schlagloch: Zurück an die Arbeit
Die Zeit ist reif für eine kulturelle Gegenoffensive. Statt Kultur abzubauen, müssen wir uns im Kulturkampf positionieren: gegen Polemik und Hetze
Als Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten gewonnen hatte, war vielen demokratisch gesinnten Menschen dieser Welt klar: Nicht vor diesem bösartigen Politclown muss man sich fürchten, sondern vor den Amerikanerinnen und Amerikanern, die ihn gewählt haben, und vor den mächtigen Tech-Milliardären à la Elon Musk, denen seine Agenda nur zu sehr zunutze kommt. Und nun, nach einer Zeit, in der beinahe täglich neue groteske Meldungen über seine kommende Entourage veröffentlicht werden, fällt noch etwas anderes Schreckliches auf: die vorauseilende Unterwerfung, die Feigheit, der Opportunismus, die tiefe moralische Korruption so vieler, die Besitz, Einfluss und Posten zu verlieren oder zu gewinnen haben. In der Wirtschaft, in der Justiz, beim Militär und auch in der Kultur. So einer wie Trump kommt vielleicht durch die Irreführung des unteren Drittels an die Macht, doch sie zu erhalten und auszubauen, dazu benötigt er exakt die, die er zuvor denunzierte, die korrupte und eigennützige „Elite“.
Und wie sieht das bei uns aus? Die großartige Patti Smith beendete für sich die Schockstarre, in die alle nach der Wahl von Trump verfallen waren, die irgendetwas mit Kultur, Kritik und Freiheit zu tun haben, mit den Worten „Back to work“. Richtig: Es gilt, die liegengebliebene oder blockierte Arbeit an Kunst, Kritik und Kommunikation wieder aufzunehmen. Mit trotzigem Mut.
Der demokratische Staat und die liberale Gesellschaft sind beauftragt, die Kultur zu demokratisieren und die Demokratie zu kultivieren. Es ist ganz einfach die Pflicht und es ist zugleich eine der wichtigsten Legitimationen von demokratischer Regierung. Sie soll sich nicht nur um einen sozialen Ausgleich, um Gerechtigkeit – am Ende sogar um das Glück der Menschen – kümmern, sondern auch um die Versorgung mit Kultur. Man könnte auch sagen: die Möglichkeit einer Gesellschaft, über sich selbst nachzudenken. Kultur und Soziales gegeneinander auszuspielen, ist eine Bankrotterklärung der politischen Klasse.
Die Kultur, für die weder der Markt noch die Klasse Auftraggeber sind, sondern die demokratische Gesellschaft, ist alles, was öffentlich zugänglich, unabhängig von kommerziellem Nutzen und unzensiert an ästhetischer und kritischer Produktion ist, was die Sache schon mal ziemlich einengt. Und demokratische Kultur ist, was nicht ohne Weiteres in den Besitz von einzelnen Reichen als Luxusware übergehen kann. So besehen gibt es ohnehin schon verdammt wenig Kultur dieser Art.
Georg Seeßlen
ist freier Autor und hat zahlreiche Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm „Coronakontrolle, oder: Nach der Krise ist vor der Katastrophe“ bei bahoe books.
Die Schlagloch-Vorschau: 22. 1. Charlotte Wiedemann
29. 1. Ilija Trojanow
5. 2. Gilda Sahebi
12. 2. Georg Diez
Und nun gibt es fast überall im Westen auch noch einen massiven Kulturabbau. Dieser Kulturabbau – willkürlich, undurchsichtig und symbolpolitisch – kommt wahrlich zur rechten Zeit, nämlich zur Ausrufung des „Kulturkampfs“, mit dem die extreme Rechte bis in die „konservative“ Mitte der Gesellschaft hinein nach Zustimmung fischt. Es ist der Kampf gegen alles, was als „fremd“, als „queer“ oder „feministisch“ (also „genderwahnsinnig“), modern, „volksfeindlich“ oder „links“ identifiziert wird. Und geführt wird dieser Kulturkampf mit den Mitteln der Polemik, der Hetze, der Drohung und der manifesten Gewalt.
Wie also soll man das nennen, wenn eine demokratische Regierung angesichts eines „Kulturkampfs“, der ganz offen als vorpolitisches Schauspiel eines kommenden Bürgerkrieges angesehen wird, statt eine Form der kulturellen Gegenoffensive zu initiieren, an der Kultur spart? Und hier stellt sich immer auch die Frage an die Produzenten und Produzentinnen von Kultur selbst. Wie halten wir es mit veränderten Machtverhältnissen? Wie kriegen wir persönlichen Überlebenskampf und moralische Integrität unter einen Hut? Welche Fehler aus der Vergangenheit gibt es zu beheben? Wo liegen die Grenzen zwischen diplomatischem Geschick und struktureller Korruption? Und welche Aussichten hat Kultur, die ohne die Hilfen von Staat und Gesellschaft zu überleben lernen muss?
Mitten im von rechts ausgerufenen Kulturkampf sparen Regierungen und Verwaltungen an Kultur, und damit ist nicht das Staatstheater, das touristische Museum und die Vorzeigekunst gemeint, sondern auch die Jugendarbeit, das Hinterhof-Projekt, die Demokratie-Initiative und das unabhängige Journal: Gespart wird genau da, wo sich Kultur und Gesellschaft am direktesten begegnen.
Für eine Reihe von kulturellen Berufen ist das „Zurück an die Arbeit“ nach Patti Smith so gar nicht möglich. In der politischen Ökonomie der Postdemokratie werden ja nicht nur Formen von Produktion, eben die Kultur, die etwas ganz anderes ist als „Kreativwirtschaft“, sondern auch eine Reihe von Arbeitsplätzen abgebaut. Man verabschiedet sich entweder ins untere Prekariat oder aber man muss auf Freiheiten, auf Unabhängigkeit und Experiment verzichten. Man weiß nicht, was schlimmer ist.
Die kulturelle Verachtung der „konservativen“ Bürger, die Borniertheit der reichen Kulturbesitzer, die Uneinigkeit der Leute, die Kultur als Beruf und Aufgabe ansehen, und der Kulturkampf von rechts erzeugen eine Situation von kulturellen und sozialen Verlusten, die im Übrigen mit gutgemeinten spezifischen Aktionen und Appellen nicht aufzuhalten sind. Meine Galerie, mein Theater, meinen Film, meine Kulturkneipe soll man doch bitte nicht wegkürzen. Aber es gibt leider noch kein politisches Subjekt, das den doppelten Kulturkampf, gegen die Sparmaßnahmen der Politik und gegen die Attacken von rechts, aufnehmen könnte. Würden wir von einer Solidarität von Kunst, Kritik und Kommunikation – als Berufsbild wie als soziale Haltung – sprechen wollen, müssten wir die Funktion der Kultur erst neu definieren. Kultur unter Druck ist etwas anderes als Kultur im Überfluss.
Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
„Back to work“ kann für uns daher nur bedeuten: Zurück zur Solidarität. Zurück zum Widerstand. Zurück zur Kritik. „Kulturkampf“ ist ein furchtbares Wort. Aber noch furchtbarer ist es, so zu tun, als gäbe es das nicht.
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