Steve Bishop in der Kunsthalle Osnabrück: Mehr als nur zwei Böden
Der kanadische Künstler Steve Bishop ruft in seiner Schau „On the Streets Where You Live“ ein Gefühl vom Vorstadtleben wach. Schwer, ihm auszuweichen.
Es fällt schwer, nicht unmittelbar emotional angefasst zu sein von der Ausstellung „On the Street Where You Live“ von Steve Bishop. Das Werk des 1983 in Kanada geborenen Künstlers kreist um Emotionen und Erinnerungen, die Unterschwelligkeiten des menschlichen Lebens. Häufig baut er große Installationen, psychologische Bühnenbilder, die von den Betrachtenden betreten werden können – so auch in Osnabrück.
Nähert man sich der Mauer, reagieren die Bewegungsmelder der Laternen an der vermeintlichen Hauswand. Ist es eine Gartenmauer? Ein architektonischer Platzhalter einer kleinbürgerlichen Fantasie? Unwillkürlich fühlt man sich ertappt, quellen die Assoziationen über: amerikanische Filme, beiges Leder, das Haus in dem dieser eine Mitschüler lebte, Vorabendserien, Rasenmähroboter, Urvertrauen, Albträume, Computerspiele, schlechte Literatur, Alkoholvergiftung, Kleinstadthass und Geborgenheitsneid sind da. Und wahrscheinlich noch viel, viel mehr, je nachdem zu welchem Kopf sie halt gehören, der hier in diese Ausstellung gespült wurde.
Steve Bishop: „On the Streets Where You Live“. Kunsthalle Osnabrück, bis 23. Februar
Hinter der Mauer finden sich schlichte Bilderrahmen, in Ihnen Fotos. Zusammengesammelte Kleinformate, sortiert und montiert, wie man es von Gruppenfotos in Klickrahmen in tristen, öffentlichen Gebäuden auf der ganzen Welt kennt, nicht zuletzt aus den Jugendräumen christlicher Gemeinden. Steve Bishop ist ein scharfer Beobachter kollektiver menschlicher Ästhetik.
Bei den sorgfältig angeordneten Abbildungen handelt es sich um über Jahre gesammelte Familienfotos, entstanden in Disneyland. Im Hintergrund die immer gleichen Nachbildungen des verschnörkelten Schlosses und des künstlichen Matterhorns. Es sind vollendete Symbole artifizieller Erinnerung – so artifiziell wie die Kulisse, die der Künstler hier für uns in dem gotischen Kirchenraum aufgebaut und somit gleichzeitig ins Doppelt-Künstliche erhoben hat. Die Räume Bishops haben mehr als nur zwei Böden.
Die Illusion eines Schattenspiels
Durch die Hintertür lässt sich die Garage betreten, die barrierefreie Rampe ist genauso sichtbar wie der Beamer, der die Illusion eines Schattenspiels sich im Wind wiegender Blätter in den Raum projiziert, die Gefriertruhe ist offen, doch verströmt sie keine Kälte – alles egal. Bishops Bilder sind zu stark, zu generisch und dabei gleichzeitig zu detailliert. Sie bilden die perfekte Reflexionsfläche autobiografischer Projektion und gesellschaftlicher Beobachtung.
Im Chor des Raumes findet sich eine Sitzgruppe überdimensionierter, missproportionierter Fisher-Price-Plastikstühle, abweisend angeordnet in einem abgeschlossenen Kreis. Arbeitete Bishop im Jahr 2019 in seiner Ausstellung in den Berliner KW noch mit gezüchteten Pilzen und real existierenden Orten, bleibt er nun in Osnabrück generisch und trotzdem bestechend konkret, unterstrichen von der optimalen Anpassung der Installation an den Ausstellungsraum. Den Besuchenden eröffnet er so ein Erlebnis, das gleichermaßen allgemeingültig und höchstemotional im persönlichen, individuellen Empfinden sein dürfte.
Im Selbstverständniskatalog der Kunsthalle findet sich die Frage: Was ist wichtig für unser Zusammenleben in der Gesellschaft? Verlässt man Steve Bishops Ausstellung, könnte eine Antwort lauten: Die Kombination schmerzhafter Tiefe und zärtlicher Zugänglichkeit.
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