Krise bei Weight Watchers: Idealgewicht ist der Mindestanspruch
Weight Watchers droht die Insolvenz. Auch, weil es leistungsbereiten Individuen mittlerweile um viel mehr als nur Abnehmen geht.
Mit dem System, das Lebensmittel in Punkte umrechnet, wurde Weight Watchers zum Welterfolg. Jetzt steht das Unternehmen vor einem Insolvenzantrag. WW, wie es heute heißt, passt einfach nicht mehr in die Zeit. Geringer sind die Anforderungen an alle, die einen Körper haben, sicher nicht geworden. Doch einfach nur Abnehmen als Ziel ist heute nicht mehr genug.
Im Jetzt geht es mindestens um Flexibilität, Selbstliebe, Hormonbalance, Rumpfkraft, Leistungsfähigkeit, Stressresilienz, ein verlängertes Leben! Und Gesundheit steht ganz oben in den Wertecharts. Auch die Jahre der Body Positivity, in denen es hieß, „Gewichtsabnahme ist nicht gleich Gesundheitssteigerung“, sind vorbei. Für das leistungsbereite Individuum ist „Weight Watching“ heute so normal, es braucht dafür kein Programm.
Dabei war das Weight-Watchers-Konzept mal am Puls der Zeit, in den 1960ern: Die New Yorker Unternehmerin Jean Nidetch klebte ein Label auf das Prinzip Selbsthilfegruppe und monetarisierte die Treffen. Daraus wurde das weltbekannte Abnehmprogramm. Zwar hat sich das Unternehmen fortlaufend modernisiert, bietet heute eine App an, Kochboxen und ein kryptisches Programm mit dem Namen GLP-1. Der Markenkern wurde aber beibehalten – ein System, das Lebensmittel in Punkte umrechnet.
Durch das Internet wissen wir heute, dass das Körpergewicht auch von Faktoren wie Hormonen, Schlafqualität, Einkommen, Stress, Medikamenten und sogar dem Wohnort beeinflusst sein können. Im Zeitalter der Fitness packen sich junge Männer ihre abgewogene Portion Hühnchen mit Reis in die Sporttasche und checken ihre Makros in der Ernährungsapp. Wer eine vegane Community sucht, die Yoga im Einklang mit den Mondphasen praktiziert, wird online fündig. Für Keto-Diät und Steinzeitsport gilt das Gleiche.
Die Wirksamkeit dieser Programme mal hintangestellt: Im Internet werden Produkte und Dienstleistungen auf einem nicht mehr nur segmentierten, sondern regelrecht granulierten Markt für Zielgruppen optimiert. Auf maximale Response getrimmte Fitness-Influencer*innen haben im Spannungsfeld zwischen Selbstoptimierung und Selbstakzeptanz richtig Asche gemacht.
Staubige Sprache und vergangene Glaubenssätze
WW hingegen spricht irgendeine Allgemeinheit an. Gesünder, fitter, schöner – solche Werbeversprechen sind da nur noch Mainstream und Mindestanspruch. Als Medienstar Oprah Winfrey vor rund 10 Jahren als Investorin bei WW einstieg, klang sie wie ein Werbeprospektchen: „Weight Watchers hat mir die notwendigen Werkzeuge für eine dauerhafte Lebensstiländerung an die Hand gegeben.“ Auch dieses „Wenn du es wirklich willst, dann kannst du es schaffen“ ist so ein Glaubenssatz der Vergangenheit.
Ist man doch einmal auf der WW-Homepage gelandet, bleiben viele Fragen offen. „Freu dich auf köstliche Mahlzeiten, die deine Pfunde purzeln lassen.“ Eine infantil-staubige Sprache trifft auf Angebote, die nicht intuitiv verständlich sind, die Preisstruktur ist kompliziert wie die Auswahl eines Handyvertrags. Was das GLP1-Programm ist, wird auch dort nicht klar.
Ein Vergleich: Der Bestseller zum Selbstoptimierungskonzept Boss Transformation des Rappers Kollegah gilt als Klassiker. Wer heute seine Verwandlung „vom Lauch zum Alpha“ starten will, geht auf die Website der Bosstranformation 3.0 und liest „Die Form deines Lebens in 12 Wochen“, darunter der Preis, 149 Euro, boom, fertig.
Welche Rolle spielt Ozempic?
Oprah Winfrey gibt an, dass sie immer noch nach dem Punktesystem isst. Aber selbst sie nutzte für die Bosstransformation medikamentöse Unterstützung: die Abnehmspritze Ozempic. Ein angeblich schwacher Wille spielt seit deren Markteintritt kaum noch eine Rolle, ein schlanker Körper ist nun mehr denn je eine Frage des Einkommens.
Was das kryptische „Weight Watchers GLP-1 Programm“ übrigens bedeutet: Es ist das Abnehmen mit Diabetesmedikamenten, nichts anderes als Ozempic also. Der verbreiteten Annahme, dass Abnehmspritzen verantwortlich für die Insolvenz von WW seien, dürfte das entgegenstehen. Vorausgesetzt, man findet heraus, was GLP-1 ist.
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