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„Brennpunkt heißt Realtalk und Humor“

Der Pädagoge und Podcaster Burak Yılmaz spricht seit vielen Jahren mit jungen Menschen aus ganz Deutschlandüber ihre Diskriminierungserfahrungen. Seit dem7. Oktober beschäftigen sie noch mehr Fragen als sonst. Ein Gespräch über Frust, Mut und Augenhöhe

Burak Yılmaz vor einem Mietshaus in Marxloh. Hier spielen Jugendliche aus dem Jugendclub im Sommer Fußball

Von Adefunmi Olanigan (Gespräch) und Lukas Zander (Foto)

Vom Duisburger Hauptbahnhof führt der Weg nach Marxloh in den Norden, vorbei an den riesigen Anlagen der Stahl­in­du­strie, ein wichtiger Arbeitgeber für den Stadtteil. In den 50ern zogen viele sogenannte Gastarbeiter wegen der Jobs hierher, heute stecken die Stahlunternehmen in der Krise.

An diesem Donnerstagmittag ist wenig los auf der Hauptstraße von Marxloh. Spitzenbesetzte Kleider zieren die Schaufenster der Brautmodengeschäfte, daneben Juweliere, Friseurgeschäfte, türkische Bäckereien. Der Pädagoge und Podcaster Burak Yılmaz hat seine Kindheit zwischen Marxloh und Obermarxloh verbracht. Als Erwachsener hat er viel mit Jugendlichen aus der Gegend gearbeitet. Wir treffen uns zu einem Spaziergang durch das Viertel.

taz: Herr Yılmaz, wenn Sie Marxloh in drei Worten beschreiben müssten, welche wären das?

Burak Yılmaz: Kämpferisch, kreativ und solidarisch.

taz: Warum diese drei?

Yılmaz: Kämpferisch, weil die Leute nicht aufgeben. Das Leben hier ist eine Dauerkrise. Es fängt an mit einer Kindheit in Armut, geht weiter mit einer Jugend in Armut und mit nur wenigen Jobmöglichkeiten für Erwachsene. Es fehlt für den Duisburger Norden eine Vision, die kann nicht mehr Stahl sein. Du musst hier sehr aufmerksam durchs Leben laufen. Die Menschen suchen die Lücken im System, sie wollen trotz der Schwierigkeiten etwas aufbauen. Deshalb hat Duisburg eine der größten migrantischen Selbstständigenquoten in ganz Deutschland. Und die Nachbarschaft ist hier ziemlich geil. Sitzt einer in der Patsche, dann gibt es ein Netzwerk, das einen auffängt.

Burak Yılmaz bleibt an einer großen Kreuzung stehen, Weseler Straße Ecke Kaiser-Wilhelm-Straße.

Yılmaz: Hier gab es in den 90ern viele Demos. Aber auch heute ist in Marxloh immer was los. Wenn politisch auf der Welt etwas passiert – ob im Libanon, in Gaza oder in Rojava –, siehst du immer wieder Graffiti und politische Kommentare an den Wänden. Marxloh ist ein sehr politischer Stadtteil, das hat mir schon immer gefallen. Du hast hier nicht den Luxus, unpolitisch aufzuwachsen.

taz: Was ist in Marxloh anders?

Yılmaz: Wir können Menschen lesen. Die Leute hier sind sehr direkt. Durch ihre Herkunft haben die Menschen Mehrfachzugänge. Sie beobachten nicht nur die Politik in Deutschland, sondern auch alles, was dort passiert, wo sie Familie haben. Es kommen viele Perspektiven zusammen. Ich bin in Obermarxloh aufgewachsen, allein in unserer Nachbarschaft gab es polnische, kroatische, albanische und marokkanische Familien.

taz: In Medienberichten wird Marxloh oft als Brennpunkt beschrieben. So heißt auch der Podcast, den Sie mit herausgeben. Was bedeutet „Brennpunkt“ für Sie?

Yılmaz: „Brennpunkt“ heißt Realtalk und Humor. Wir machen uns über die lustig, die uns in Geschichten pressen, die nicht unsere sind. „Brennpunkt“ heißt, an die Kämpfe unserer Eltern und Großeltern zu erinnern. „Brennpunkt“ heißt auch stabile Almans, die solidarisch sind. Du lernst von Kindheit an verschiedene kulturelle Codes kennen und Widersprüche auszuhalten. Konflikte schweigen wir nicht weg. Wir gehen volle Kanone rein. Emotional, leidenschaftlich, aufmerksam, selbstkritisch. Stolz auf seine Hood sein und über sich selbst lachen können – das bedeutet für mich „Brennpunkt“.

Wir kommen zu einem weißen Bungalow. Über der Tür steht „Kiebitz“. In dem Jugend- und Kulturzentrum hat Burak Yılmaz bis vor Kurzem als Theaterpädagoge gearbeitet. Er selbst war als Jugendlicher auch in Jugendzentren, dort war er unter anderem in einer Tanzgruppe, sie haben Folklore und Breakdance gemischt.

Yılmaz: Bis Dezember habe ich hier noch eine Theatergruppe betreut, aber ob es mit ihr weitergeht, steht in den Sternen. Wir haben noch keine neue Förderung.

taz: Was haben Sie mit den Jugendlichen gemacht?

Yılmaz: Wir haben über alle Fragen gesprochen, die sie bewegen. Zum Beispiel: Wie kann ich schnell einen Mercedes Maybach klarmachen, wie kann ich Schauspielerin werden oder wie kann ich meine Familie versorgen? Was sie aber vor allem beschäftigt hat, waren der Krieg in Gaza und im Libanon, viele haben Familie dort, sie haben um das Leben ihrer Angehörigen gebangt. Da eine emotionale Stütze zu sein, war die halbe Arbeit neben dem Theaterspielen.

taz: Der 7. Oktober, der Gazakrieg und die deutsche Debatte darüber haben für die Jugendlichen viel verändert?

Yılmaz: Extrem viel. Wir haben in der Theatergruppe zwölf Kids, auch sie sind Teil der Gesellschaft. Es kann doch nicht wahr sein, dass ihre Perspektive und ihre Fragen in den Medien und den Talkshows nicht wirklich verhandelt werden. Wir haben das Thema komplett den Leuten überlassen, die bei Tiktok einfache Lösungen propagieren und auch islamistische und antisemitische Narrative verbreiten. Die Politik hat versagt, die Medien haben versagt und die Schulen haben versagt. Viele Jugendliche haben sich ganz von deutschen Medien abgekehrt. Wir haben sie verloren. Das beschäftigt mich sehr.

taz: Was für Fragen haben die Jugendlichen?

Yılmaz: Wenn ich mich für Palästina ausspreche, werde ich dann abgeschoben? Was ist eigentlich Antisemitismus und woher kommt das? Wie soll es mit Gaza weitergehen? Aber auch: Wie kann ich über das Leid, das meiner Familie angetan wird, in Deutschland reden? Viele haben nicht verstanden, warum Deutschland so solidarisch mit Israel ist und nicht mit den Palästinensern. Haben die was per se gegen die, haben sie sich gefragt.

taz: Inwiefern haben die Schulen versagt?

Yılmaz: Einer aus der Theatergruppe hat zum Beispiel in der Klasse von seiner Familie in Gaza erzählt. Die Lehrerin meinte dann aber, dafür sei kein Raum, sie würden jetzt über den 7. Oktober sprechen. Das ist ja auch in Ordnung, aber du kannst nicht die Trauer eines Schülers komplett wegsperren.

taz: Sie sind auch selbst öfter an Schulen und halten Vorträge zu Antisemitismus und Rassismus. Wie kam es dazu?

Yılmaz: 2009 gab es in Duisburg eine Palästinademo, die von den Grauen Wölfen organisiert war und komplett eskaliert ist. Danach hatte ich Jugendliche im Jugendclub, die muslimisch waren und sich antisemitisch verhalten und geäußert haben. Ich sagte zu meinen Leuten, wir müssen da rangehen innerhalb der Community. Ich wollte auf der einen Seite Raum schaffen für die Rassismuserfahrung der Jugendlichen, aber gleichzeitig auch dagegenhalten, wenn die sich antisemitisch verhalten oder äußern. Daraus entwickelte sich meine Bildungsarbeit.

taz: Und was haben Sie nach dem 7. Oktober an den Schulen erlebt?

Yılmaz: Ich hatte einen Schulbesuch, da haben Lehrkräfte nur die muslimischen Schülerinnen und Schüler zu meinem Vortrag verdonnert. So nach dem Motto: Jetzt kommt mal einer von euch und erzählt euch, wie das in Deutschland läuft. Oder an einer anderen Schule: Eine Woche zuvor war ein CDU-Politiker da, der hat nur importierten Antisemitismus problematisiert und erzählt, wie toll Deutschland den eigenen Antisemitismus aufgearbeitet hat. Die Schüler und Schülerinnen haben ihm widersprochen, dafür wurden sie gemaßregelt. So eine repressive, autoritäre Art funktioniert nicht. Und ich sag mal: Dass Deutsche – und ich bin selbst deutsch – denken, sie seien das beste Vorbild für den Umgang mit Antisemitismus, das ist ein großer Witz. Diese Überlegenheit – ohne einmal die eigene Familiengeschichte aufgearbeitet zu haben –, wie unsympathisch kann man sein?

taz: Dass der Nahostkonflikt an Schulen wenig Raum hat, liegt sicherlich auch an der Sorge vor einer Eskalation.

Yılmaz: Ich habe seit dem 7. Oktober über 170 Schulen besucht, und nie ist es irgendwie eskaliert. Natürlich sind die Jugendlichen emotional, die sind 14 und 15, die politisieren sich in dem Alter. Aber dann darf ich als Erwachsener nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen, sondern muss mir Methoden aneignen, um zu deeskalieren.

taz: Wie zum Beispiel?

Yılmaz: Bei meinem Vortrag gebe ich den Schülern die Möglichkeit, über ihre Gefühle in Bezug auf Palästina zu sprechen. Und gleichzeitig versuche ich, sie auch immer zu einem Perspektivwechsel zu bewegen. Ich frage, wie sie wohl glauben, dass es der jüdischen Community gerade in Deutschland geht. Da kommt dann auch viel Empathie. „Muss voll heftig sein“, war eine Antwort. Und wir reden über rassistische und antisemitische Momente in der eigenen Familie und im Freundeskreis. Es geht darum, positive Visionen zu entwickeln, gerade jetzt, wo viele Leute Bock auf Apokalypse haben, und vor allem darum, die Jugendlichen ernst zu nehmen.

taz: Zusammengefasst – ein Gespräch auf Augenhöhe.

Yılmaz: Wenn sie sich gesehen und gehört fühlen, dann checken die, der will mich nicht verändern. Sie lassen sich viel mehr darauf ein. Ich kenne das ja selbst von früher. Wenn ein Lehrer mich verändern wollte, habe ich aus Trotz provoziert. Mir war früh klar, dass ich das anders machen will.

taz: Was für Erfahrungen hatten Sie mit Lehrer*innen?

Yılmaz: Ich gehöre zu dieser 9/11-Generation, beim Anschlag auf das World Trade Center war ich 14. Damals wurden meine Freunde und ich, egal auf welcher Schule wir waren, im Klassenzimmer dafür verantwortlich gemacht, wenn irgendwelche Terroranschläge passiert sind. Ich habe mich immer gefragt: Was habe ich damit zu tun?

taz: Das ging manchen Jugendlichen nach dem 7. Oktober sicherlich ähnlich.

Yılmaz: Für mich war das voll der Flashback, gerade an den Schulen sah ich genau dieselben Mechanismen. Ich war damals einer von zweien aus dem Stadtteil am Gymnasium, das war ein katholisches Elitegymnasium. Ein Lehrer hat mich gefragt, warum den Kindern in muslimischen Familien immer so radikale Sachen beigebracht werden. Ich habe erzählt, dass ich schon mit vier Jahren Messerweitwurf gelernt habe. Und, Alter, der hat das geglaubt. Ich habe mir dann zum Hobby gemacht, den Unterricht zu stören. Ich dachte mir: Wenn Leute uns als Stück Scheiße betrachten, dann bewerfen wir sie mit diesem Stück Scheiße. Es ist egal. Selbst wenn wir uns artig und wie die größten Schnösel benehmen, die Vorurteile bleiben.

taz: Was hätten Sie sich von Ihren Leh­re­r*in­nen gewünscht?

Yılmaz: Dass sie mich verstehen. Ich hatte eine Lehrerin, die war super. Die hat mir eine geile Frage gestellt, so ein paar Monate nach 9/11. Sie fragte: Was machen diese Debatten eigentlich mit dir? Ich war richtig gerührt, ich habe fast geheult. Sie hat mit mir keine Korandebatte geführt. Sie hat gespürt: Bei dem ist was los.

taz: Was ging in Ihnen vor in dieser Zeit?

Yılmaz: Ich war einsam und emotional überfordert. Die Gesellschaft hatte sich voll gegen einen gerichtet. Aus Frust habe ich Chips und Cola in mich reingestopft. Meine Eltern hatten beide Schichtarbeit. Die ersten Propagandavideos von al-Qaida waren im Netz, die haben uns gefesselt. Ich habe gemerkt, wie sich Menschen in meinem Umfeld radikalisierten. Ein Teil meines Freundeskreises wollte dann ihr Glück bei einer türkisch-islamistischen Sekte finden. Wenn ich heute Jugendlichen erzähle, wie ich da rausgekommen bin, hilft das auch ihnen.

taz: Und, wie sind Sie da rausgekommen?

Yılmaz: Ich habe früh begriffen, dass das nichts für mich ist. Und zum Glück hatten auch meine Eltern ein Auge drauf. Dass die das überhaupt neben der Schichtarbeit konnten, finde ich schon krass. Mein Vater war Werkstoffprüfer, meine Mutter Krankenschwester. Mein Vater, der hier in einem Fußballverein auch Trainer war, hat mich motiviert, mich gesellschaftlich zu engagieren. Ich habe als Schiedsrichter angefangen, das Training und die Spiele haben mir Struktur gegeben. Ich habe den Freundeskreis verkleinert und nicht mehr mit allen abgehangen. Und die Gespräche mit meinen Eltern waren krass. Weil die sich geöffnet haben und davon erzählten, wie schwer ihr Weg als türkisch-kurdisches Paar war.

Burak Yılmaz

Der Pädagoge

Yılmaz wurde 1987 als Sohn türkisch-kurdischer Eltern in Duisburg geboren. Seit 2008 arbeitet er in Jugendzentren, angefangen hat er während seines Lehramtsstudiums.

Der Autor und Podcaster

2021 erschien sein Buch „Ehren­sache: Kämpfen gegen Judenhass“. Yılmaz berät die Bundesregierung zum Thema Antisemitismus und bekam für seine Arbeit das Bundesverdienstkreuz verliehen. Zusammen mit Malte Küppers und Abdul Kader Chahin spricht er wöchentlich im Podcast „Brennpunkt“.

taz: Ihr Vater ist Türke, Ihre Mutter Kurdin.

Yılmaz: Sie mussten mit ihrer eigenen Familie kämpfen, nur um mit jemandem zusammen zu sein. Das war für mich voll die Inspiration.

Da es eisig ist, geht es in eine türkische Bäckerei. Zum Aufwärmen gibt es Linsen- und Rinderzungensuppe.

Yılmaz: Richtige türkische Hausmannskost.

taz: Wie war es, mit einem kurdischen und einem türkischen Familienhintergrund aufzuwachsen?

Yılmaz: Krass. Zum Beispiel spielt im türkischen Teil meiner Familie Militär eine große Rolle. Ich erinnere mich, dass ich bei einem türkischen Verwandten im Wohnzimmer saß, an der Wand hing das Bild von einem Offizier. Er erzählte mir, was für ein Kriegsheld das war. Am selben Tag war ich bei meiner kurdischen Familie und erzählte ihnen stolz, wie toll dieser Offizier ist. Da nahm mich mein Onkel zur Seite und sagte mir, der Typ sei gar kein Held, sondern ein Verbrecher, er habe unsere Leute abgeschlachtet. Es hat mich sehr geprägt, dass eine geteilte Wahrheit fehlte.

taz: Haben Sie wegen der kurdischen Herkunft Feindseligkeiten erlebt?

Yılmaz: Dass wir auch Kurden sind, habe ich erst begriffen, als 1998 Abdullah Öcalan festgenommen wurde, der Gründer der PKK. Hier im Stadtteil gab es Straßenschlachten zwischen Türken und Kurden, meine Eltern haben mir damals verboten rauszugehen. Die anderen Kinder haben gefragt: Bist du Türke oder Kurde?

taz: Was haben Sie geantwortet?

Yılmaz: Dem ersten habe ich noch erzählt, dass meine Mama aus einer kurdischen Familie kommt. Er hat mich als Hurensohn beschimpft und mir Gewalt angedroht. Die waren halt auch von ihren Eltern vollgepumpt. Danach habe ich immer stark abgewogen, wem ich das erzähle.

taz: Heute sprechen Sie sehr offen darüber.

Yılmaz: Ich habe eine Sprache gefunden für das, was ich erlebe. Ich habe begriffen, dass das Schweigen auch internalisierter Rassismus ist. Offen und ohne Scham zu sagen: Ja, ich bin Kurde, das war total befreiend.

taz: Sie bezeichnen sich auch als „migrantischen Alman“. Wie fühlt es sich als solcher gerade an in Deutschland?

Yılmaz: Angespannt. Nach wenig Schlaf. Kopfschmerzen. Und sehr distanziert.

„Die Politik hat versagt, die Medien haben versagt und die Schulen haben versagt. Viele Jugendliche haben sich ganz von deutschen Medien abgekehrt. Wir haben sie verloren. Das beschäftigt mich sehr“

taz: Es gibt einen gesellschaftlichen Rechtsruck. Im Wahlkampf ging es ständig um Migration, und die allermeisten Parteien forderten einen schärferen Kurs.

Yılmaz: Die deutsche Politik hat sich radikalisiert. Wenn wirklich jedes Problem zu einem Migrationsproblem gemacht wird, dann sind rechtsextreme Gedanken schon so sehr zum Mainstream geworden, dass es den Leuten und den demokratischen Parteien nicht mal auffällt.

taz: Was löst das bei Mi­gran­t*in­nen aus?

Yılmaz: Trauer, Wut, Verzweiflung. Man muss echt aufpassen, dass der Hass, der einem begegnet, nicht den Weg ins eigene Herz findet und sich dort ausbreitet. Erst recht, wenn Menschen, zum Beispiel auch salafistische Prediger, das auszunutzen und den Hass zu verstärken versuchen, um ihre Ideologien als einfache Antworten zu verkaufen. Ich lese oft: „Wann kommt der Migrantenstreik?“ Sorry, aber die Almans sollen streiken. Ich will bezahlten Urlaub für Migranten. Wir kommen dann wieder zurück, wenn hier alles in Ordnung ist. Aber Spaß beiseite: Auch diese Krise werden wir überleben. Wir sind stark und gehören hierhin, uns wird keiner abschieben, dieses Land gehört auch uns.

taz: Sie haben noch im November gesagt: Sie wollen keinen Wahlkampf, bei dem Tag für Tag die Sicherheit und Existenz migrantischer Deutscher verhandelt wird. Haben wir genau das erlebt?

Yılmaz: Ja, das war der rassistischste Wahlkampf, den ich je erlebt habe. Nicht nur die AfD. In Bezug auf Sicherheit bedeutet das für mich, dass wir mit härteren Zeiten rechnen müssen. Womöglich brauchen wir auch eine Form von Selbstorganisation.

taz: Was meinen Sie?

Yılmaz: Zuletzt habe ich mit einem Kumpel geguckt, wie die Leute aus Duisburg abgehauen sind, als die Nationalsozialisten an der Macht waren. Sie nahmen die Route über Venlo in die Niederlande. Die Strecken haben wir ausgedruckt, vielleicht brauchen wir die noch. Das war zwar nicht ganz ernst gemeint, aber es ist ein Szenario, mit dem ich mich auseinandersetze. Bei der Bundestagswahl 2017 wurde die AfD noch belächelt, jetzt ist sie zweitstärkste Kraft. Was ist bei der nächsten Bundestagswahl? Wird Höcke dann Kanzler? Ich will alle Szenarien durchspielen, aber gleichzeitig Hoffnung bewahren.

taz: Was gibt Ihnen momentan Hoffnung?

Yılmaz: Letztens saß ich im Bus. Da kam eine schwarze Frau mit ihren Kindern in den Bus, ein paar Haltestellen später ein älterer Mann, so Mitte fünfzig, der die rassistisch beleidigt hat. Die Busfahrerin hat mitten auf der Hauptstraße gehalten und ihn rausgeschmissen. Ich glaube immer noch, die Mehrheit in diesem Land möchte Demokratie, möchte Menschenrechte und kämpft auch dafür. Jetzt müssen alle aktiv werden, keiner kann sich noch zurücklehnen.

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