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„Parteien sollten rationaler über Migration sprechen“

Die AfD holt bei der Bürgerschaftswahl nur 7 Prozent. Geht es den Ham­bur­ge­r:in­nen zu gut, um AfD zu wählen? Vielleicht, sagt Politikwissenschaftler Christian Martin. Auch der Bund kann Lehren aus dem Wahlkampf ziehen

In Hamburg laufen die Dinge relativ gut: Zehntausende demonstrieren im Februar in Hamburg gegen die Migrationspolitik der CDU Foto: Marcus Golejewski/dpa

Interview Amira Klute

taz: Herr Martin, bei der Bundestagswahl holte die AfD in Hamburg 11 Prozent. Bei der Bürgerschaftswahl eine Woche später nur 7 Prozent. Hat Sie das überrascht?

Christian Martin: Ja. Die Umfragen im Vorfeld hatten die AfD in Hamburg bei 10 Prozent gesehen. Das wäre zwar deutlich weniger gewesen als in Flächenländern, aber ein klarer Zugewinn im Vergleich zu den 5,3 Prozent der letzten Bürgerschaftswahl. Insofern hat mich das überrascht. Ich bin natürlich nicht traurig darüber, das ist kein Geheimnis.

taz: Woran liegt es, dass die AfD in Hamburg so schwach ist?

Martin: Es gibt hier eine Reihe von Faktoren, die mit einem geringeren Zuspruch zur AfD zusammenhängen: Hamburg hat ein hohes Durchschnittseinkommen, eine geringe Arbeitslosigkeit, ein hohes Bildungsniveau und ist eine urbane Großstadt.

taz: Laut Glücksatlas der Uni Freiburg sind die Menschen in Hamburg die glücklichsten in Deutschland. Geht es den Ham­bur­ge­r:in­nen zu gut, um AfD zu wählen?

Martin:Ich bin bei diesen Glücksatlanten ein bisschen vorsichtig, weil ich mich frage, ob man Glück überhaupt messen kann. Aber nehmen wir das mal so an. Dann würde ich sagen: Ich glaube, dass die Menschen in Hamburg weniger den populistischen Versprechen anheimfallen, weil sie sehen, dass vernünftige Politik Erfolg haben kann. Wenn sich das in Glück übersetzt, umso besser.

taz: Was meinen Sie mit vernünftiger Politik?

Martin:Politik, die Ergebnisse liefert. Es lebt sich ja nicht schlecht in Hamburg. Es lebt sich zwar nicht überall gleich gut für alle – zum Beispiel gibt es enorme Unterschiede zwischen den Stadtteilen, zwischen Billstedt und Nienstedten ist es sehr weit. Trotzdem gibt es für viele Menschen die Möglichkeit, ein gelungenes Leben zu führen. Hamburg ist relativ sicher, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Lebensqualität im Sinne des öffentlichen Raums, der zur Verfügung steht, ist hoch. Die Dinge laufen relativ gut in Hamburg.

taz: Das deckt sich auch mit Studien, die zeigen: Je besser die öffentliche Verwaltung funktioniert, desto schwerer haben es rechtsextreme Parteien. Wer sind die Hamburger:innen, die trotzdem AfD gewählt haben?

Martin: Es gibt zum Ergebnis der Bürgerschaftswahl bisher nur erste Zahlen, keine tiefer gehende Auswertung. Aber es fällt auf, dass die AfD dort besonders schwach ist, wo das linksalternative Bildungsbürgertum wohnt, wie in Ottensen. Demgegenüber ist die AfD in ärmeren und weniger dicht besiedelten Gebieten stärker, wie zum Beispiel in Neuallermöhe.

taz: Dort ist die AfD bei der Bundestagswahl stärkste Kraft geworden. Bei der Bürgerschaftswahl kam sie aber nur auf Platz zwei hinter der SPD. Auch sonst ist die AfD in keinem Hamburger Stadtteil stärkste Kraft geworden. Wie kommt es, dass die AfD bei der Bürgerschaftswahl viel weniger Stimmen geholt hat als bei der Bundestagswahl?

Martin: Im Bundestagswahlkampf konnte die AfD viele Nicht­wäh­le­r:in­nen mobilisieren. Es kamen 1,8 Millionen Stimmen aus dieser Gruppe. Außerdem wanderten 1,1 Millionen von der CDU zur AfD. Dieser Mobilisierungserfolg der AfD war bei der Hamburg-Wahl deutlich weniger stark.

taz: Aber die Wahlbeteiligung war bei dieser Hamburg-Wahl mit 68 Prozent höher als bei der letzten Wahl 2020.

Martin: Das stimmt, trotzdem ist davon auszugehen, dass die AfD deutlich weniger Nicht­wäh­le­r:in­nen mobilisieren konnte als bei der Bundestagswahl.

taz: Anders als im Bund sind in Hamburg kaum Wäh­le­r:in­nen von der CDU zur AfD gewandert. Hat die Hamburger CDU etwas richtig gemacht?

Martin:Im Bund ist die CDU mit Friedrich Merz beim Thema Migration „all in“ gegangen. Im Hamburger Wahlkampf hat das Thema dagegen kaum eine Rolle gespielt. Die CDU hat zwar was von „innerer Sicherheit“ erzählt, aber das Thema Migration weit weniger angesprochen als im Bundestagswahlkampf. In meinen Augen ist das der entscheidende Unterschied und neben den strukturellen Faktoren ein Grund, warum die AfD in Hamburg weniger erfolgreich war.

Foto: privat

Christian Martin ist Politikwissenschaftler, Professor an der Universität in Kiel und selber Hamburger.

taz: Lassen sich aus dem Hamburger Wahlkampf Lehren für den Umgang mit der AfD auf Bundesebene ziehen?

Martin: Ich denke ja. Meine Empfehlung an die anderen Parteien wäre, rationaler über Migration zu sprechen. Sie sollten sich nicht nur von Ereignissen treiben lassen, Migration auch als Chance diskutieren und andere Themen nicht vernachlässigen.

taz: Ging das denn nach den Anschlägen in Magdeburg und München und dem Amoklauf in Aschaffenburg?

Martin:Natürlich muss man auf Mordanschläge wie in Magdeburg und Aschaffenburg reagieren. Aber es ist doch auch richtig, dass es absolute Sicherheit nicht geben kann, dass es Messerangriffe auch geben kann von Leuten ohne Migrationshintergrund und dass es nicht nur den einen Weg gibt, als Politik auf solche Ereignisse zu reagieren. Mit der Konzentration auf das Thema Migration im Wahlkampf wurde den extremen Rechten ihr Leib- und Magenthema auf dem Silbertablett serviert. Die Politikwissenschaft erklärt seit Jahrzehnten: Wenn das Kernthema einer extrem rechten Partei starkgemacht wird, dann stärkt das die Partei und nicht die Partei, die es aufgreift.

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