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Syrien nach dem Sturz des Assad-RegimesSanktionen behindern Europas Aufbauhilfe

Die Golfstaaten und die Türkei investieren schon in Syrien. Die EU dagegen kann bisher kaum Entwicklungsgelder zahlen.

Svenja Schulze (SPD), Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, besucht den Stadtteil Dschubar in Syrien Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Beirut taz | Zum ersten Mal kommt ein Vertreter Syriens nach Davos zum Weltwirtschaftsforum. Nach dem Sturz des Assad-Regimes wirbt Übergangsaußenminister Asaad al-Schibani international um diplomatische Anerkennung und Gelder.

In Europa galt bisher: Nein zum Wiederaufbau unter Baschar al-Assad. Die EU belegte das Regime mit strikten Sanktionen, humanitäre Hilfe lief über Nichtregierungsorganisationen und die Vereinten Nationen. Assad ließ Grenzübergänge für Hilfslieferungen schließen, Russland half mit Vetos im UN-Sicherheitsrat beim Aushungern der Bevölkerung. Hinzu kamen das Erdbeben und Angriffe der Türkei auf die kurdische Selbstverwaltung. Wegen der Angriffe droht der Tischrin-­Staudamm am Euphrat einzubrechen, 413.000 Menschen haben kein Wasser und Strom. Im Nordosten leben 24.600 Binnengeflüchtete in Not­unter­künften.

Laut UN brauchen 16,7 der rund 24 Millionen Menschen in Syrien humanitäre Hilfe: Essen, Decken, Medizin, Benzin, Wasser, Strom. Mehr als ein Drittel der Krankenhäuser sind zerstört.

Syriens neue Machthaber möchten die Stromkrise angehen: Wartungsarbeiten an Leitungen, neue Kraftwerke, alternative Energieprojekte. Am Montag veröffentlichte der geschäftsführende Öl-Minister, Ghiath Diab, Ausschreibungen für Investitionen im Erdölsektor: Öl-und Gasfelder müssen gewartet werden.

Humanitäre Hilfe aus der EU

Eine Delegation des türkischen Energieministeriums war in Damaskus, um über Zusammenarbeit im Stromsektor zu sprechen. Auch Saudi-Arabien, die Vereinten Arabischen Emirate und Katar werden investieren.

Die EU hat 235 Millionen Euro humanitäre Hilfe versprochen: für Essen, sauberes Wasser, Notunterkünfte. Wiederaufbauhilfen aber sind durch EU-Sank­tio­nen eingeschränkt. Sie richten sich gegen Wirtschaftssektoren, von denen die Ex-Regierung profitiert hatte. Die EU verbietet Investitionen in die syrische Ölindustrie und Unternehmen, die Stromkraftwerke errichten.

Die Gruppe Hai’at Tahrir al-Scham (HTS) hatte im Dezember eine Militäroffensive verschiedener Milizen angeführt und so das Regime gestürzt. Danach hat sie Ministerposten vergeben. Die HTS-­Vorgängerorganisation wird vom UN-Sicherheitsrat als Terrorgruppe eingestuft. Sy­re­r*in­nen diskutieren kontrovers, wie mit den neuen Machthabenden umgegangen werden soll. Regierungschef Ahmad al-Scharaa hat angekündigt, ein „Nationales Komitee“ einzurichten, das verschiedene Gruppierungen einbezieht. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, ein politischer Übergang in Syrien sei Voraussetzung, um UN- Sanktionen zu lockern. Westliche Länder überlegen, Entwicklungsgelder an Bedingungen zu knüpfen.

„Strom, Wasser, Abwasser, Müllentsorgung, Medikamente, Diesel und Brot – das sollte nicht politisiert werden“, sagt Syrien­ex­perte Haid Haid der taz. Doch Deutschland und die EU müssten sich für den demokratischen Übergang engagieren. „Dazu haben sie verschiedene Druckmittel.“ Man habe bereits mit der Gruppe und ihrem Anführer gesprochen. Auch die Streichung der Gruppe von der Terrorliste gehöre zur Verhandlungsmasse. Eine Möglichkeit sei „die Legitimierung des Übergangsgremiums über Unterstützung, in finanzieller Hinsicht oder durch den Wiederaufbau.“

Schadet sich die EU selbst?

Außenministerin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze waren bereits in Damaskus. Baerbock sagte 50 Millionen Euro, Schulze 60 Millionen an Hilfsgeldern zu. Das Geld solle über die UN und Nichtregierungsorganisationen fließen. Bei Treffen mit dem De-facto-Bildungs- sowie Gesundheitsminister habe sie Frauenrechte und das Bildungscurriculum angesprochen, so Schulze. „Sie wissen, was wir von ihnen wollen.“

„Wir brauchen in der aktuel­len Situation keine Unterstützung, die an Bedingungen geknüpft ist, sondern die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien“, sagt Suad al-Aswad, Leiterin der Fraueninitiative „Change Makers“ in Idlib der Hilfsorganisation Adopt a Revolution. „Indem die EU ihre veralteten Sanktionen gegen Syrien an neue Bedingungen knüpft, schadet sie sich selbst und der syrischen Dias­pora beim Wieder­aufbau des Landes“, schreibt Sy­rien­ex­per­tin Kristin Helberg.

Schulze sagt: „Die Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf und Strom, ein funktionierendes Gesundheitssystem, die Kinder müssen zur Schule gehen.“ Bei diesem Wiederaufbau müsse Deutschland helfen, damit nicht nur Hilfen aus Russland oder China kämen. Schulze umgeht die Sanktionen, indem sie Klinik-Partnerschaften plant. Deutsch-syrische Ärzt*in­nen sollen Weiterbildungen leiten oder Geräte organisieren. Sie macht klar: Gelder für Wiederaufbau sind Investitionen. „Wenn wir das Krankenhaus nicht bauen, bauen es andere.“

Die EU-Außenminister*innen wollen am 27. Januar über Sank­tions­lo­cke­run­gen ­sprechen. Unter anderem Deutschland fordert, die Sanktionen im Verkehrs-, Energie- und im Bankensektor vorübergehend auszusetzen. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert einen Beschlussentwurf, wonach ein „gewisser Einfluss“ beibehalten werden soll, „für den Fall, dass sich die Dinge nicht wie erhofft entwickeln“.

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