Blackout ohne Folgen?: Mehr Alarm geht nicht
Spätestens nach dem Blackout im Süden Europas sollte Katastrophenhilfe kein Orchideenthema mehr sein. Deutschland setzt aber bisher auf Volksfeste.

E s ist einer dieser Sommersamstage zwischen Endspurt im Bundestag und kurz vor den Sommerferien. Die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser richtet an diesem 24. Juni 2023 den ersten Bevölkerungsschutztag in Deutschland aus, in Potsdam. Es werden schmissige Reden über den Schutz von Ersthelfer:innen geschwungen. Die Kinder dürfen in den Rettungshubschrauber steigen. Die Bundeswehr verteilt Kugelschreiber und Schlüsselanhänger. Minen in den unterschiedlichsten Formen und Formaten sind zu besichtigen – Brandenburg ist schließlich das Bundesland, in dem die meisten Minen in der Erde verscharrt sein sollen. Bevölkerungsschutz als Spaßevent.
Schließlich will sich ja kaum einer in seiner Freizeit auch noch mit Krisen und Katastrophen beschäftigen. Bei Bratwurst und Bier vielleicht aber schon. Und so gibt es das Notfall-Pack vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zu begutachten, samt Quiz. Pflaster in schönen Verpackungen zum Mitnehmen, den Vortrag für die solarbetriebene Powerbank.
Der Anlass ist weniger spaßig. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine tobt schon mehr als ein Jahr. Der Begriff hybride Kriegsführung ist noch was für Feinschmecker der Apokalypse. Das Hochwasser im Ahrtal 2021 hat unschöne Bilder in Öffentlichkeit und Politik gebrannt. Es schleicht sich zunehmend das ungute Gefühl ein: Die deutsche Bevölkerung ist für den Katastrophen-Ernstfall nicht gerüstet – und es gibt wenig Bewusstsein für Notfallvorsorge, für das Ehrenamt bei Feuerwehr und Rettungsdiensten, dafür, dass Strom, Wasserzufuhr, Verkehrswesen nicht selbstverständlich problemlos funktionieren. Und die Menschen sich höchstens über die verspätete Bahn aufregen.
Faeser geht also in die Offensive in ihrer Amtszeit, rüstet die zuständige Behörde – das BBK – auf. Sie beruft neue Gremien ein, die sich möglicher Cyberangriffe annehmen sollen. Es sind undankbare Themen. Für Prävention gibt es meistens weniger Budget und überhaupt – was soll schon passieren? Auch für den Warntag, der jährlich die Bevölkerung für den Katastrophenalarm sensibilisieren soll, gibt es nur Augenrollen und ein müdes Lächeln.
Genaue Ursache unklar
In der vergangenen Woche nun musste Europa mit Schrecken erleben, dass ganz unerwartet nichts mehr geht: Ein Blackout in Spanien, Portugal, sowie in Teilen Frankreichs lässt Züge stillstehen, Flugzeuge heben nicht ab. Die Netzverbindung fällt aus. Es bleibt dunkel in etlichen Wohnungen. Die kritische Infrastruktur der Länder – Stromversorgung ist ein zentrales Element – ist ausgeknockt.
Über die genaue Ursache wird nach wie vor spekuliert. Ein merkwürdiges Wetterphänomen soll verantwortlich sein, ein ungutes Zusammenspiel verschiedener Energiequellen. Sabotage wird zwar geprüft, aber doch ausgeschlossen. Was der Katastrophenfall im Süden Europas aber zeigt: Lebenswichtige Versorgung ist angreifbar und zerbrechlicher als vermutet.
Das ist kein Grund, sich in eine dystopische Lähmung zu ergeben. Sondern sich dem Phänomen der Prävention zu widmen. Das gilt nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die neue schwarz-rote Bundesregierung. Die Ampel hatte bereits ein sogenanntes Kritis-Dachgesetz im Kabinett verabschiedet. Zugegeben, Kritis-Dachgesetz klingt alles andere als heiß. Heiß könnte das Wortungetüm aber werden, wenn es zu einem Ausfall bei Betreibern kommt, die Teil der kritischen Infrastruktur sind.
Als Richtwert sind das alle Unternehmen, die bei einer Störung rund eine halbe Million Menschen im Mitleidenschaft ziehen. Im Kern sieht das Gesetz vor, dass Unternehmen sich Meldeketten und Pläne überlegen, dass sie Werkshöfe zum Beispiel mit Zäunen schützen, dass für den Fall der Fälle im Betrieb nicht Ratlosigkeit herrscht, sondern Tempo, um Stromversorgung, Abwasser, Transportwesen, Netze und Kommunikationskanäle fix wieder zum Laufen zu bringen. Und die unterschiedlichsten Behörden sollen endlich zusammenarbeiten und sich nicht im Zuständigkeitshickhack verlieren.
Faeser und Sicherheitspolitiker:innen der Grünen drängelten über Monate, Firmen und Verbände jammerten über den hohen bürokratischen Aufwand, über das ineffiziente Gesetz, das sowieso nichts bringen würde. Und so kam es, dass die für die Zustimmung im Bundestag benötigten Stimmen aus der Union nicht zustande kamen. Interessant ist, dass es dieselben Politiker:innen der CDU waren, die scharfe Kritik übten am Kritis-Gesetz und im selben Atemzug die Ampel rügten, nichts gegen Sabotageakte an Unterseekabeln zu tun, gegen Drohnen, die über Bundeswehreinrichtungen schwebten – oder Klimaaktivist:innen, die auf den Flughafen marschierten.
Wann das Gesetz im Bundestag zur Abstimmung steht, ist unklar. Man müsse sich erst mal sortieren, heißt es. Mehr Alarm als einen flächendeckenden Stromausfall in Europa kann es kaum geben. Immerhin steht das nächste Volksfest für Bevölkerungsschutz – am 12. Juli in Rostock.
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