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Können wir jetzt einpacken?

Der Schock der US-Wahl ist gesellschaftspolitisch auch in Deutschland noch keineswegs verarbeitet. Was wird sich Trumps disruptiver Politik in Zukunft entgegenhalten lassen?

Gemeinsam gegen rechts zu sein, reicht offenbar nicht mehr: Demonstration im Frühjahr 2024 in Berlin Foto: Jens Gyarmaty

Von Dirk Knipphals

Es waren die frühen 70er-Jahre, als der Philosoph Jürgen Habermas, damals längst berühmt, einem seiner Essays einmal keine griffige begriffliche Wendung zum Titel gab (wie „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ zum Beispiel oder später „Die neue Unübersichtlichkeit“), sondern eine Frage. „Was heißt heute Krise?“

Das war die Zeit, als das Scheitern dessen, was später 68er-Revolte heißen sollte, aufgearbeitet werden musste. Die revolutionären 68er-Kader hatten davon geträumt, dass in der Bundesrepublik Klassengegensätze einen Aufstand hervorrufen würden. Habermas musste ihnen nun erklären, dass diese Hoffnung in der auf Ausgleich bedachten Mittelstandsgesellschaft eh eine Illusion gewesen sei.

Manches an den Antworten, die der Sozialphilosoph damals gab, mögen dated sein. Doch seine Frage bleibt aktuell. Und es bleibt auch der intellektuelle Move, der aus ihr folgt. Er besteht in einer Aufforderung zu einer Überprüfung der eigenen Begriffe, die man sich über die Gesellschaft und sein Handeln in ihr macht. Prüfe, ob du dich nicht von Illusionen täuschen und von veralteten Begriffen leiten lässt.

Die Vermutung liegt nahe, dass so eine Selbstverständigung in der Niederlage derzeit für die emanzipative Linke wieder ansteht.

Zu den Krisen, die einen sowieso schon umtreiben – „Kriege, Anschläge, Epidemien, Naturkatastrophen und Wahlerfolge, die einem die letzte Hoffnung austrieben“, wie es im aktuellen Roman „Das Fest“ von Lucy Fricke heißt, Klimawandel nicht zu vergessen – ist die Erschütterung durch die Trump-Wahl gekommen. Die Erschütterung wurde größer, je mehr man über die Umstände erfuhr; auch Latinos, junge Frauen und Schwarze haben Trump gewählt. Damit wird aber eine Erzählung zumindest fragwürdig, an die man sich etwas hilflos geklammert hat: das Narrativ, dass sich, wenn es drauf ankommt, alle Ausgeschlossenen und Unterdrückten zusammentun werden, um die White Supremacy zu verhindern. Das haben sie keineswegs getan. Es gibt kein Bündnis der Minoritäten.

Der Schock der Trump-Wahl ist inzwischen etwas eingekapselt, und das deutsche politische System hat sowieso längst auf Wahlkampf umgeschaltet inklusive der Begleitumstände von Ärmelhochkrempeln und Autosuggestion (Grüne) und Selbstverständigung über den richtigen Weg (SPD). Doch man ahnt längst: Gesellschaftlich und auch kulturell wird einen die Trump-Wahl noch auf Jahre begleiten, keineswegs nur in den direkten politischen Auswirkungen, sondern auch in den Selbstverständigungsdebatten.

Festzuhalten ist: Es war kein Unfall, sondern wirklich eine Niederlage. Zu einer Krise kann sie einem werden durch den Verdacht, dass die USA Tendenzen vorwegnehmen, die auch in Deutschland ankommen werden – vielleicht nicht ganz so ausgeprägt wie drüben, aber wer weiß das schon?

Jedenfalls ist der Februar dieses Jahres nun endgültig Geschichte. Wie gut hat man sich auf diesen riesigen Demos gegen Ausgrenzung und die AfD gefühlt! Millionen Menschen gingen bundesweit auf die Straße. Es fühlte sich nach einer gesellschaftlichen Bewegung an – ein Gefühl, das trog. Die Vermutung ist jetzt eher: „Gegen rechts“, wie es hieß, kann man zwar mobilisieren; doch dass daraus auch eine tragfähige politische Mehrheit entsteht, ist keineswegs ausgemacht. Es sieht jedenfalls aktuell nicht danach aus.

In den Bereich der Illusionen gehört also offenbar, dass „Demokratie verteidigen“ allein ein schlagkräftiges politisches Konzept ist; es ist tatsächlich viel zu abstrakt und von oben herab. Und was ist mit der Vorstellung von der Koalition der Minoritäten, der Ausgeschlossenen und Wohlmeinenden? Als Erzählungen von der Multitude oder einem Mainstream der Minderheiten ist sie in vielen Hinterköpfen. (Kulturell hatte sie ihren Peak in Filmen wie „Matrix“ oder Berliner Fantasien rund ums Berghain oder das Tempelhofer Feld, letztlich Woodstock-Reminiszenzen.) Doch sollte man sie, wenigstens zurzeit, eher als Wunschfantasie denn als realistisches Szenario behandeln.

Der Punkt ist: „Gegen rechts“ kann eben nicht die internen Widersprüche und Brüche innerhalb so einer angenommenen Koalition auf Dauer überdecken. Die erbitterten innerlinken Auseinandersetzungen um Nahost sind da nur der extremste Punkt. Lebensweltlich existieren viele weitere Brüche. Dass die Grünen die soziale Frage vergessen, wird im politischen System mantrahaft vorgetragen. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen steht, dass selbst so etwas Unschuldiges wie das Lastenfahrrad als Triggerpunkt für Ökohass herhalten kann. Aus Reihenhaus-Besitzer*innen, innerstädtischen Altbaubewohner*innen, Postmigranten, Omas gegen rechts (so toll die sind), Queers und Hipstern jeglicher Couleur wird eben kein gemeinsames Milieu.

Ist diese Feststellung selbstverständlich? Vielleicht. In ihren Auswirkungen ist sie aber noch nicht überall angekommen. So gehen viele identitätspolitische Interventionen und minoritätspolitische Kämpfe um Sichtbarkeit und Anerkennung zumindest implizit immer noch davon aus, dass es so etwas wie ein stabiles, und zwar gutes gesellschaftliches Zentrum noch gibt, das Sichtbarkeit herstellen und Anerkennung verteilen kann. Dabei ist genau dieses Zentrum fraglich geworden.

Vielleicht wäre es also an der Zeit, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass man auch selbst nicht nur für seinen spezifischen Punkt, sondern auch für das Ganze verantwortlich ist. Nachdem die spezifischen Anliegen ja klar geworden sind, könnte jetzt der Punkt gekommen sein, das dialektische Pendel wieder zurückschwingen zu lassen, wieder etwas universalistischer zu werden und nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Was einerseits ein frommer Wunsch sein mag. Andererseits, gibt es wirklich Alternativen dazu?

Um Missverständnisse auszuschließen: Identitätspolitische Interventionen und die MeToo-Bewegung haben diese Gesellschaft weniger rassistisch und weniger sexistisch, also bewohnbarer gemacht. Ihnen jetzt pauschal die Schuld an der Uneinigkeit der Linken zu geben und ihnen vorzuwerfen, sie würden sich gegen die „kleinen Leute“ wenden, wie man das jetzt viel liest, ist allzu rückwärtsgewandt (und geht vielleicht immer noch davon aus, dass die Arbeiter das Subjekt der Geschichte sind). Noch ihre sprachpolizeilichen Verstiegenheiten lassen sich verteidigen. Etwa mit einem Satz des Schriftstellers Rainald Goetz: „Es geht nur so, eine leisere Sprache versteht die Macht nicht.“ Doch könnte die aktuelle Krise auch ein Anlass sein, eine nächste Phase einzuläuten. Wie hieß es bei den amerikanischen Gründungsvätern? No taxation without representation. Das lässt sich umdrehen: Wer gut repräsentiert sein möchte, sollte sich auch um das Repräsentierende kümmern. Schon aus Selbstschutz. Aus einem reinen Kampf der Eigeninteressen werden immer die Trumps und Musks dieser Welt mit ihrer schieren Macht triumphierend hervorgehen.

Ist der Punkt gekommen, wieder etwas universalistischer zu werden?

Die Trump-Wahl bedeutet eine Niederlage des Allgemeinen, die mit einer Rückkehr reaktionärer Identitätsvorstellungen der Abstammung – wie sie auch in Deutschland droht – wunderbar zusammenpasst. Trumps „disruptive Politik“ – gegen die Institutionen, gegen das Allgemeine – wird auch in Deutschland schon als mögliche Freisetzung „enormer konzeptioneller Kreativität“ gefeiert; offenbar eine Variation vom Theorem der schöpferischen Zerstörung im Kapitalismus. Und die Frage ist, ob es ausreicht, noch mehr Mobilisierung, noch mehr aktivistische Interventionen, noch mehr Empörung dagegenzusetzen. Wohl kaum.

Was man etwa sehen könnte, ist, dass die sozialen Medien, und zwar schon bevor Musk sich Twitter krallte, untergründig mit diesem Disruptiven verknüpft gewesen sind, als Ermöglichung antiinstitutioneller Energie. Das spricht keineswegs gegen die sozialen Medien als Ganze; sie haben die Sprecherpositionen vervielfältigt, das war wichtig und ist sowieso unhintergehbar. Nur sollte man sich eben auch hier klarmachen, was man mit ihnen anfängt – was ja auch, nicht mehr auf X, aber auf anderen Kanälen, längst geschieht. Mit Bemühungen um lustiges Argumentieren, Ironien und Neuanknüpfungen von Gruppenbildungen.

Jürgen Habermas hat damals den 68er-Kadern übrigens einen anderen Umgang mit ihrer gefühlten Niederlage empfohlen. Er riet dazu, die Krise der Gesellschaft als Legitimations- und Verständigungskrise zu begreifen, und traf damit einen Punkt. Die aufbegehrenden Studierenden wollten nicht so strebsam arbeiten und, wie man damals sagte, entfremdet leben wie ihre Eltern und setzten so die herrschenden gesellschaftlichen Normen unter Legitimationsdruck. Während manche 68er noch jahrelang ihre Wunden leckten, machte sich von da aus die Bundesrepublik auf, die Gesellschaft als Ganze zu reformieren und neue Subjektivitäten zu schaffen, die Stichworte waren Neue Innerlichkeit, Selbstverwirklichung (mit all ihren Ambivalenzen), dann Neue Soziale Bewegungen.

Ist das ein Weg? Statt Wunden zu lecken, sich wieder auf die Suche begeben, diesmal nach neuen Sensibilitäten für ein vernünftiges Zusammenleben? Kann gut sein, dass nichts anderes übrigbleibt, wenn man nicht das Disruptive will.

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