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Annäherung an das Ausmaß der Gewalt

Der erste „Monitor Gewalt gegen Frauen“ zeigt „dringenden Handlungsbedarf“ beim Schutz von Mädchen und Frauen – bisher gibt es nicht einmal ausreichend Daten

Protest gegen Femizide in Berlin Foto: Florian Boillot

Von Patricia Hecht

Ein Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte zeigt ein „alarmierendes Bild des Ausmaßes geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland“. Allein 2023 wurden hierzulande jeden Tag 728 Mädchen und Frauen Opfer von körperlicher Gewalt. Trotzdem werde geschlechtsspezifische Gewalt durch Politik und Justiz „oft individualisiert […]und bagatellisiert“, heißt es in dem Bericht. Er soll am Dienstag vorgestellt werden und lag der taz vorab vor.

Der „Monitor Gewalt gegen Frauen“ untersucht zum ersten Mal, inwiefern die Istanbulkonvention des Europarats gegen Gewalt gegen Frauen, die hierzulande seit 2018 gilt, in Deutschland umgesetzt wird. Der Konvention zufolge sind Bund, Länder und Kommunen verpflichtet, geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen und zu verhindern sowie Frauen und Mädchen zu schützen. Dabei jedoch gebe es „gravierende Lücken“, so der Bericht. Es bestehe „dringender Handlungsbedarf“, um ein funktionierendes Schutz- und Unterstützungssystem für Betroffene zu schaffen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) ist seit November 2022 damit beauftragt, die Umsetzung der Konvention zu beobachten und zu bewerten. Dafür haben die For­sche­r*in­nen Daten aus Bund und Ländern, von Polizei und aus dem Hilfesystem zusammengetragen, zudem in einigen Themenfeldern die Rechtspraxis mit den Vorgaben der Konvention verglichen. Vorwiegend geht es dabei um den Zeitraum 2020 bis 2022, zum Teil auch bis 2024. Auf rund 440 Seiten stellt der Bericht nun vor, welches Ausmaß geschlechtsspezifische Gewalt in Deutschland hat und wo Handlungsbedarf besteht.

Analysiert wurde das etwa in den Bereichen Prävention, Schutz, Umgangs- und Sorgerecht, Asyl sowie digitaler Gewalt. Allein die Datenerhebung war schwierig: Zwar verpflichte die Istanbul-Kon­vention Deutschland, „einschlägige und genau aufgeschlüsselte statistische Daten über geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt zu erheben“, heißt es in dem Bericht. Doch genau eine solche Erhebung „fehlt bisher“. Auch die erstmalige systematische Auswertung der Daten könne deshalb nur „eine Annäherung“ an das Ausmaß der Gewalt leisten.

Gleichzeitig zeigen die Hellfelddaten deutlich, in welchen Gewaltformen und inwiefern Mädchen und Frauen besonders betroffen sind – und das in Bereichen, in denen das Dunkelfeld immens ist. Fast 86 Prozent der Betroffenen sexualisierter Gewalt etwa sind weiblich, 80 von 83 Betroffenen von Zwangsverheiratung sind Mädchen oder Frauen. 32 Vergewaltigungen, „2,5 mögliche Femizide“, mehr als 400 Fälle von digitaler Gewalt – und all das pro Tag: So sieht die polizeiliche Realität in Deutschland aus. Die Mehrheit der Betroffenen kannte den Tatverdächtigen.

Die Empfehlung der For­sche­r*in­nen an Bund, Länder und das BKA: regelmäßige Dunkelfeldstudien, also repräsentative Befragungen zu geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Zudem sollen etwa die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik vertieft werden: Bisher werden zum Beispiel Fragen zu Tatmotiven bei Tötungsdelikten an Frauen nicht erfasst, weshalb zur Anzahl der tatsächlichen Femizide hierzulande keine konkrete Aussage getroffen werden kann.

2,5 „mögliche Femizide“, 400 Fälle digitaler Gewalt, 32 Vergewaltigungen – pro Tag

Im Bereich Prävention fehle eine „übergreifende Strategie“, so das DIMR, um geschlechtsspezifischer Gewalt entgegen zu treten. Daneben empfiehlt das Institut etwa verpflichtende Fortbildungen für Polizei und Justiz, zudem den Ausbau der Täterarbeit. Im Bereich „Schutz und Beratung“ empfiehlt der Bericht etwa, einen „bundeseinheitlichen Rechtsanspruch“ einzuführen. Der wäre im Gewalthilfegesetz formuliert, von dem aufgrund des Bruchs der Ampel fraglich ist, ob es in dieser Legislatur noch kommt.

Im Umgangs- und Sorgerecht, das diese Legislatur nun nicht mehr reformiert wird, empfiehlt das Institut, „die Schutzinteressen des gewaltbetroffenen Elternteils als gleichwertiges Prinzip neben dem Kindeswohl zu verankern“. Gerichte müssten beim Umgang des Kindes mit dem gewaltausübenden Elternteil zudem nachweisen, dass dies dem Kindeswohl dienlich sei. Im Bereich der digitalen Gewalt wird ein Straftatbestand zum „Schutz der Psyche“ empfohlen. All dies, so der Bericht, erfordere „erhebliche finanzielle Investitionen und vor allem den politischen Willen“, die Probleme anzugehen.

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