: Geldregen zum Merz-Anfang
Union und SPD wollen im alten Bundestag Hunderte Milliarden locker machen, brauchen dafür aber noch die Grünen4–5
Endlich! Nach Jahren des Kaputtsparens, in denen das Vertrauen in den Staat sank und das Einzige, das wuchs, die Zustimmung für die AfD war, soll investiert werden. Nur zehn Tage sind die Wahlen her, schon haben sich Union und SPD auf eine neue Finanzpolitik geeinigt. Die Schuldenbremse soll für Verteidigungsausgaben weitgehend ausgesetzt werden. Für Investitionen in die Infrastruktur soll ein Sondervermögen her. Aber so richtig das Ziel ist: Die Vorschläge sind der falsche Weg.
Friedrich Merz und die Union haben im Wahlkampf so getan, als könnte man auf magische Weise ohne Schulden neues Wachstum entfachen. Nur ein paar Arbeitslose und Geflüchtete sollten dafür bluten. Man sollte die Union damit nicht davonkommen lassen. Vor allem, weil sie nun mit dem Wahlergebnis unzufrieden ist und ihre Pläne mit der Mehrheit des alten Bundestags beschließen will. Das allerdings hätte sie längst tun können. Die Union hat sich dagegen entschieden, aus Parteitaktik, die Rückkehr ins Kanzleramt war wichtiger. Nun hat das Volk einen neuen Bundestag gewählt. Und es ist nicht zu vermitteln, warum Abgeordnete, die vor dem russischen Großangriff 2022 gewählt wurden, jetzt diese Entscheidung treffen sollen.
Zudem sind die Pläne nicht nur undemokratisch, sondern falsch. Warum sollen allein die Verteidigungsausgaben dauerhaft von der Schuldenbremse befreit werden? Das Sondervermögen Infrastruktur dagegen bleibt zeitlich begrenzt. Dabei sind Klimakrise und die rechtsextreme Bedrohung genauso Gefahren wie der Ukrainekrieg.
Es gäbe eine demokratische Alternative: Statt immer neue Ausnahmen zu beschließen, sollte der neue Bundestag die Schuldenbremse abschaffen. Dafür gäbe es eine Mehrheit, die Linke stünde bereit. Danach könnte die künftige Koalition mit einfacher Mehrheit Investitionen beschließen – auch für Verteidigung.
Nun kommt es auf die Grünen an. Die Union hat sie jahrelang verunglimpft als Leute, die keine Ahnung von „der Wirtschaft“ hätten, mit denen man nie koalieren dürfe. Nur um nach der Wahl ihre Forderungen teils zu kopieren und die Partei zur Zustimmung zu nötigen. Auch wenn die Grünen gern ihre andere Wange hinhalten, müssen sie sich nicht alles gefallen lassen. Sie könnten jetzt eine echte Reform der Schuldenbremse erzwingen. Seit der Wahl wissen sie, was es bringt, das vermeintlich überparteiliche Staatswohl immer über die eigenen Überzeugungen zu stellen. Ob sie in der Opposition schlauer sind? Kersten Augustin
Man kann viel an dem schwarz-roten Finanzdeal falsch, schräg, widersprüchlich finden. CDU-Chef Friedrich Merz verrät sehr viel von dem, was er im Wahlkampf versprochen hatte. Diese Entscheidung wird die nächsten zehn Jahre prägen. Sie aus Not mit dem alten Bundestag durchzusetzen, ist für die Demokratie ein dreckiger Deal.
Aber das ist nicht das Wesentliche. Das Bild ist größer. Dass es die Nato weiterhin gibt, ist fraglich. Die Ukraine braucht mehr Unterstützung. Europa muss sich aus der vielfachen Sicherheitsabhängigkeit von den USA lösen. Für diesen Prozess gibt es keine Blaupause. Sicher ist, dass er teuer wird und nur mit Schulden finanzierbar ist.
Ohne diesen Deal würde die Union-SPD-Regierung in einem weltpolitisch doch recht ungünstigen Moment höchstwahrscheinlich scheitern. Oder sie würde zu einer Art Ampel 2 werden und an unlösbarem Dauerzoff um Geld verenden. Es gibt in der Union Figuren wie Jens Spahn, die maliziös lächelnd mit der schwarz-blauen Alternative zur Regierung mit der SPD liebäugeln. Die Merz-Union aber scheint doch gefeit gegen die Idee zu sein, ein neues transatlantisches Bündnis à la J. D. Vance einzugehen – als Mixtur von Unterwerfung unter Trump und antidemokratischem Rechtspopulismus.
Merz streift mit diesem Move das Kostüm des antilinken Kulturkämpfers aus dem Wahlkampf ab. Der Kanzler in spe folgt vielmehr zwei erprobten ungeschriebenen Gesetzen der pragmatischen bundesdeutschen Kompromisskultur. Erstens: In schwarz-roten Koalitionen darf die Union regieren, aber das Programm schreibt die SPD. Das Copyright auf die 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur hat die SPD. Sie sind nötig, um die marode Infrastruktur zu retten. Und es ist eine Wachstumsinitiative im Geist des Keynesianismus.
Und: Merz ist ein Schüler von Konrad Adenauer. Der soll mal präzise das Grundgesetz christdemokratischer Politikauffassung so zusammengefasst haben: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Nur mit dieser postideologischen Flexibilität lässt sich die Schuldenbremse, ein überflüssiger Klotz am Bein demokratischer Politik, beseitigen. Die Grünen werden dem zustimmen, nicht aus Opportunismus, sondern weil viel von dem, was Merz jetzt vertritt, wie Zitate aus dem Wahlkampf von Robert Habeck klingt.
Donald Trump befreit die Union aus dem selbst gebauten Gefängnis ihrer Schuldenbremsedoktrin. Das ist, in einer an Seltsamkeiten nicht armen Lage, wirklich bizarr. Stefan Reinecke
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