Nachruf auf Thüringer Jugendpfarrer: Ein kämpferischer Hippie im Namen Gottes
Der bekannte Jenaer Jugendpfarrer Lothar König ist gestorben. Er war ein Dorn im Auge der Rechten, aber auch der konservativen Justiz.
Seit Montag lebt Lothar König nur noch als Denkmal fort. Das teilte das wohl bekannteste seiner vier Kinder mit, die Thüringer Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, selbst schon zu einer antifaschistischen Institution gereift. Nur 70 Lebensjahre waren ihm vergönnt, seit 2019 befand er sich formal im Ruhestand.
Es sah nie so aus, als könne er jemals in einen solchen Ruhezustand gelangen. Der Eingangsvergleich mit spiritistischen Idolen ist nicht ganz abwegig, denn sie wurden in jener 68er-Aufbruchsära verehrt, die auch den pubertierenden Lothar prägten. Wenn man ihn später in der evangelischen Jungen Gemeinde am Jenaer Holzmarkt besuchte, umwehte einen scheinbar unverändert dieses Flair von Flower-Power, leidenschaftlicher Ahnung von der Besserungsfähigkeit des Menschen und eine Mischung aus Jenseitigkeit und diesseitiger Genussfreude. Meistens qualmte aus dem Haardickicht ein Stängel, und der „Herr Pfarrer“ konnte sich auch ganz kumpelhaft zurücklehnen.
Fast 30 Jahre ab 1990 war König der schulterklopfende König dieser Jungen Gemeinde. Was allein kaum überregionale Nachrufe auslösen würde, hätte er nicht darüber hinaus von sich reden gemacht, ohne sich inszenieren zu wollen. In Nordhausen im Südharz in der Schule schon, wo Renitenz und Sympathien für den „Prager Frühling“ zum Zwangsabschluss nach zehn Jahren führten. Abitur wurde ihm verwehrt.
Lothar König wurde Diakon und studierte ab 1977 evangelische Theologie in Erfurt und Jena. Seit 1986 baute er als Pfarrer eine Junge Gemeinde in Merseburg auf. Die Staatssicherheit versuchte vergeblich, ihn zu zermürben und aus dem Amt zu drängen. Dennoch hätte er sich 1989 eine reformierte und demokratisierte DDR gewünscht.
Nach dem schon während des SED-Regimes praktizierten Prinzip der offenen Jugendarbeit und in christlicher Empathie versuchte er nach 1990 in Jena Punks, Linke und die wachsende rechte Szene friedlich zusammenzubringen. Neonazis aber verletzten Tochter Katharina schon 1993. Vater Lothar trug lebenslang eine Kopfnarbe, die ihm 1997 ein Burschenschafter beigebracht hatte. Ein Wendepunkt weg von der Akzeptanz zum Kampf gegen die reaktionäre und zunehmend faschistische Szene.
Die Jenaer Polizei aber durchsuchte 1996 die Junge Gemeinde, um Pfarrer König Drogenhandel nachzuweisen. Auch ein Signal für spätere Verfolgungen von Amts wegen. Der Hauptfeind steht immer links. Es war nicht mehr die SED, die den unbequemen Pfarrer kaltstellen wollte. Der Jenaer Oberbürgermeister Peter Röhlinger (FDP) beispielsweise forderte damals den Landesbischof auf, König zu versetzen.
Der aber fuhr unbeirrt 2007 mit dem legendären „Lauti“, einem fossilen VW-Bus mit Lautsprecheranlage, nach Heiligendamm zu Protesten gegen den G8-Gipfel, begleitet von jugendlichen Engagierten. Gewaltlos und deeskalierend. So wie am 19. Februar 2011 nach Dresden, wo die Proteste gegen den Nazi-Missbrauch des Dresdner Gedenkens an die Zerstörung 1945 in Straßenschlachten ausuferten.
Der Versuch, König daraufhin linksextremistische Tendenzen zu unterstellen und ihn wegen schweren Landfriedensbruchs anzuklagen, geriet zu einem peinlichen Kapitel für die sächsische Justiz. 2014 wurde der Prozess nach Fehlern, Falschaussagen und ergebnislosen Videobeweisen gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Verteidiger war damals der legendäre taz-Anwalt Johnny Eisenberg. Dem sensiblen Lothar König ging das Verfahren nahe. Als wirklichen Freispruch empfand er die Einigung nicht. „Mir geht es dreckig“, raunte er damals.
Das hinderte ihn nicht, auch weiterhin gegen die AfD und für den Schutz von Geflüchteten durch Kirchenasyl auf- und einzutreten. Was zur Folge hatte, dass Morddrohungen gegen ihn und Tochter Katharina nicht abrissen.
„Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich“, heißt es in den Seligpreisungen des Matthäusevangeliums. Doch das himmlische Establishment sollte sich in Acht nehmen. Wenn einer wie Lothar König kommt, entdeckt er auch dort bestimmt verbesserungswürdige Schieflagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“