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Sondierung zwischen Union und SPDNicht zu Ende gedacht

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Das Sondierungspapier von Union und SPD beweist Kompromissbereitschaft. Bei vielen Fragen bleibt jedoch Luft nach oben – etwa bei der Finanzierung.

So weit, so kompromissbereit: Die Sondierungsgespräche zwischen der Union und der SPD sind abgeschlossen Foto: Hannes P. Albert/dpa

F ür Friedrich Merz wird das Ergebnis der Sondierungen reichen, zumindest erst einmal. Der Kanzler in spe steht auch intern unter Druck, weil er gleich zu Beginn der Gespräche mit der SPD zwei zentrale Wahlversprechen der Union spektakulär einkassiert hat: keine neuen Schulden und keine Reform der Schuldenbremse. Deshalb, so hieß es aus der Union, müsse er besonders bei Migration und beim Bürgergeld nun liefern. Das hat er. Das Sondierungspapier sieht deutliche Verschärfungen in beiden Bereichen vor, für die Betroffenen wird das massive Folgen haben.

Von dem, was Merz insbesondere in seinem Fünf-Punkte-Papier zur Migration großspurig als „nicht verhandelbar“ angekündigt hat, ist es allerdings weit entfernt. Seinen wichtigsten Punkt hat Merz vor allem rhetorisch gemacht: Die Zurückweisungen an der Grenze auch von Asylsuchenden stehen im Sondierungspapier. Dort steht aber auch, dass dies „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ geschehen soll. Weil die das bekanntermaßen nicht wollen, könnte das ganze Unterfangen ein Rohrkrepierer sein. Auch alle vollziehbar Ausreisepflichtigen sollen nun nicht mehr in Abschiebehaft gesteckt werden, wie Merz getönt hatte. Dies wird auf einzelne Gruppen wie Ge­fähr­de­r*in­nen beschränkt.

Allerdings heißt das nicht, dass die vorgesehenen Verschärfungen – von Einschränkungen beim Familiennachzug über das Ende freiwilliger Aufnahmeprogramme bis zur Abschaffung des sogenannten Amtsermittlungsgrundsatzes im Asylrecht – harmlos sind. Im Gegenteil. Aber sie werden nicht nur Widerspruch bei den Geg­ne­r*in­nen produzieren, sondern eben auch Enttäuschungen bei denen, die scharfe Einschnitte beim Asylrecht begrüßen. Und sie sind für die Scharf­ma­che­r*in­nen in und rechts von der Union eine Steilvorlage, um Merz weiter vor sich herzutreiben. Für die Befriedung der Gesellschaft ist das fatal. Wieder einmal hat der vermutlich künftige Kanzler die Dinge nicht bis zu Ende gedacht.

Grundsätzlich gut ist aber, dass Union und SPD es geschafft haben, sich zwei Wochen nach der Wahl auf ein Sondierungspapier zu einigen, in dem keine der beiden Seiten als Verliererin dasteht. Sie sind zu Kompromissen in der Lage. Das ist Grundlage für eine trag- und handlungsfähige Koalition, die das Land angesichts der Bedrohungen von außen und innen dringend braucht. Inhaltlich aber muss Schwarz-Rot bei den nun anstehenden Koalitionsverhandlungen dringend nachbessern.

Geschenke an die Klientel

Dass bei diesen Kompromissen Klimaschutz bestenfalls eine marginale Rolle spielt, bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. Es gibt ein allgemeines Bekenntnis zu den Klimazielen, mehr nicht. Stattdessen plant Schwarz-Rot kontraproduktive Maßnahmen wie die Erhöhung der Pendlerpauschale und die Wiedereinführung der Agrardiesel-Rückvergütung. Wie die „Vollendung der Mütterrente“ (Söder) und die Mehrwertsteuer-Ausnahmen für die Gastronomie sind das Geschenke an die eigene Klientel.

Geschenke, die zudem nicht gegenfinanziert sind. An größere Einsparungen oder Steuererhöhungen hat sich Schwarz-Rot bislang nicht herangetraut. So droht das so dringend nötige Infrastruktur-Sondervermögen zu einem Verschiebebahnhof zu werden. Schulden ohne die dringend notwendigen zusätzlichen Investitionen in die Infrastruktur wären ein massiver Fehler, den Preis dafür müssten die Jungen tragen. Sie könnten – auch mit Blick auf die Rente – zu weiteren Ver­lie­re­r*in­nen dieser Koalition werden.

Bislang sind das vor allem die Schwächsten der Gesellschaft: Geflüchtete und Bürgergeldempfänger*innen. Die Union wollte genau das sehr gezielt. Die SPD hat einiges verwässert, verhindert hat sie es nicht.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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5 Kommentare

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  • Na ja, Finanzierung - unsere kompetenten Volksvertreter werden ja wohl so clever sein und die durch das anfeuern der Rüstungsindustrie mit Milliarden Euro Aufträgen, eine zusätzliche Gewinnbeteiligung an den kommenden Gewinnen der Rüstungsindustrie auszuhandeln, um damit die dafür aufgenommen Schulden wieder zu tilgen.

  • Das Sondierungspaket von Union und SPD wird schon pulverisiert, bevor es überhaupt zur Abstimmung ins Parlament kommt.



    Hier: www.tagesschau.de/...nanzpaket-100.html



    Und hier: www.tagesschau.de/...chaerfung-100.html



    Mit solchen Schnellschüssen wird das also nichts … die Koalitionäre müssen ihre Hausaufgaben noch gründlicher machen und sich dabei vor allem die nötige Zeit lassen.



    Vielleicht sollte man dabei doch noch auf die Linke zugehen?

  • Diese Sondervermögen sind totaler Quatsch!

    Es sollten alle notwendigen Ausgaben im Bundeshaushalt dargestellt werden, die Schuldenbremse ist abzuschaffen.

    Das bedeutet nicht, das nicht alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden müssen.

    Es bleibt zu hoffen, das der Ukrainekrieg bald endet.

    Die Rüstungsausgaben sollte europäisch koordiniert auf das notwendigste beschränkt werden, unter Einbeziehung der französischen und britischen Atomwaffen als Abschreckung.

    Der Mindestlohn sollte an die Mietpreise pro m2 gekoppelt werden. Wenn man davon ausgeht, das ein alleinstehender Arbeiter mit Mindestlohn sich eine 50m2 Wohnung leisten können soll und ein Neubau 18 Euro Kaltmiete pro m2 kostet, dann müßte der Mindestlohn 36 Euro/h betragen, oder man schafft es einen einfachen Neubau für 10 Euro Kaltmiete pro m2 zu bauen, dann müßte der Mindestlohn 20 Euro/h betragen, also jeweils Faktor 2.

  • Es gab mal eine Zeit, da haben sich die damaligen Eltern sehr angestrengt, damit es ihren Kindern einmal (materiell) besser geht. Vlt war das ein Fehler. Denn es sind es eben jene Kinder, die als heutige Erwachsene so einiges dafür tun, damit es ihren Kindern in Zukunft einmal schlechter gehen wird..

    Das jedenfalls spiegelt sich in den Plänen der Koalition in spe.

    Massnahmen wie der Ausbau der Pendlerpauschale, Steuergeschenke für Reiche (die ihren Lebensstil damit nachweislich noch Klimaschädlicher als ohnehin schon gestalten werden), etc. sind in Summe vor allem dazu geeignet die Lebensgrundlagen junger Menschen weiter zu zerstören..wobei eben junge Menschen, dann auch noch die damit einher gehende Schuldenlast zu tragen haben..(wie nennt man sowas nochmal..??).

    Ansonsten: strukturelle Probleme werden nicht adressiert und ebenfalls in die Zukunft verschoben, Arme Menschen werden drangsaliert..(darf es auch wieder ein bißchen mehr Obrigkeitsstaat sein.?).

    Auch das nennt man dann wohl auch Klientelpolitik, diesmal dann zu Gunsten der über 60 Jährigen.







    Also..auf in Vergangenheit, denn da war ja bekanntlich sowieso alles besser..

  • 》So droht das so dringend nötige Infrastruktur-Sondervermögen zu einem Verschiebebahnhof zu werden.Schulden ohne die dringend notwendigen zusätzlichen Investitionen in die Infrastrukturwären ein massiver Fehler《



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    Und gerade die Grünen sollten hierfür keinen Blankoscheck ausstellen: ist das GG an diesem Punkt erstmal geändert, reichen wieder einfache Mehrheiten, um über die Verwendung der Mittel zu entscheiden. Und wie sich GEZEIGT hat, ist Merz auch bereit, Mehrheiten notfalls mit der AfD herzustellen.



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    Die Schuldenbremse nur für Militärausgaben auszusetzen, ist auch keine echte Reform - die sich aber im neuen Bundestag mit eine demokratischen Mehrheit und konkreten Vereinbarungen mit Linken und Grünen sorgfältig verhandeln ließe.



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    Vielleicht sollten sich die Grünen auf ihre Tradition als Friedenspartei doch wenigstens soweit besinnen, dass sie einem Kanzler Merz (und seinen möglichen Verbündeten wenn die SPD nicht spurt ("Land auf Vordermann bringen" ist ja schon angesagt)) nicht carte blanche geben, die Kontrolle von Rüstungsausgaben und -zwecken nicht völlig aus der Hand.