: Chronik eines politischen Mordes
In seiner Dokumentation „Das letzte Gefecht“ von 1985 beschreibt der Historiker Hannes Heer die Tötung des Aachener Bürgermeisters Franz Oppenhoff durch ein Killerkommando der Nazis in den letzten Kriegstagen
Von Wilfried Hippen
Die „Werwölfe“ wurden kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs vom Hitler-Regime als letzte Wunderwaffe gepriesen: Partisanen, die in den von den Alliierten „besetzten“ Teilen des Deutschen Reiches Terroraktionen durchführten. Diesen Mythos hatte Goebbels in einer seiner letzten Rundfunkansprachen in die Welt gesetzt. Er wurde damals von der NS-Propaganda verbreitet und in den folgenden Jahrzehnten als Nazi-Grusel in Romanen und Filmen weitergesponnen.
Weitgehend unbekannt ist dagegen, dass es tatsächlich mindestens eine militärisch sorgfältig geplante Aktion einer Gruppe von „Werwölfen“ gab, die am 25. 3. 1945 den Oberbürgermeister der ersten von der US-Armee befreiten Stadt Aachen ermordeten. Der Historiker und Filmemacher Hannes Heer drehte 1985 für das WDR-Fernsehen „Das letzte Gefecht“ über dieses Verbrechen. Der 60-minütige Dokumentarfilm wurde vor einigen Jahren in Aachen erstmals wieder öffentlich gezeigt und erlebte seitdem eine kleine Renaissance mit Aufführungen, unter anderem im Hamburger Abaton-Kino.
Der Film ist auch heute noch sehenswert, weil Hannes Heer, der in den 1990er Jahren die erste Wehrmachtsausstellung konzipierte, den historischen Stoff nicht als Filmemacher, sondern als Historiker akribisch recherchierte. So gelang es ihm, eine ganze Reihe von Zeitzeug*innen zu finden und zu befragen. Neben Menschen aus dem Umkreis des Opfers Franz Oppenhoff gehörten dazu auch vier von den Täter*innen, die in den 1950er Jahren vor Gericht gestellt wurden und mit sehr milden Verurteilungen davonkamen.
Nur einer von ihnen war damals bereit, sein Gesicht vor der Kamera zu zeigen. Die anderen wurden anonymisiert, von einem ist nur die Stimme zu hören. Einige Szenen ihrer Verhöre vor dem Prozess hat Hannes Heer mit Schauspieler*innen in Schwarz-Weiß nachgestellt. Außerdem hat er alle Originalschauplätze besucht und dort gedreht. Teilweise wirkt das heute so, als hätte der Filmemacher unbedingt die Früchte seiner Recherchen zeigen wollen. So gibt es eine Totale des „Zollhauses“, in dem die Attentätergruppe auf ihrer Anreise übernachtet hat, deren informativer oder ästhetischer Mehrwert eher gering ist.
Eine etwas längere Einstellung auf den Kellereingang, vor dem Franz Oppenhoff damals erschossen wurde, ist dagegen zwar betont kunstlos fotografiert und montiert, verleiht dem Ort aber gerade dadurch eine authentische, beklemmend düstere Aura. Auch in den Interviews bewahrt Heer stets die Distanz des Historikers, der an möglichst lebendigen Schilderungen interessiert ist. So erzählt einer, wie bei einer Offiziersschulung der absurde Plan entstand, kleine Bomben in Zuckerrüben zu verstecken, um sie den feindlichen Soldaten in die Küche zu schmuggeln.
Hannes Heer schildert ausführlich, wie der Plan der Attentäter*innen umgesetzt wurde. Diese sprangen zum Beispiel mit dem Fallschirm aus einem Militärflugzeug hinter der Front über Belgien ab, überquerten heimlich die Grenze und töteten einen belgischen Soldaten auf Wache. Und ebenso ausführlich lässt Heer seine Zeitzeugen von ihren Verhaftungen, Prozessen und milden Urteilen berichten. Den Mord selbst behandelt er dagegen nur kurz und eher beiläufig.
Insofern ist „Das letzte Gefecht“ auch stilistisch ein historisches Dokument. Denn so nüchtern und analytisch würde heute kein Fernsehsender mehr eine Dokumentation produzieren. Schon dass Heer nicht den Mord, sondern stattdessen zwar sehr informative, aber eben undramatische Verhörszenen nachstellt, würde heute am Widerstand von Redakteur*innen und Produzent*innen scheitern. Denn die Konventionen der Fernsehdokumentation ähneln inzwischen frappierend denen des Spielfilms. Da werden Spannungsbögen aufgebaut und dramaturgische Höhepunkte wie ein Mord oder die Verfolgung der Täter*innen möglichst reißerisch inszeniert. Doch Hannes Heer hat mit „Das letzte Gefecht“ keine True-Crime-Geschichte gedreht, sondern ein zeitgeschichtliches Lehrstück.
„Das letzte Gefecht“ wird heute um 17.30 Uhr in Kooperation mit der Heinrich Böll-Stiftung und dem Evangelischen Bildungswerk im Bremer Kino City 46 gezeigt. Hannes Heer wird dort selber seinen Film vorstellen
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