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Kampf gegen BandenkriminalitätDer permanente Ausnahmezustand des Nayib Bukele

In El Salvador sitzen mehr als 82.500 mutmaßliche Bandenmitglieder ohne Verfahren im Gefängnis. Das ist populär – und trifft auf massive Kritik.

Polizisten hören am 28. Oktober eine Rede von Präsident Nayib Bukele, bevor sie in San Salvador eine Razzia gegen Banden starten Foto: Jose Cabezas/Reuters

Berlin taz | El Salvadors Präsident Nayib Bukele wird in Lateinamerika als „cooler Diktator“ gefeiert, weil er die Bandenkriminalität mit harter Hand bekämpft. Doch die sinkende Mord-, Entführungs- und Erpressungsquote hat eine Kehrseite.

Dina Hernández wurde im Februar festgenommen. Die Menschenrechtsaktivistin war damals im achten Monat schwanger und ihre Festnahme erfolgte aufgrund eines bloßen Verdachts, berichtet Zaira Navas. Sie ist die Anwältin der Menschenrechtsorganisation Cristosal aus San Salvador.

„Ein Familienmitglied galt als mutmaßliches Bandenmitglied – das reichte“, erklärt sie. Acht Monate später ist Dina Hernández weiterhin inhaftiert, und für Anwältin Zaira Navas ist der Fall einer der inhumansten, die ihr in ihrer 25-jährigen Anwaltskarriere begegnet sind.

„Ich war dabei, als die Gefängnisverwaltung den Leichnam ihres toten Kindes an die Schwestern von Dina Hernández übergab. Frau Hernández sitzt immer noch in Untersuchungshaft und daran wird sich erst mal nichts ändern“, meint Navas.

Jetzt sind vier Jahre Untersuchungshaft möglich

Zwei Jahre Untersuchungshaft sind in El Salvador zulässig, doch in vielen Fällen wurden und werden Verdächtige länger festgehalten. „Das ist Usus in El Salvador. Und vor ein paar Wochen wurde die maximal zulässige Untersuchungshaft auf vier Jahre verdoppelt“, so Navas, die bei Cristosal für die Situation in den Gefängnissen zuständig ist.

Die Zustände in den Haftanstalten haben sich mit der Verhängung des Ausnahmezustands am 27. März 2022 massiv verschärft. Die Zahl der Menschenrechtsverletzungen sei hoch, die Taten oft schockierend, sagt die Juristin.

Sie hat mit ihrem Team 298 Todesfälle seit Verhängung des Ausnahmezustands untersucht und dokumentiert. Dazu wurden mehr als 1.200 Interviews mit Angehörigen und Zeugen geführt. „Bis zum 3. Oktober 2024 wurden genau 82.503 Personen unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in einer Bande inhaftiert – Frauen wie Männer“, so Navas.

Sie kritisiert die permanente Verlängerung des Ausnahmezustands. Am 3. Oktober erfolgte dessen 31. Verlängerung und es sei absehbar, dass Anfang November die nächste Verlängerung anstehe.

Amnesty international beklagt Zunahme der Repression

„Aus einem zeitlich begrenzten Instrument wird ein permanentes“, kritisiert die Juristin und ist damit nicht allein. Amnesty International hat bereits im Dezember 2023 einen umfangreichen Bericht mit dem Titel „Hinter dem Schleier der Popularität“ veröffentlicht, in dem es en détail um die Zunahme der Repression und Rückschritte bei den Menschenrechten unter dem im Februar wiedergewählten Präsidenten Bukele geht.

Im September 2024 folgte dann der Bericht mit zahlreichen Empfehlungen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten. Darin wird explizit empfohlen, ein Register für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen während des Ausnahmezustands einzurichten und Todesfälle in Haft sowie Folter von Inhaftierten zu untersuchen.

Und die Kommission empfiehlt einen umfassenden Plan zur Wiedergutmachung für die Opfer und ihre Angehörigen. Denen sind Besuche in Haft nicht erlaubt. Angehörige werden auch von Inhaftierungen nicht informiert. Letzteres hat zu einer Zunahme der Zahl der Verschwundenen geführt, so Berichte von Cristosal und anderen Menschenrechtsorganisationen.

Dieser Umgang mit den Verdächtigen widerspreche internationalen Standards, kritisiert die OAS-Menschenrechtskommission. Sie forderte die Regierung von Bukele, der sich trotz Verfassungsbedenken im Februar für eine zweite Legislaturperiode wählen ließ, zu Korrekturen auf.

„Der coolste Diktator der Welt“

„Bis dato ohne Erfolg. Die Regierung hat die Kommission genauso wie Amnesty International zu diskreditieren versucht. Sie behauptet, die Kommission agiere im Interesse einiger weniger Finanziers. Dabei wird sie von den Staaten der OAS finanziert“, ärgert sich Navas.

Sie kritisiert, dass der autoritäre Präsident und sein Be­ra­te­r:in­nen­stab ihre enorme mediale Präsenz nutzen, um Andersdenkende zu stigmatisieren und auf Erfolge weltweit aufmerksam zu machen. „Dabei wissen wir noch nicht mal, ob die Angaben der Regierung stimmen. Wir haben keinen Zugriff auf ihre Zahlen, können sie weder abgleichen noch überprüfen. Sie unterliegen de facto der Geheimhaltung“, moniert die Menschenrechtsjuristin.

Das ermöglicht den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ex­per­t:in­nen des Präsidenten ihre medialen Kampagnen weltweit erfolgreich zu lancieren. In deren Mittelpunkt steht stets der selbsternannte „coolste Diktator der Welt“, eben Nayib Bukele.

In Mittelamerika hat das dazu geführt, dass die honduranische Präsidentin Xiomara Castro zumindest Teile der Agenda von Bukele kopiert. In Ecuador eignen sich Präsidentschaftskandidaten, in Peru mehrere Politiker Teile der Bukele-Strategie an.

„Für die Demokratien in diesen Ländern ist das ein Risiko. Die Verantwortlichen dort sollten unsere Berichte lesen und daraus lernen“, rät die Menschenrechtsanwältin aus San Salvador.

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