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Der schwierige Spagat

Gerhard, Landwirt aus Brandenburg, fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Von Windrädern hält er nichts, von den alten Volksparteien noch weniger. Wie spricht man mit Menschen, die nach rechts abdriften? Eine Reportage

Aus Brandenburg Fridolin Haagen

Alle kennen sie, die netten Nachbarn, der Onkel oder dieser eine Sportlehrer. Es gibt immer wieder Leute, die aus dem privaten Umfeld in die Verschwörungstheorien verfallen. Der Absturz kennt teilweise keine Grenzen. Vor ein paar Tagen erzählte mir ein Kollege der taz von einem alten Freund, der ihm am Esstisch unverblümt erklärte, dass es Echsenmenschen gebe.

Auch ich habe ein paar Problemfälle, etwa den einen Lehrer aus der Schule. Er hat nicht nur afghanische Terroristen bekämpft, sondern ist auch aus einem Kanonenrohr gekrochen und hat unter Wasser eine Moräne vermöbelt, alles klar. Ich weiß nicht, ob meine alte Babysitterin noch darauf wartet, dass ich „aufwache“. Oder auch mein erster Fußballtrainer, der mich fragte, „glaubst du das mit den Juden …“.

Der Umgang damit ist schwer. Wo ist die Grenze? Ab welchem Punkt ist eine Diskussion unnötig und wo muss man sich selbst schützen?

Um Leute von der AfD zurückzugewinnen und von der demokratischen Sache zu überzeugen, ist es auch wichtig, dass der eigene Schutzmechanismus nicht zu früh greift.

So wie beim Gespräch mit einem Bekannten anlässlich dieser Reportage. Das ursprüngliche Thema war der Ausbau von Windrädern in Brandenburg. Es kam zu einer Diskussion, die ich normalerweise nie zugelassen hätte. Welchen Konsens soll ich bitte mit Menschen erzielen, die Rechtsextreme im Parlament unterstützen? Wenn die Tatsache, dass ein Faschist eine der zentralsten Figuren der Partei ist, nicht ausreicht, um sich davon so weit wie möglich zu distanzieren, was soll ich dann rumquatschen?

Mein Bekannter Gerhard ist Landwirt in Brandenburg, das ist nicht sein richtiger Name, ihm ist es lieber so. Er steht um fünf Uhr morgens auf und arbeitet eigentlich den ganzen Tag. Er hat raue Arbeiterhände und es ist ihm anzusehen, dass er oft auch in der prallen Sonne arbeitet. Ich kenne ihn durch meinen Vater und hab ihn seit meiner Kindheit hin und wieder gesehen. Gerhard ist ein netter, hilfsbereiter Kerl.

Windräder findet er im Grunde genommen „okay, aber im begrenztem Maß“. Die großen Windkraftparks seien nicht so gut. Brandenburg ist das Bundesland mit der größten installierten Windkraftleistung in absoluten Zahlen in Deutschland, der Ausbau der erneuerbaren Energien fällt beim Durchreisen schon auf. Zum Thema Windräder gibt es zwei entscheidende Daten.

Zum einen, dass 2 Prozent der Landfläche zum Ausbau von Windrädern zur Verfügung gestellt werden sollen, in Brandenburg ist das Ziel sogar 2,2 Prozent. Zum anderen die erforderliche Distanz zu bewohnten Gebieten, gesetzlich 1.000 Meter.

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Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.

Vor allem über Letzteres wird in der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik heftig diskutiert. Péter Vida ist Vorsitzender der Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler und setzt sich für eine Verlängerung des Mindestabstands auf 1.500 Meter ein. Er argumentiert, dass die neue Generation der Windräder deutlich höher sei und daher auch der Abstand vergrößert werden müsse.

Die Frage ist letztendlich: Wie hoch ist die Belastung wirklich? Es wird viel geredet oder geschrieben, dabei geht es um die Geräuschkulisse, eine Beeinträchtigung der Landwirtschaft und die Auswirkungen auf die Tierwelt.

Laut Gerhard sei in seiner Gegend die Abneigung gegenüber Windrädern bei der großen Mehrheit nicht so groß. Der entscheidende Punkt ist die Distanz für die Bevölkerung. Doch es gibt auch Vorschläge, den gesetzlichen Mindestabstand von einem Kilometer zu verringern.

Die Organisation Nabu ist bekannt für ihren Einsatz für die Umwelt. Der Vorsitzender ihres Landesverbands Brandenburg, Björn Ellner, sieht die Folgen durch Windräder für Tier und Mensch so: „Je geringer der Abstand, desto negativer die Auswirkungen für die Menschen.“

Dennoch spricht er sich für einen kürzeren Mindestabstand aus. Hintergrund ist der Bau von Windrädern im Wald. Diese neue Herangehensweise sehen nicht nur meine drei Gesprächspartner kritisch. Sondern auch Menschen, die ich auf der Straße darauf angesprochen habe. Die Argumente liegen auf der Hand: Die riesigen Windräder müssen erst einmal in den Wald transportiert und dort installiert werden. Dafür müssen der Standort und der Zufahrtsweg gerodet werden. Durch einen großen Temperaturunterschied zwischen der betonierten Fläche und dem Waldboden bröckelt das Ökosystem des Waldes. Für Björn Ellner ganz klar, der Mensch braucht ja den Strom, also müssen die Nachteile auch in Kauf genommen werden, damit das 2,2-Prozent-Ziel eingehalten wird, ohne Schutzgebiete zu missachten.

Ein zusätzliches Problem besteht laut Gerhard darin, dass viele Windkraftanlagen auf fruchtbarem Boden gebaut werden. Die Resignation ist ihm deutlich anzumerken. „Alles dreht sich nur ums Geld.“ Viele klimapolitische Maßnahmen erschließen sich ihm nicht. Windräder werden hingepflanzt, ohne darauf zu achten, was das mit dem Ort macht, den Tieren, der Landwirtschaft. Er berichtet, wie schwer es regionale Bauernhöfe und Landwirte haben, es gebe keine Planungssicherheit.

Großes Unverständnis zeigt er für die Abholzung des Urwaldes, er spricht davon, dass wir uns in einer Spirale befinden, aber irgendwann gehe es nicht mehr weiter, irgendwann sei das Maximum erreicht. Das ist linke Kapitalismuskritik vom Feinsten. Doch als ich ihm das sage und den Punkten zustimme, weiß er nicht ganz, wie er damit umgehen soll.

Vor Menschen wie ihm habe ich riesigen Respekt: die arbeitende Klasse, die die Welt aufgebaut hat

Anscheinend wurde ihm das noch nicht so gesagt. Dann kritisiert er die Grünen heftig, auch SPD und CDU kommen nicht gut weg. Abermals stimme ich zu, erneut ist er überrascht. Er fühlt sich von den Altparteien nicht abgeholt, auch das kann ich verstehen, auch ich werde die Grünen nicht wählen, SPD und CDU schon gar nicht.

Dabei bringt er auch konstruktive Verbesserungsvorschläge. Wir kommen auf Fotovoltaik zu sprechen, „an sich ’ne super Sache, das stört keinen“.

Er erzählt von einer schwierigen Saison, das Getreide kann nicht verkauft werden, „es gibt für Landwirte keine Planungssicherheit“. Die Landwirte haben eine Idee: Es könnten auf den Feldern Beeren angebaut und darüber eine Fotovoltaik­anlage angebracht werden. Doch das Vorhaben sei von der zuständigen Behörde nicht genehmigt worden. Gerhard versteht die Welt nicht mehr. Die Begründung habe sich auf eine versperrte Sicht der Schutzfelder berufen. Trotz der Empathie und mehrerer politischer Übereinstimmungen ist spürbar, dass wir nicht auf der selben Seite stehen.

Auf die Frage, ob sich eine gewisse Politikverdrossenheit bei ihm angestaut habe, antwortet er recht schnell mit ja. Also frage ich ganz vorsichtig nach, welche Parteien bei ihm in Frage kommen bei der anstehenden Bundestagswahl. „Na daraus mache ich keinen Hehl: nur BSW oder AfD.“

Obwohl es ein Stück weit offensichtlich war, zieht sich mein Herz zusammen, im ersten Moment verspüre ich Hilflosigkeit. Denn ganz gleich, ob ich ihn jetzt nun kenne oder nicht, vor Menschen wie ihm habe ich riesigen Respekt. Die arbeitende Klasse, die die Welt aufgebaut hat, die Straßen geteert, die Ziegelsteine aufeinander gesetzt, das Obst geerntet. Weil diese essenzielle Arbeit zu wenig gewürdigt und entlohnt wird und weil ich das Gefühl habe, dass ich diese Arbeit nicht machen könnte. Deswegen habe ich Respekt vor diesen Menschen. Sie hatten über eine lange Zeit ihre politische Heimat bei einer linken Partei. Also frage ich nach, warum die Linke bei ihm nicht infrage kommt. Dabei bin ich jedoch ganz vorsichtig, denn immerhin frage ich jemanden, der in der DDR aufgewachsen ist.

Verhasst, besonders unter AfD-Wählern, aber auch Umweltschützern: Windräder als Klimaschutz-Maßnahme Foto: Paul Langrock

Doch die Vorsicht war bei Gerhard nicht notwendig. Er zählt die Vor- und Nachteile im Gegensatz zu der BRD auf. „Du hast 10 Jahre auf ein Auto gewartet, aber du hast ein Auto gekriegt.“ Auch beim Thema Enteignung sieht er keine Verbesserung, damals habe es eine Entschädigung gegeben, heute eine Verweisung auf Schutzgebiete. „Man hat für die Wende gekämpft und dann bemerkt, ist ja ’ne noch größere Scheiße als es vorher war!“

Doch den Grund für das Einsetzen der Wende 1989, die politische Freiheit, sieht er bei einer AfD-Regierung nicht gefährdet.

„In unserer Welt muss sich grundlegend was ändern, wer das dann ändert, weiß ich nicht.“ Nachdem wir zum Ukrainekrieg kommen und Gerhard eine neue Russland-Politik fordert, lenke ich ein. Wie er das Kriechen der AfD vor Trump und Musk beurteilt? An der Tonlage merke ich, dass ich da einen wunden Punkt erwischt habe. Deswegen mach ich direkt weiter, ob er die ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD, Birgit Malsack-Winkemann, kennen würde. Die mutmaßliche rechtsextreme Terroristin, die in der Reichsbürger Szene aktiv gewesen ist. Das wäre dann natürlich ein „Unsicherheitsfaktor, den ich nicht will“.

Das ist immerhin etwas, es ist ein langer Prozess, Menschen wie Gerhard zu überzeugen. Ich habe gelernt, dass es kein Allheilmittel gibt, die Leute wieder abzuholen. Es hilft nicht, die Positionen nachzuplappern, es hilft nicht, alle vorzuverurteilen. Für jeden einzelnen Menschen braucht es einen individuellen Ansatz.

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