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Sich der eigenen Person stellen

„Vena“, das Spielfilmdebüt von Chiara Fleischhacker, erzählt mit eigenen Bildern von ungewollter Schwangerschaft, Drogen und institutioneller Gewalt

Eine Welt voll Pink: Jenny (Emma Drogunova) in „Vena“ Foto: Weltkino

Von Carolin Weidner

Alles in Jennys Welt glitzert. Ihre Orchideen bestäubt sie mit funkelndem Puder, an der Rückseite ihres Handys türmen sich lilafarbene Partikel, Täschchen, Lidschatten, Nagellack – eine schimmernde Palette von Rosa bis Blau. Jenny (Emma Nova) hat sich, buchstäblich, ihr eigenes Universum geschaffen. Denn auch dieses projiziert sie sich immer wieder selbst gegen die Wohnungswände, dazu ein paar ätherische Klänge. Oder Techno.

Die Glitzerutensilien werden dann durch andere ergänzt: akribisch gefaltete Schiffchen etwa, in denen sich zu Puder zerstoßenes Crystal Meth befindet. Einmal präsentiert Freund Bolle (Paul Wollin) ihr auch ein besonders großes, ein besonders schönes Stück der Droge. Und tatsächlich – der kleine, anmutig scheinende Kristall passt ganz wunderbar in diese dunkle Wohnung, die manchmal wie eine seltsame Edelsteinhöhle wirkt.

Jennys Frauenärztin findet andere Worte. Zum Beispiel für ihren Körper, in dem sich seit einigen Monaten, Jenny weiß nicht genau wie vielen, ein Baby befindet. „Dein Körper ist ein Chemielabor und keine Naturweide“, tadelt sie ihre Patientin. Chiara Fleischhacker, die „Vena“ geschrieben und zudem die Regie übernommen hat, und die mit ihrem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg den diesjährigen First Steps Award gewonnen hat, lässt ihre Protagonistin wiederholt die Härte von Fachpersonal und Institutionen spüren.

Es ist ein Grund, den Fleischhacker für Jennys Verhalten anführt: dicht machen, dicht werden. Da die Außenwelt mit Auflagen, Forderungen, Vorwürfen. Hier das giftige Nest samt Rausch, Sex, flüchtigem Komfort. Dass sich zwischen beides nun eine unbeteiligte Dritte schiebt, Lexa, wie Jenny das Ungeborene gemeinsam mit Bolle tauft, bringt das anfällige Gefüge ins Wanken. Auch eine Ladung zum Strafvollzug liegt vor.

Fleischhackers Film ist eine Erzählung über Entscheidungen. Wie hart es ist, sich diesen zu stellen, und wie leicht, ihnen aus dem Weg zu gehen. Zumal wenn eine Sucht, die ihrerseits das Kommando übernimmt, gefasste Vorsätze mit Freude torpediert, Beziehungen gefährdet und zur Marionette macht. Dabei bleibt „Vena“ nicht allein bei stoffgebundenen Abhängigkeiten. Jennys Hebamme Maria (Friederike Becht), die sich behutsam, aber bestimmt einen Pfad zur Schwangeren bahnt, berichtet von Mager- und Sportsucht. Bolle, bald Jenny und der Vorstellung von einer gemeinsamen Familie zur Liebe entzügig, hockt plötzlich in der Badewanne, den ganzen Rücken blutig von aufgekratzten, zwanghaft bearbeiteten Hautunreinheiten. Die Anspannung, die unruhigen Hände haben sich ein neues Ventil gesucht.

„Vena“ zeigt Konsum und seine Folgen, labt sich aber nicht an ihnen. Tatsächlich erscheinen einem sowohl Jenny als auch Bolle immer dann am entferntesten, wenn sie von sich selbst am stärksten abgerückt sind. Jenny putzt dann nackt das Bad zu schnellen Beats, Bolle klebt nachts vorm Computer und onaniert. Wichtiges, wie der im Eisfach konservierte Schneeball von Jennys erstem Kind, das nicht bei ihr, sondern bei dessen Oma lebt, schmilzt aufgrund einer versehentlich offengelassenen Tür.

All das könnte plakativ und effekthascherisch wirken, ist jedoch Teil einer bewussten Bildsprache. Denn Fleischhacker versteht es durchaus, den allzu üblichen Erklärungsschwall im deutschen Film mit eigenständig kommunizierenden Aufnahmen zu ersetzen.

Fleischhackers Film ist eine Erzählung über Entscheidungen

Diese sind zwar nicht immer sonderlich subtil – wie Jennys Gesicht, das nach und nach hinter Schichten von Make-up zum Vorschein kommt, oder das warme Licht, in das Maria und Jenny bei einer anderen, gesünderen Form von Ekstase getaucht werden. Aber man versteht. Andere Einfälle machen mehr Spaß: Etwa die Entdeckung, dass die Herzschläge ihres Kindes den BPM aus den Kopfhörern ähneln. Oder Jennys leidenschaftliche Orchideenpflege, die durchaus mit einer gewissen Mütterlichkeit in Verbindung gebracht werden möchte.

Irgendwann glitzert kaum noch etwas in Jennys Leben. Dafür gibt es Sonnenschein und eine innere Entschlossenheit, sich der eigenen Person zu stellen. Gefühle scheinen auf. Da ist Liebe. Es könnte schön sein, fast kitschig, strahlend und heroisch. Und das ist es auch. Doch Jenny weiß: „Liebe reicht nicht immer.“

Im letzten Drittel lässt „Vena“ die institutionelle Gewalt kulminieren, macht das Misstrauen gegen Ämter und potenzielle Vormünder, das schon die ganze Zeit schwelte und vereinzelt durchbrach, manifest. Chiara Fleischhacker erklärt ihre Heldin, die sie zu keiner Sekunde ihres Films je verlässt, zur Gewinnerin und Verliererin zugleich. Denn über sich selbst zu siegen, bedeutet nicht, auch in der Welt zu siegen. Immerhin: Wach, clean lässt es sich zumindest antreten, ist der Kampf nicht schon von vornherein verloren.

„Vena“. Regie: Chiara Fleischhacker. Mit Emma Nova, Friederike Becht u. a. Deutschland 2024, 116 Min.

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