BSW-Generalsekretär über Umfragetief: „Wir haben keinen Welpenschutz“
Hat die Migrationsdebatte dem Bündnis Sahra Wagenknecht geschadet? Generalsekretär Christian Leye über Flüchtlinge und die politische Konkurrenz.
![Christian Dürr von der FDP, Sahra Wagenknecht und Heidi Reichinnek von der Linken stehen im TV-Studio nebeneinander Christian Dürr von der FDP, Sahra Wagenknecht und Heidi Reichinnek von der Linken stehen im TV-Studio nebeneinander](https://taz.de/picture/7523662/14/Christian-Durr-Sahra-Wagenknecht-Heidi-Reichinnek-1.jpeg)
taz: Herr Leye, bei den Wahlen im vergangenen Jahr hat Ihre Partei einen Höhenflug erlebt, jetzt schwächelt sie in den Umfragen. Warum?
Christian Leye: Uns gibt es jetzt seit gerade mal einem Jahr und ein paar Wochen. Als junge Partei haben wir noch keine Stammwähler, da müssen wir uns anstrengen. Aber das machen wir. Und ich bin sehr optimistisch, dass wir mit unseren Themen verstärkt durchdringen. Die großen Fragen werden aktuell kaum aufgegriffen: Wie kommt das Land gerecht aus der Krise? Wie machen wir uns zukunftssicher? Was tun angesichts zunehmender Spannungen und Aufrüstungsgetrommel?
taz: Die Migrationsdebatte hat alle andere Themen in den Hintergrund gerückt. Ist das ein Grund dafür, dass die Partei in den Umfragen abgesackt ist?
Leye: Es war eine Riesendummheit, die da in der letzten Sitzungswoche im Bundestag gelaufen ist. Alle anderen Parteien haben die AfD in den Mittelpunkt gestellt. Da muss man sich fragen, ob die keine strategischen Berater haben?!
taz: Was meinen Sie damit?
Leye: Friedrich Merz hat das Migrationsthema von sich aus ohne Not auf die Tagesordnung gesetzt. Er wollte zeigen, dass er ein harter Hund ist, der seine Forderungen zur Not auch mit der AfD durchsetzt.
ist Generalsekretär des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Er ist seit 2021 im Bundestag – erst für die Linke, seit Ende 2023 für das BSW. Von 2016 bis 2021 war er Landessprecher der Linken in Nordrhein-Westfalen.
taz: Merz hat die Morde in Aschaffenburg und in Magdeburg aufgegriffen, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ist das nicht nachvollziehbar?
Leye: Das ist natürlich ein Thema, das die Menschen umtreibt. Aber ob man das so aufgreifen musste, wie es in der letzten Plenarwoche aufgegriffen wurde, da habe ich Zweifel. Auf der anderen Seite haben SPD und Grüne so getan, als würde jetzt der Faschismus vor der Tür stehen. Dabei hätten sie die Kuh noch am Freitag vom Eis holen können: Es war immerhin ein Antrag, der bei der Ministerpräsidentenrunde bereits auch von ihnen mitgetragen wurde, da wurde bloß noch ein Wort geändert. Sie haben das nicht gemacht, weil sie Friedrich Merz nicht aus der Patsche helfen wollten, in die er sich selbst hineinmanövriert hat. Allen ging es nur um Wahlkampf. Und dann wurde am gleichen Tag auch noch mal der AfD-Verbotsantrag diskutiert. All das hat der AfD geholfen, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Ich habe das als eine Eselei wahrgenommen.
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taz: Das BSW hat im Bundestag für das „Zustrombegrenzungsgesetz“ von Merz gestimmt. Hätten FDP und Union geschlossen dafür gestimmt, hätte es mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit erhalten. Warum? Hat das BSW damit nicht auch manche Wähler abgeschreckt?
Leye: Viele Menschen sind der Meinung, dass die Einwanderung stärker reguliert werden muss. Die Kombination mit dem Thema Frieden und der sozialen Frage spricht viele Wählerinnen und Wähler an und macht unser Profil aus. Darin sehen wir unser Potenzial.
taz: Sieben von zehn BSW-Abgeordneten haben im Bundestag für den Antrag von Merz gestimmt, drei haben gar nicht abgestimmt – darunter Sie. Hatten Sie Bedenken?
Leye: Ich hatte einen Termin und war deswegen verhindert. Das war vorher auch bekannt.
taz: Bei der Linkspartei haben Sie früher andere Positionen zur Migration vertreten und sich zum Beispiel an die Seite von Bewegungen wie der Seebrücke gestellt. Warum haben Sie Ihre Haltung in dieser Frage geändert?
Leye: Die Dinge, die ich damals im Kern vertreten habe, die vertrete ich immer noch. Ich finde es richtig, Menschen aus dem Meer zu retten, die sonst ertrinken würden. Da hat sich bei mir gar nichts verändert, das wäre ja fürchterlich. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man Migration regulieren muss. Und ich glaube, dass man die Probleme ansprechen muss, wenn man mit seinen Themen durchdringen will. Ich glaube, da ist in der Vergangenheit von linker Seite zu oft ein bisschen weggeguckt worden, was die Spannungen und die Spaltung in der Gesellschaft verstärkt hat. Ich glaube, wir brauchen einen realistischen Blick auf das Thema, um die Spaltung in der Gesellschaft zu überwinden.
taz: Was heißt das? Mehr Abschottung? Oder mehr Wohnungen bauen, um nicht so schnell überfordert zu sein, wenn Flüchtlinge kommen?
Leye: Wir brauchen definitiv mehr Wohnungen, das ist unstrittig. Wir dürfen in der öffentlichen Diskussion nicht alles mit allem vermischen. Sehr viele Probleme unserer Gesellschaft sind unabhängig von Migration entstanden. So zu tun, als sei die Migration „die Mutter aller Probleme“, wie es Horst Seehofer formuliert hat, das ist daher abenteuerlicher Unsinn. Die unterfinanzierten Kommunen, die niedrigen Renten, zu wenig Wohnraum – das sind hausgemachte Probleme der deutschen Politik. Aber natürlich verschärfen sich bestimmte Probleme durch hohe Zahlen an Zuwanderung, das ist auch unstrittig. Gleichzeitig brauchen wir neben einem deutlich verbesserten Bildungssystem natürlich auch Migration.
taz: Sie meinen Fachkräfte?
Leye: Ja, denn es wird vermutlich nicht möglich sein, sie ausschließlich aus den Menschen zu rekrutieren, die hier sind. Ich bin Ökonom, und aus volkswirtschaftlicher Perspektive stellt sich die Frage der Verfügbarkeit von Arbeitskräften.
taz: US-Präsident Donald Trump will den Krieg in der Ukraine beenden. Hat das BSW dadurch sein Kernthema verloren?
Leye: Wenn es zu einem Frieden kommen sollte, dann wäre das erst mal gut, auch für uns. Das ist ja das, was uns politisch antreibt. Ob Trump da kurzfristig Erfolge erzielen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Und das Thema wird uns erhalten bleiben, denn die USA unter Trump fordern viel mehr Aufrüstung ein, und in Deutschland überbietet man sich da bereits. Früher war das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aufzuwenden. Da hat man schon die Ohren angelegt. Heute spricht Robert Habeck von 3,5 Prozent und Alice Weidel von 5 Prozent und mehr. Das wären 40 Prozent des Bundeshaushaltes, ein absoluter Wahnsinn! Das fordern ja nicht mal die Grünen!
taz: Die AfD sieht sich auch, wie Sie, als „Friedenspartei“ …
Leye: Die AfD macht Politik für die Menschen mit großen Einkommen und Vermögen. Dazu gibt es ja auch Untersuchungen, die das bestätigen. Und sie ist, wie gesagt, für mehr Aufrüstung. Der US-Außenminister Marco Rubio hat Deutschland aufgefordert, mehr Geld für Waffen auszugeben und weniger in seine Sozialsysteme zu stecken. Und wenn man sieht, wie die AfD zur Amtseinführung nach Washington reist und fröhlich klatscht, dann muss man sich fragen: wo stehen die im Konfliktfall? Auf der Seite von den Menschen in Deutschland, die einen starken Sozialstaat brauchen? Oder auf der Seite des US-Außenministers, der bei ihnen sparen will, damit wir mehr Waffen auch aus den USA kaufen? Das sind die Konflikte, die jetzt auf Deutschland zukommen. Und da ist klar, wofür wir stehen: Wir sind nicht dafür, diesen Aufrüstungswahnsinn mitzumachen, sondern wollen es für soziale Belange einsetzen.
taz: Auch SPD und die Linkspartei setzen sich für höhere Löhne und Renten und niedrigere Mieten ein. Ist das ein Problem für Sie?
Leye: Ich würde mir wünschen, wir würden viel mehr über diese Themen reden. Warum wird so wenig darüber geredet, dass wir in einem extrem ungleichen Land leben, dass die Wohnungen fehlen, dass viele Menschen sich verschulden? Viele haben durch die Krise Reallohnverluste erlitten, noch immer. Die Menschen werden ärmer, und es ist total verrückt, wie große Teile des Einkommens oft allein in die Miete gehen. Das sind die Themen, die die Menschen umtreiben.
taz: Die Wähler, denen Brot- und-Butter-Themen wie Miete und Rente wichtig sind, müssen sich aber entscheiden, ob sie ihr Kreuz bei der SPD, bei der Linkspartei oder beim BSW machen. Wie wollen Sie die von sich überzeugen?
Leye: Wer soll der SPD das denn jetzt glauben? Vor jeder Wahl dieselben Versprechen. Nach dem Ampel-Drama ist das wirklich doppelt unglaubwürdig. Und das Problem der Linken ist doch, dass sie die Menschen, um die es geht, nicht mehr erreicht. Sie erreichen akademische, urbane Milieus, die finden, dass die soziale Frage als Querschnittsaufgabe mitgedacht werden sollte. Aber die Leute, die selbst davon betroffen sind, haben seit Jahren nicht mehr die Linke gewählt. Zu denen dringen sie einfach nicht durch. So ehrlich muss man an dieser Stelle sein.
Mit ihrer aktuellen Kampagne gegen Mietwucher und ihrem Heizkostencheck hat die Linke schon Erfolg, oder?
Leye: Ich glaube, wir erreichen Menschen, die von der Linken schon lange nicht mehr erreicht wurden, weil sie von dem ganzen Trallala drumherum abgeschreckt worden sind – aber auch von der inkonsequenten Haltung beim Thema Frieden.
taz: Wie stark hat der Streit in Thüringen dem BSW geschadet?
Leye: Streit schadet eigentlich immer. In Thüringen haben wir um den richtigen Kurs gerungen. Die konsequente Haltung der Partei auf der Bundesebene hat aber dazu geführt, dass wir bei den Verhandlungen am Ende noch mehr rausholen konnten. Natürlich hören CDU und SPD auf, nachzugeben, wenn sie denken, sie kriegen es auch günstiger.
taz: Und der Streit um den Landesverband in Hamburg?
Leye: Das ist eine andere Geschichte, und das habe ich mit großer Irritation wahrgenommen. Stellen Sie sich mal vor, es gibt in der SPD zwei unzufriedene Menschen, die in Nordrhein-Westfalen einen alternativen Landesverband gründen, den die dann nicht mal wie die SPD nennen, und die stellen dann einen Spitzenkandidaten auf, der pressewirksam erklärt, er möchte in den Bundestag, um sich dort auf einer Frauentoilette öffentlich zu befriedigen. Ich meine, genau so ist es gelaufen. Bei allen anderen Parteien wäre das höchstens eine skurrile Geschichte gewesen. Aber beim BSW bekommt dieser Quatsch in sonst seriösen Zeitungen wirklich sehr viel Aufmerksamkeit.
taz: Das BSW hat ja nicht so viele Mitglieder wie die SPD, und die sind alle handverlesen. Hat da die Einlasskontrolle nicht geklappt?
Leye: Wir sind gut, aber wir können auch nicht über Wasser laufen.
taz: Andererseits hat die schleppende Aufnahme von Mitgliedern auch für viel Unmut gesorgt. Manche sind deshalb enttäuscht abgesprungen.
Leye: Wir werden das Verfahren in diesem Jahr ändern, das haben wir angekündigt, und das werden wir tun. Aber es war notwendig. Das erste Jahr ist für eine neue Partei immer wie Wilder Westen: Leute kommen zusammen, müssen sich sortieren, ringen um den Kurs. Das sorgt für Chaos. Wir hatten keinen Welpenschutz, sondern mussten von Tag eins an handlungsfähig sein. Deshalb haben wir versucht, diese Kinderkrankheiten zu überspringen. Das war vielleicht nicht immer für alle Menschen schön, aber es war einfach notwendig, und die meisten haben das auch verstanden.
taz: Wagenknecht hat ihre politische Zukunft jetzt an den Erfolg des BSW geknüpft. War das klug?
Leye: Ich erlebe das immer wieder, dass die Leute sich fragen: Was will uns Frau Wagenknecht damit sagen? Ich wundere mich immer, dass man so selten auf die Idee kommt, dass Frau Wagenknecht genau das sagen möchte, was sie sagt.
taz: Was machen Sie, wenn es nicht klappt?
Leye: Es wird klappen. Wir werden mit einer starken Fraktion in den nächsten Bundestag einziehen und dort die Politik machen, für die wir jetzt werben: für Frieden, Gerechtigkeit und Vernunft und für die arbeitenden Menschen im Land. Das hat jahrelang gefehlt und ist ein Grund dafür, dass hier die Risse in der Gesellschaft so groß sind.
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