess wurde laut Richter „vorsätzlich unzutreffend“ ausgesagt, die Urteile mögen nur Rechtslenker trösten, und die Täter fahren ohne Rückspiegel weiter. Von 1996 an betrieben Porsche, VW, Audi, Mercedes und BMW in Weissach ein „gemeinsames Forschungszentrum für Abgasreinigung“. Unter dem Skandal wurde es 2018 geräuschlos liquidiert. Da könnte ein Gericht mal eine Spritztour hin machen.
taz: Und was macht der RWE?
Küppersbusch: Hat mir zum Geburtstag mit einem 5-Euro-Gutschein gratuliert – taz, da hängt die Latte.
Fragen: Philipp Rhensius, waam
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil zu Asylpolitik
Zurückweisungen sind rechtswidrig
Sugardating
Intimität als Ware
Palästina-Solidarität
Greta Thunberg bringt Hilfsgüter per Segelschiff nach Gaza
Julia Klöckner raus aus dem Amt
Des Bundestages nicht würdig
Verkehrswende in Berlin-Lichtenberg
Keine Ruhe
Abgrenzung zur AfD
Der Umgang der Union mit der AfD ist Ausdruck von Hilflosigkeit